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Zwangskammer

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Das deutsche Kammerwesen steht vor Gericht. Viele Unternehmer klagen gegen die Zwangsmitgliedschaft – wegen hoher Beiträge und mangelnder Transparenz. Völlig gegen den Strich geht einigen Firmeninhabern, wenn sich eine Industrie- und Handelskammer auch noch politisch äußert. So hat sich die IHK Heilbronn für Stuttgart 21 ausgesprochen.

Das deutsche Kammerwesen steht vor Gericht. Viele Unternehmer klagen gegen die Zwangsmitgliedschaft – wegen hoher Beiträge und mangelnder Transparenz. Völlig gegen den Strich geht einigen Firmeninhabern, wenn sich eine Industrie- und Handelskammer auch noch politisch äußert. Zum Beispiel für Stuttgart 21.

Ingeborg Wenzel ist eine gestandene Geschäftsfrau: seit mehr als 25 Jahren ist sie als Vermittlerin von Leiharbeitern tätig, seit 1987 Alleininhaberin der Personalfirma Wenzel und Partner in Heilbronn. Die vergangenen zehn Jahre hat sie sich für die Industrie- und Handelskammer in der Stadt engagiert. 52 000 Unternehmen aus der Region sind dort Mitglied, Ingeborg Wenzel war ihre Repräsentantin. Im Jahr 2008 wurde sie als eines von 42 Mitgliedern in die Vollversammlung gewählt, das Gremium, das den Kurs der Kammer bestimmt. Nun ist sie aus Protest zurückgetreten.

Heilbronn ist eine Stadt, die nicht gerade für rebellische Umtriebe bekannt ist, schon gar nicht bei Unternehmern. Die Stadt und ihre Region mag weinselige Traditionen, die Politik schmückt sich gerne mit den Erfolgen der heimischen Wirtschaft. Die Schwarz-Gruppe hat im Umland ihren Die Unternehmerin Ingeborg Wenzel hat ihren Sitz in der IHK Heilbronn unter Protest zurückgegeben. Foto: privat Sitz, ihre Billigketten Lidl und Kaufland werfen reichlich Profit und damit Unternehmenssteuern ab. Audi hat seinen zweitgrößten Standort nach dem Ingolstädter Hauptsitz in Neckarsulm. Der Lebensmittelhersteller Knorr sitzt in Heilbronn sowie das Milchwerk Friesland Campina, ehemals Südmilch. Man lebt dort gern in Frieden miteinander, und man lebt gut, denn die heimische Wirtschaft ist stark. Obwohl die Bedingungen für Unternehmer in der Region also hervorragend sind, hat es nun Knatsch in der IHK Heilbronn-Franken gegeben.

Die Industrie- und Handelskammern waren in der Vergangenheit nicht als Speerspitze der Demokratiebewegung bekannt. Doch Mitte der 90er-Jahre wehte hier ein neuer Wind. Auch die IHK Heilbronn-Franken demokratisierte sich: An die Stelle der Friedenswahlen, bei der es nicht mehr Kandidaten als Plätze gab, trat 1997 die Direktwahl der Mitglieder der Vollversammlung. Zudem öffnete die damalige IHK-Leitung die Sitzungen für die Öffentlichkeit. Und man hob bald neben der Internetseite auch ein Mitgliedermagazin aus der Taufe. Doch heute, so könnte man meinen, soll dieser Öffnungsprozess ins Gegenteil verkehrt werden.

Das Votum pro S 21 bringt das Fass zum Überlaufen

Eigentlich hätte ja mit einer neuen Führung alles besser werden sollen bei der IHK in Heilbronn. So wurde unlängst beschlossen, dass es künftig mehr Raum für Diskussionen in der Vollversammlung geben solle. Eine "neue Kommunikationsstruktur" werde eingeführt, ließ die Kammer verkünden. Das klingt gut. Doch wirkliche Transparenz ist offenbar nicht vorgesehen. Darüber ärgert sich Ingeborg Wenzel besonders. "Es kann einfach nicht sein, dass die Presse bei unseren Versammlungen ausgeschlossen ist", sagt sie. Sie könne es nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren, "Mitglied im Parlament der Wirtschaft zu sein, einem Parlament, zu dessen demokratischer Kultur nicht selbstverständlich die Zulassung der allgemeinen Öffentlichkeit gehört". Das hatte sie als Begründung für ihren Austritt dem Präsidenten der IHK Heilbronn-Franken, Thomas Philippiak, geschrieben.

Journalisten sind nämlich nur noch als Überbringer von Wunschbotschaften vorgesehen. Die Kammer will künftig im Vorfeld von Vollversammlungen überlegen, ob Medienvertreter eingeladen werden sollen. Standardmäßig sind sie von den Sitzungen ausgeschlossen. Nach der Versammlung sollen sie dann in die Blöcke diktiert bekommen, was beschlossen worden ist. Die Mitglieder wollten einen geschützten Raum, um sich austauschen zu können – so lautet die Begründung für diesen Schritt. Ingeborg Wenzel würde sich einen anderen, demokratischeren Geist wünschen.

Das Fass zum Überlaufen brachte ein weiterer Beschluss derselben Vollversammlung: Die IHK Heilbronn-Franken sprach sich eindeutig für das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 aus, obwohl nicht alle Mitglieder der Vollversammlung dafür waren. Eine repräsentative Umfrage unter den IHK-Mitgliedern ergab später, dass 79 Prozent das Projekt befürworten und knapp 15 Prozent es ablehnen. Allerdings basieren diese Zahlen auf den Angaben eines sehr kleinen Teils aller Mitgliedsunternehmen.

