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AfD in Baden-Württemberg

Jeder Auftritt ein Skandal

AfD in Baden-Württemberg: Jeder Auftritt ein Skandal
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Der Umgang ist kompliziert. Viel über die AfD zu berichten wird schon allein deshalb als gefährlich eingestuft, weil dadurch kruden Behauptungen eine Plattform gegeben wird. Zu wenig zu berichten ist aber noch gefährlicher: Denn die Fraktion im Landtag Baden-Württembergs bleibt radikal und demokratieverachtend.

Bernd Gögel nimmt seinen Hut. Der Fraktionschef mit dem Habitus des Großonkels, der sich immer wieder gegen noch extremere Gesellen durchgesetzt hat, geht, weil er gegen einen Strafbefehl wegen Schwarzarbeit vor Gericht zieht. Ein solcher Prozess, meint er, sei unvereinbar mit seiner Funktion. Und jetzt kommt einer aus der Kulisse, der mehrfach unterlag im Machtkampf zwischen sehr rechts und ganz rechts: Emil Sänze aus Rottweil, der bei einem der inzwischen üblichen Chaos-Parteitage der Südwest-AfD ohne jedes Bemühen um inhaltliche Positionen zum Landesvorsitzenden gewählt wurde. Mit seinen 72 Jahren will er nun beide Führungsämter in einer Hand vereinen, wegen Synergie und erhöhter Schlagkraft, wie er in einem Interview sagt.

Ausgabe 572, 16.03.2022

Voller Verachtung

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD liegen, so das Verwaltungsgericht Köln, "ausreichende Anhaltspunkte" vor. Die Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln kann auf die ganze Partei ausgedehnt werden. Und sie ist dringend geboten, wie sich im Landtag von Baden-Württemberg zeigt.

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Sänze war Scharfmacher von Anfang an, wäre an der Spitzte der Fraktion primus inter pares. Denn Gögels Ankündigung, in der zweiten Legislaturperiode im Landtag von Baden-Württemberg werde ruhiger und professioneller gearbeitet als in der ersten, blieb ein leeres Versprechen. Eher im Gegenteil: Bislang gab es zwar noch keine Polizei im Plenarsaal, weil AfD-Abgeordnete den Ausschluss von der Sitzung nicht akzeptierten. Aber in jeder Rede brechen sich demokratieverachtende Geisteshaltungen Bahn, garniert mit Unwahrheiten – egal ob gegen die EU, andere Parteien, die Medien oder nicht genehme Organisationen wie Gewerkschaften oder Kirche geschossen wird.

Eigentlich ist jeder Auftritt ein Skandal. Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) ging unlängst erst dazwischen, als Daniel Lindenschmid – einer der Neuen und Nachfolger von Jörg Meuthen im Wahlkreis Backnang – behauptete: "An Ihren Händen, an den Händen der etablierten Parteien, an den Händen der Regierung klebt Blut." Laut dem 30-jährigen Fachinformatiker würden sie "für Ihre Ideologie der offenen Grenzen" über Leichen gehen. Selbst da zieht Aras es aber noch vor, höflich zu bleiben: "Ich bitte Sie, sich zu mäßigen. Ansonsten muss ich einen Ordnungsruf erteilen." Schärfere Interventionen wären zumindest bedenkenswert. Genau darauf warten aber die Abgeordneten von ganz rechts. Ihr Selbstverständnis ist ja ein geteiltes: Einerseits sehen sie sich in der Rolle des ständig misshandelten Opfers; andererseits fühlen sie sich groß und stark und wichtig für die Rettung des von innen bedrohten Vaterlands.

Mitte Januar wird über den Fraktionsvorsitz abgestimmt. Sänze hält sich für konservativ. Als sich der damalige AfD-MdL Stefan Räpple aus dem Plenarsaal tragen ließ, warf er der Grünen vor, sie habe "in noch nie dagewesenem Ausmaß ihre Unfähigkeit und Unwilligkeit zu einer angemessenen und würdigen Ausfüllung ihres Amts demonstriert". Die Konkurrenz ist überschaubar, als ein möglicher Gegenkandidat wird Udo Stein genannt, der Einzelhandelskaufmann aus Schwäbisch Hall. Der wiederum zählt zu den Unterzeichner:innen der vom Höcke-Flügel initiierten "Erfurter Resolution". Diese verstehen die AfD "als eine Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte (Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit usf.)". Aus nicht allzu großer Ferne winken die Reichsbürger:innen hinüber, eine "Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands".


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