Das Zauberwort hieß "sozial". Es war hübsch verpackt in einer Charta und sollte beruhigend wirken. Damit war der milliardenschwere Deal um den Verkauf der LBBW-Wohnungen im Februar 2012 an das private Patrizia-Konsortium schön geschrieben worden. Mieter sollten nicht über den Tisch gezogen werden. Maximal drei Prozent Erhöhung pro Jahr schienen festgeschrieben. Die Betonung lag jedoch auf einem anderen Zauberwort: Der Aufschlag galt "durchschnittlich" für alle 21 500 Wohnungen. Einige dürfen auch drüber liegen. Schon erhalten die ersten Bewohner saftige Preisaufschläge von fast zehn Prozent.
In Stuttgart hat der Blitz eingeschlagen. Genauer gesagt Blitz 11-678. Dieser Blitz 11-678 war eine von vielen sogenannten Vorratsgesellschaften, also Unternehmen ohne Inhalt, die nur wenige Monate auf dem Papier existieren und als Kaufvehikel bei großen Geschäften eingesetzt werden. Jener <link _blank internal-link>Milliardendeal von Stuttgart, der Verkauf von 21 500 Wohnungen der Landesbank Baden-Württemberg an das private Patrizia-Konsortium aus Augsburg vom vergangenen Februar mit Hilfe des <link _blank internal-link>prominenten Lobbyisten und Exwirtschaftsministers Walter Döring, war ein solcher Big Deal. Es war im Dezember 2011 gewesen, als die Patrizia solche Blitz-GmbHs als "Akquisitions-Gesellschaften"gründen ließ, zwei Monate bevor Patrizia den offiziellen Zuschlag bekam. So viel Vorlauf müsse sein, auch ohne offiziellen Auftrag in der Tasche, sagt das Immobilienunternehmen aus Augsburg. GmbH-Gründungen brauchen Zeit.
Mieterrechte angeblich "extrem gestärkt"
Mittlerweile sind die Blitze längst Geschichte. Seit dem vergangenen April haben die Akquisitions-Gesellschaften zum Kauf der LBBW Immobilien GmbH einen neuen Namen. Leben in Baden-Württemberg heißt jetzt "Süddeutsche Wohnen Management GmbH" Und diese "Südewo" hat, kaum dass die Tinte unter den Verträgen trocken war, erst einmal Post verschickt. Sehr freundliche Post. Darin war von jener so kontrovers debattierten Sozialcharta die Rede gewesen, welche laut Südewo die Mieter "zukünftig über das gesetzliche Maß hinaus schützt" und "extrem stärkt". Laut Gesetz dürfen bis zu 20 Prozent Mieterhöhung innerhalb von drei Jahren sein, laut Sozialcharta maximal drei Prozent plus Inflationsrate pro Jahr. Allerdings – und das ist der Haken – "durchschnittlich" bezogen auf alle Wohnungen. Ausreißer nach oben sind möglich. Und sie sollten nicht lange auf sich warten lassen.
In Teilen von Stuttgart flatterten die ersten Mieterhöhungen den verdutzten Bewohnern schon wenige Tage nach dem Milliardendeal auf den Tisch. Manche von ihnen hatten von der Vorgängergesellschaft schon zehn Prozent aufgedrückt bekommen. Jetzt kamen die neuen Besitzer mit ihrer Sozialcharta im Gepäck und legten nochmals neun Prozent drauf. Das waren – in Einzelfällen – 19 Prozent in 15 Monaten. Spätestens jetzt ahnten die Betroffenen, was die wortreich versprochene "extreme Stärkung" ihrer Rechte auch bedeuten konnte.
Plus acht Prozent als "Anpassung an ortsüblichen Standard"
Nach den Schwaben war der badische Landesteil an der Reihe. Dort darf sich mancher Mieter seit Juli 2012 über eine Ankündigung von mehr als acht Prozent Mieterhöhung freuen. Die neue Patrizia-eigene Süddeutsche Wohnen Management GmbH begründet solche Steigerungen über dem versprochenen Drei-Prozent-Durchschnitt mit einer "Anpassung an den ortsüblichen Stand". Widerspruch ist natürlich nicht zwecklos, nur für diesen Fall lässt die Südewo ihre Kunden ausdrücklich wissen: "Sollten Sie dem Erhöhungsverlangen ... nicht zustimmen, so besteht für den Vermieter ... die Möglichkeit, ... Klage beim zuständigen Amtsgericht zu erheben."
<link file:2879 _blank download>Was sie ihren Kunden und deren Geldbeuteln zumutet, scheint die Südewo sehr wohl zu ahnen. Ihre Schreiben enden stets mit dem freundlichen Standardsatz: "Aufgrund der Erhöhung Ihrer Miete haben Sie möglicherweise einen Anspruch auf Wohngeld. Wenden Sie sich bitte an das für Ihren Wohnbezirk zuständige Wohnungsamt." (<link file:2879 _blank download>Ausriss)
Die soziale Schieflage verschärft sich immer weiter. Erst unlängst wurde ausgerechnet im vermeintlich so blendend dastehenden und wirtschaftsstarken Musterland Baden-Württemberg eine beängstigende Statistik veröffentlicht. Die Zahl der für weite Teile der Bevölkerung noch bezahlbaren Sozialwohnungen hat sich landesweit von 137 000 im Jahr 2002 auf nur noch 62 000 im Jahr 2010 mehr als halbiert. Eilig hat deshalb die grün-rote Landesregierung erst einmal die jährlichen Landesmittel im sozialen Wohnungsbau auf 36 Millionen Euro verdoppelt.