Laut Gesetz darf die IHK sich nicht zu jedem Thema äußern

Die Verfasser eines Berichts im Mitgliedermagazin zum anstehenden Volksentscheid über S 21 bemühten sich zwar, ausgewogen zu sein. Doch was die IHK nach außen gibt, spricht eine andere Sprache. Das sieht auch Ingeborg Wenzel so. "Ich sehe das Befürworten von S 21 als eine Bevormundung", sagt sie. Man solle es lieber den Menschen in der Region überlassen, sich für eine Seite zu entscheiden. Sie kritisiert das Vorgehen der IHK in Sachen S 21 scharf: "Das Ausmaß des Engagements und der Stil sind aus meiner Sicht weder durch die Beschlussfassung gedeckt, noch werden sie einer IHK als Körperschaft des öffentlichen Rechts gerecht."

Die Industrie- und Handelskammern in Deutschland sind nicht nur eine Interessenvertretung der lokalen und regionalen Wirtschaft. Sie haben vielfältige Aufgaben. Sie bieten Weiterbildung und Rechtberatung an, beraten Kommunen und legen Studien zur wirtschaftlichen Entwicklung vor. Sie haben dafür einen besonderen Status vom Gesetzgeber bekommen, sind berufsständische Vertretungen und damit eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie können sogar Beamte ernennen.

Die IHK Heilbronn-Franken sieht sich laut ihrer Eigendarstellung im Internet als "Mahner, Mittler und Impulsgeber". Fünf Handlungsfelder umgrenzt sie, eines davon ist die "Verkehrsinfrastruktur als Basis wirtschaftlicher Dynamik". Und hier fangen die Probleme dann auch an. Laut Gesetz haben die IHKs die "Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen". Sie sollen für die "Förderung der gewerblichen Wirtschaft" wirken und dabei "die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend" berücksichtigen. Aufgrund ihres besonderen Status dürfen sich die Industrie- und Handelskammern jedoch nicht zu jedem Thema äußern.

Richter verbieten riesiges Werbeplakat für den Tiefbahnhof

Das Problem ist: wenn die Heilbronner Vollversammlung sich für Stuttgart 21 ausspricht, tut sie dies als Vertretung der 52 000 Mitgliedsbetriebe. Doch diese Betriebe sind zwangsweise Mitglied, sie können sich keine andere IHK mit anderer politischer Meinung aussuchen. In Stuttgart und Ulm kam es deshalb schon zu Gerichtsprozessen. Die Ulmer IHK wurde daher vom Gericht verpflichtet, ein riesiges Pro-S-21-Plakat abzuhängen. Da jedoch die Berufung gegen das Urteil zugelassen worden war, hängt es noch. Die Stuttgarter IHK bekam vom Verwaltungsgericht bestätigt, dass sie "den objektiven Tatbestand der Untreue verwirklicht" habe, weil sie die Mitgliedsbeiträge ihrer Pflichtmitglieder für das Stuttgarter Plakat verwendet hatte.

Auch bei anderen politischen Themen wurden Industrie- und Handelskammern in ganz Deutschland in ihre Schranken gewiesen. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2010 legte den Grundstein für die Klagen gegen die Kammern. Darin heißt es, diese dürften Erklärungen nur dann abgeben, wenn es "nachvollziehbare Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft in ihrem Bezirk" gebe. Ausgangspunkt war hier die Veröffentlichung der "Limburger Erklärung" zur wirtschaftlichen Entwicklung, welche die Richterinnen und Richter als allgemeinpolitische Äußerung beurteilten.

Ingeborg Wenzel ist mit ihrem Frust also nicht allein. Seit Jahren schwelt in Deutschland der Konflikt zwischen Unternehmern, die nicht in der IHK Mitglied sein wollen, und den Kammern. Mal sind den Unternehmern die Pflichtbeiträge zu hoch – sie werden von den Kammern selbst erhoben und unterscheiden sich stark von Region zu Region –; mal sind die Mitglieder mit der Verwendung dieser Beiträge unzufrieden oder beklagen Meinungsäußerungen der Kammern.

Mittlerweile sind sogar EU-Institutionen mit dem Konflikt befasst. Fünf deutsche und ein österreichisches Unternehmen haben eine Beschwerde an die EU-Kommission und eine Petition an das EU-Parlament gerichtet. Die rechtliche Situation ist kompliziert, die Rechtsprechung in der Vergangenheit war keineswegs einheitlich. Hinter den beiden Initiativen steht der Bundesverband für freie Kammern (BFFK), eine Initiative mit Sitz in Kassel. Der Bundesverband entstand 1996 und setzt sich seitdem dafür ein, dass der Kammerzwang abgeschafft, dass die Zuständigkeit der Kammern genau abgegrenzt wird und dass demokratische Wahlen stattfinden. Ob der Verband aber mit seinen Beschwerden bei der EU durchkommt, ist ungewiss.


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1 Kommentar verfügbar

  • hajomueller
    am 07.12.2011
    Antworten
    Warum Unternehmer zur Zwangsmitgliedschaft in der IHK verdonnert werden, aber eine Zwangsmitgliedschaft in der Gewerkschaft strikt abgelehnt wird, ist doch klar. Teile und herrsche kommt hier klar zum Ausdruck.
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