So habe ich mir das globale Dorf immer vorgestellt. Ich sitze mitten in Afrika, genauer gesagt, in Juba, der Hauptstadt des Südsudan, in einer abgewrackten Bar, die ihren Fernseher mit einem Generator betreibt. Und was sehe ich: den Bürstenhaarschnitt von Winfried Kretschmann. Auf dem chinesischen Nachrichtenkanal CCTV bohrt der ehemalige Lehrer dicke Bretter, eilt mit ausgreifenden Schritten zum Bahnhof, um den Regionalzug nach Sigmaringen zu erreichen. Der Held aus Laiz scheint zu einer weltweiten Ikone geworden zu sein, die schwäbische Tugenden verkörpert. Es ist auch noch die Rede davon, dass dieser Mann so etwas wie einen Neubeginn in Deutschland vermittle.
Angela Merkel wird auch kurz eingeblendet. Aber sie sieht sehr alt aus im Vergleich zu Kretschmann. Sie habe einen schweren Schlag hinnehmen müssen, sagt der Reporter.
Nun wäre es vermessen zu behaupten, die Männer in der Bar hätten erstaunt geguckt, als ich ihnen zu erklären versuchte, dass Kretschmann ein Öko ist, der ab sofort mein Präsident ist. Irgendwie haben die Menschen andere Probleme. Sie sind froh, wenn sie den Tag überleben oder wenn niemand ihr Vieh stiehlt. Die Hirten sind mit der Kalaschnikow unterwegs, der Distriktverwalter hat seine Pistole im Hosenbund stecken und noch mindestens ein halbes Dutzend Sicherheitsleute dabei. Schließlich werden hier selbst Familienstreitigkeiten mit der Waffe ausgetragen. Ein Erbe des jahrzehntelangen Bürgerkriegs, in dem die Menschen verlernt haben, Konflikte friedlich zu lösen.
Der Distriktverwalter erzählt, dass ihn sein eigener Schwiegersohn mit der Knarre bedroht hat. Er konnte Schlimmeres nur verhindern, weil er hinter seiner Tochter in Deckung gegangen ist. Am 9. Juli soll er mit dem Südsudan seine Unabhängigkeit feiern.
Und ich sitze da, gestikuliere wild, deute immer wieder auf den Fernseher, auf das Neue Schloss, und rufe den Männern zu, dass ich dort lebe. Stuttgart, Baden-Württemberg. Natürlich wussten sie davon nichts. Aber sie sagen, es müsse wohl sehr schön dort sein, wo ich herkomme. Wenn ich mich an die Schule erinnere, die wir zuvor eingeweiht haben, dann empfinde ich das auch so. Frauen und Kinder haben sich aus den Bergen hervorgewagt, in denen sie sich viele Jahre versteckt hatten, und sind froh, einen halbwegs geschützten Raum zu haben. Auch wenn er uns ärmlich erscheint. Die Bilder gehen im Kopf nicht zusammen.
Später guckt mich Kretschmann aus den englischsprachigen Zeitungen aus Großbritannien und den USA an. Forsch und energiegeladen. Als wäre Baden-Württemberg der Nabel der Welt, der künftige Ministerpräsident die Weltsensation. Sonst bin ich, wenn überhaupt, auf meinen vielen Reisen nur auf Angela Merkel gestoßen, wenn sie sich mit Nicolas Sarkozy oder Silvio Berlusconi getroffen hat. "Kretsch" scheint also zumindest ein Exportschlager zu sein.
Rainer Lang arbeitet bei "Brot für die Welt".
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