Sie haben versucht, Akten vom BND zu bekommen.
Ich arbeite seit Ende der Siebzigerjahre an dem Thema und habe wiederholt versucht, in die Kolonie hineinzukommen. Das ist mir erst nach dem Ende der Diktatur gelungen. Am 1. Februar 2009 hatte ich beim BND einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Der wurde abgelehnt mit der Begründung, dass "sämtliche Unterlagen des BND Verschlusssachen" seien. Auf meinen Widerspruch erhielt ich aus Pullach einen Brief mit dem Vermerk "nur für den Dienstgebrauch", verbunden mit der Bitte, dass ich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abwarten möchte.
Das ist lustig: ein Brief vom BND an eine Journalistin, nur für den Dienstgebrauch.
Ich habe schon lange aufgehört, mich über den BND zu wundern. Aber mit dem vorgeschlagenen Vorgehen war ich einverstanden. Ein Jahr zuvor hatte ich nämlich den BND auf Einsicht in seine Eichmann-Akten verklagt. Es sollte ein Grundsatzurteil werden. Die Leipziger Richter gaben mir weitgehend recht. Nur 100 Blatt bleiben weiter geheim, weil das Bundeskanzleramt meinte, dass der Mossad sich über eine Freigabe ärgern würde und dieses Risiko könne man in Zeiten des Terrorismus nicht eingehen. Das heißt: Frau Merkel hält Akten zu einem Nazi-Kriegsverbrecher geheim, um einem ausländischen Geheimdienst gefällig zu sein. Nach dem Leipziger Urteil wollte ich endlich die Dignidad-Akten erhalten, fragte erneut in Pullach nach und erhielt die Auskunft, dass man "alle verfügbaren Archivunterlagen" an das Koblenzer Bundesarchiv abgegeben habe.
Na bitte, ist doch ein Fortschritt!
Nein, ganz im Gegenteil, reine Verarschung. Bei meinem Besuch in Koblenz wurde mir nur ein Schnellhefter ausgehändigt mit insgesamt 22 Seiten. Blatt Nummer eins war ein "VS Inhaltsverzeichnis zugleich Notvernichtungshandlung und Abgabequittung zu Abgabeverzeichnis 30/2004", gefolgt von einem kurzen Brief des CDU-Politikers Heiner Geißler mit der Bitte um Aufklärung und einer nichtssagenden Antwort des BND-Präsidenten an Geißler. Die Abgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, fragte die Bundesregierung, was mit den Akten, die im Frühjahr 2009 noch nicht offenzulegende "Verschlusssachen" waren, nunmehr passiert war und was diese "Notvernichtungshandlung" sei. Befindet sich etwa der BND in solcher Not, weil er Mitarbeiter schützen oder die eigene Verwicklung in das Kinderbordell und die Machenschaften von Paul Schäfer verdecken will?
Und wie lautete die Antwort?
Der damalige Bundesminister Ronald Pofalla antwortete auf die <link http: www.heise.de tp artikel _blank external-link>Kleine Anfrage: Ob Dokumente vernichtet oder ausgelagert wurden, könne "den recherchierbaren Unterlagen nicht entnommen werden". Aber: "Dem Antrag der Journalistin wurde entsprochen." Damit meinte er die 22 Blatt sowie die "Notvernichtungshandlung" – ein Begriff, der "standardmäßig verwendet (werde), um für den Fall einer schnell vorzunehmenden Vernichtung von Verschlusssachen, etwa bei der kurzfristigen Räumung einer Dienststelle im Ausland, einen Nachweis der vernichteten Dokumente zu erhalten". Auch die Bundeswehr kennt solche "Notvernichtungshandlungen", wenn etwa ein Schiff im Sinken begriffen ist und die an Bord befindlichen Geheimdokumente "nicht dem Feind in die Hände fallen dürfen".
Da muss die Not wirklich groß sein.
Für das Bundeskanzleramt offensichtlich. Ich hoffe aber, dass die Bundesverwaltungsrichter das anders sehen. Ich habe erneut Klage gegen den BND eingereicht. Diesmal geht es um alle Berichte seines Residenten an der Botschaft in Buenos Aires. Der war auch zuständig für Chile.
In welchem Stadium befindet sich dieser Prozess?
Der BND führt sich auf, als wäre er, um mal die Worte von Frank Rieger vom Chaos Computer Club zu gebrauchen, "eine Mafia mit Rechtsabteilung". Er sperrt sich partout gegen eine generelle Offenlegung seiner Dokumente aus der Zeit der argentinischen Militärdiktatur. Er hat damals eng mit dem argentinischen Geheimdienst SIDE zusammengearbeitet, der systematisch gefoltert hat und Regimegegner zu Tausenden aus Flugzeugen ins Meer werfen ließ. Ein paar Berichte hat man mir gegeben, aber ich will die kompletten Akten – oder eben eine Sperrerklärung des Bundeskanzleramts, der übergeordneten Behörde.
Wie argumentiert der BND?
Das muss man sich tatsächlich auf der Zunge zergehen lassen. O-Ton: "Der Umstand, dass dieses Regime Unrecht begangen hat, beeinflusst nicht den vom BND gewährten umfassenden Vertraulichkeitsgrundsatz hinsichtlich nachrichtendienstlicher Kooperationen gegenüber dem Staat Argentinien. Jedwede Offenlegung von Informationen könnte dazu führen, dass der Austausch mit anderen Nachrichtendiensten beeinträchtigt oder gefährdet wird." Mit anderen Worten: Wir schützen auch Folterer und Mörder – und zwar bis in alle Ewigkeit.
Wie verhalten sich andere Länder hierzu?
Barack Obama hat bei seinem letzten Besuch in Argentinien angekündigt, Akten zur argentinischen Diktatur zu deklassifizieren, auch die der CIA. Papst Franziskus hat selbiges versprochen. Und die argentinische Regierung – die jetzige wie die vorige – hat ihre Archive zur Diktatur geöffnet und sogar entsprechende diplomatische Abkommen mit den Nachbarstaaten über die Offenlegung dieser Unterlagen zur Operation Cóndor unterzeichnet. Das heißt: Alle Staaten geben ihre Unterlagen zum damaligen argentinischen Folterregime frei, und eine einzige Dienstanweisung des Kanzleramts nach Pullach würde ausreichen, um internationale Mindeststandards zu erfüllen. Aber Angela Merkel zieht es vor, sich – in guter deutscher Tradition – als das Schmuddelkind aufzuführen. Das Schmuddelkind der Menschenrechte.
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tropfen für tropfen
am 14.08.2016