Auf kritische Nachfragen zu den hohen Mietsteigerungen erklärt die Südewo, dies sei "möglich", doch die in der Sozialcharta genannten drei Prozent bezögen sich nun mal "nicht auf einzelne Mietverträge, sondern auf den Durchschnitt insgesamt". Weitere Nachfragen, wie viele Mieter denn außerhalb des Durchschnitts liegen, blieben unbeantwortet.
Patrizia: Neuer Vermieter handelt "eigenständig"
Der Konsortialführer Patrizia, unter dessen Leitung Pensionsfonds und Sparkassen die Wohnungen für 1,435 Milliarden Euro vergangenen Februar gekauft hatten, verweist auf die "eigenständige" Geschäftsführung durch die Südewo. Dort würden "alle dem Tagesgeschäft zuzuordnenden Angelegenheiten selbstständig wahrgenommen". Da drängt sich die Frage auf, ob oder welche strategischen Vorgaben der neue Eigentümer seiner eigenständigen Gesellschaft macht. Gibt es Renditevorgaben? Laut Patrizia nicht. Denn, so die Antwort aus der Augsburger Konzernzentrale, "unsere Investoren sind vornehmlich am Werterhalt ihrer Investition und an einem stabilen und langfristig erzielbaren Cash-Flow interessiert". Deshalb gebe es – so wörtlich – "keine auf Jahresbasis bezogenen Renditevorgaben". Mehr Antwort gibt es nicht.
"Das ist Wahnsinn", sagt ein betroffener Mieter aus der Stuttgarter Hildebrandstraße. "Hier in der Nachbarschaft leben einfache Zugbegleiter, Rangierer, die noch Boiler im Bad haben und Spülsteine in der Küche. Wie sollen die denn das zahlen?" Das weiß keiner so genau. Sicher aber ist: für viele wird es nicht leistbar sein.
Von der Landesregierung verlassen
Noch gibt es im Nordbahnhofviertel das, was man günstigen Wohnraum nennt. Das wird nicht mehr lange so bleiben, prophezeit Günther Krappweis, Sprecher der Mieterinitiative LBBW-Patrizia. Auch die Mieten der bisher nicht von Erhöhungen betroffenen Wohnungen am Nordbahnhof, dem zukünftigen "Filetstück" gleich in Anbindung an das neu entstehende Rosensteinviertel, würden spätestens 2020 saftig in die Höhe schießen. Krappweis ist empört: "Wir haben uns auf die Landesregierung verlassen, und die hat nun uns verlassen", sagt er und kündigt an, er werde im laufenden Wahlkampf die OB-Kandidaten einschalten.
Bayern wird der nächste Fall
Schon greift die Patrizia in Bayern nach dem nächsten großen Stück Kuchen. Wie die LBBW hat die EU auch die BayernLB wegen der Finanzkrise dazu verdonnert, ihr Geschäft neu zu strukturieren und sich von ihrem Wohnungsbestand zu trennen. In München geht es um 33 000 Wohnungen der BayernLB-eigenen GBW-Gruppe. Und auch dort hat die Patrizia ihren Fuß in der Tür. Und wie in Stuttgart regt sich heftiger Widerstand gegen den Verkauf an ein Privatkonsortium. Quer durch alle Parteien – ausgenommen die Liberalen – sähe man es lieber, der Wohnungsbestand würde in öffentlicher Hand bleiben. Schon überlegt sich der Freistaat deshalb, eine eigene Investorengesellschaft zu gründen.
Der Fall Bayern ist allerdings noch in einem relativ frühen Stadium. Noch hat ein Bieterverfahren gar nicht begonnen. Und fast alle politischen Mandatsträger wollen das Mieterinteresse über das Gewinnmaximierungsinteresse eventueller Käufer stellen. Immerhin, 2013 sind Landtagswahlen. Und es gibt einen wesentlichen Unterschied zum Musterland Baden-Württemberg. An der Isar präferieren sie eine sogenannte Sozialcharta plus. Noch existiert ein solches Papier nicht in seiner endgültigen Fassung, aber die Bayern wollen eine Sozialcharta nicht nur – wie in Baden-Württemberg – zum Bestandteil eines Kaufvertrags machen, sondern sie in jedem einzelnen Mietvertrag rechtlich bindend verankern. Ohne eine solche Festschreibung, sagen Fachjuristen, "reden wir nur über heiße Luft".
PS: Dieser Text basiert auf Recherchen von 25 Journalistik-StudentInnen des dritten Semesters an der Katholischen Universität Eichstätt im Rahmen einer vom Autor geleiteteten Recherchewerkstatt <link _blank internal-link>"Lupe statt Fernglas". Zu dem Team gehörten: Moritz Diethelm, Sebastian Driemer, Lisa-Lina Ewert, Daniela Frietinger, Lukas Glaser, Isabel Hahn, Matthias Hohn, Andreas Holzapfel, Markus Joachim, Elisabeth Koblitz, Gerrit Kubicki, Frederike Meister, Paul Middelhoff, Felix Mildner, Jonathan Reinders, Lea Reinhard, Allan Riedel, Sarah Rottmair, Fabian Scheler, Martin Georg Schön, Christian Schullerus, Fabian Spengler, Fabian Thalmaier, Deborah Urban und Lisa Wolf.
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