Noch in dieser Woche wird der Abriss des Südflügels beginnen. Wann genau, das wurde jedoch nicht bekannt gegeben. Damit werden erneut Fakten geschaffen, wo anderswo weiterhin Unsicherheit herrscht. Monatelang hat die Polizei den D-Day geplant, an dem der Südflügel und die Bäume im Schlossgarten fallen sollen. Doch dann kam ein nicht allzu hübsch anzusehender Geselle, klein und krabbelnd, aber selten und daher wertvoll für die Natur: der Juchtenkäfer.
Es mag gar nicht so verkehrt sein, Stuttgart 21 als bestgeplantes Projekt zu bezeichnen. Rein quantitativ ist das nicht so falsch: Wochen-, gar monatelang hat die Polizei mit einem größeren Team den Tag X geplant, an dem der Südflügel und die Bäume im Schlossgarten fallen sollen. Geplant war, in einer konzentrierten Aktion das Gelände sehr weiträumig abzusperren und dann Bäume wie Südflügel dem Erdboden gleichzumachen. Doch dann kam ein nicht allzu hübsch anzusehender Geselle, klein und krabbelnd, aber selten und daher wertvoll, nämlich der Juchtenkäfer. Und dann kam ein Gerichtsurteil in einem Verfahren, das der BUND angestrengt hatte, dem zufolge der Bau des Gebäudes für das Grundwassermanagement durch die Bahn nicht rechtens war, weil das Wohlergehen dieses kleinen, unscheinbaren Gesellen bei den Bestplanungen nicht ausreichend berücksichtigt worden war. Und damit kam der Tag, an dem die Polizei ihre bisherigen Planungen komplett über den Haufen werfen konnte – und eine neue beste Planung aus dem Hut zaubern. Und dieser Plan wird wohl diese Woche Wirklichkeit werden.
Die ersten Vorboten sind schon sichtbar: Rund um den Hauptbahnhof werden Hinweisschilder angebracht, dass das Gelände videoüberwacht werde. Schon vor Weihnachten wurden die ersten Videokameras montiert, insgesamt sind rund ein Dutzend neuer Geräte einsatzbereit. Dieses Vorgehen sei mit den Belangen des Datenschutzes vereinbar, meldet die Polizei: "Das Konzept zur offenen Videoüberwachung des Einsatzraumes ist in den vergangenen Wochen mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz abgestimmt worden. Die Videoübertragung dient der Polizeiführung für die Übersicht im Einsatzraum, jedoch im Falle von Störungen und Unfriedlichkeit auch zur Beweissicherung und gegebenenfalls zur Identifizierung von Straftätern."
Die Kameras sind schwenkbar und mit Zoomobjektiven ausgerüstet, sie erlauben hochauflösende Bilder. Derzeit seien die Kameras jedoch noch nicht in Betrieb. Sie würden erst dann zum Einsatz kommen, wenn der Abriss des Südflügels beginne, erklärte ein Polizeisprecher. "Die Kameras dienen uns zunächst nur dazu, einen Überblick über die Lage zu bekommen. Gespeichert wird erst, wenn Straftaten zu erkennen sind." Versammlungen wie die Demonstration am Montag vor dem Abriss des Südflügels dürften nicht überwacht werden, und die Kameras seien auch nicht in Betrieb gewesen. Außerdem betonte die Polizei, dass sie zwar Zivilbeamte im Einsatz habe, aber keine Agents provocateurs einsetze.
Die Entscheidung über die Grundwasserentnahme steht noch aus
Die Bäume im Schlossgarten sind derzeit noch von dem Verbot der Fällung vom Oktober 2010 geschützt. Das bezieht sich aber nicht auf alle Bäume im Schlossgarten, sondern nur auf diejenigen, die auf Flächen wachsen, die für die Anlagen des Grundwassermanagements vorgesehen sind. Hauptsächlich sind das die Grundstücke, auf denen die Rohre installiert werden sollen, durch die dann das Grundwasser fließen soll, das die Bahn aus dem Baustellenbereich pumpt. Die Planung der Bahn sieht vor, für die Zeit des Baus des neuen Teifbahnhofs den Grundwasserspiegel so weit abzusenken, dass er einen halben Meter unter der Bausohle liegt. Später soll der neue Tiefbahnhof dann im Wasser liegen.
Nach wie vor nicht entschieden ist über den Antrag der Bahn, die Menge des abzupumpenden Wassers auf nahezu die doppelte Menge, nämlich auf 6,8 Milliarden Liter, zu erhöhen. Die entsprechende Prüfung der Bahnunterlagen ist noch nicht abgeschlossen, es heißt aber in informierten Kreisen, dass es erneut Veränderungen bei der Menge des abzupumpenden Wassers gegeben haben könnte. Die Frage ist besonders delikat, weil nämlich die Sorge besteht, dass die tiefer liegenden Mineralwasservorräte nach oben steigen und sich mit dem Grundwasser vermischen könnten, wenn der Druck durch das Grundwasser abnimmt. Ein Sprecher der Bahn sagte dazu, man werde demnächst beim Eisenbahnbundesamt die "7. Planänderung des Planfeststellungsbeschlusses 1.1 beantragen, wenn alle notwendigen Vorabstimmungen hierzu abgeschlossen" seien.
Was das Verbot der Baumfällarbeiten anbelangt, muss die Bahn eine neue Planung vorlegen, in die der Schutz der Juchtenkäfer-Populationen aufgenommen worden ist. Diese Unterlagen müssen durch das Regierungspräsidium Stuttgart, das Umweltamt der Stadt Stuttgart und das Eisenbahnbundesamt geprüft werden. Zugleich drängt hier die Zeit, denn Baumfällarbeiten dürfen nur bis Ende Februar erfolgen. Anschließend beginnt die Vegetationsperiode. Der Bahnsprecher erklärte, er rechne mit weiteren Artenschutz-Auflagen.
Auch eine weitere Planung wurde zwischenzeitlich über den Haufen geworfen: nämlich die im Schlichterspruch vorgesehene, alle Bäume zu versetzen. In dem von Heiner Geißler formulierten Dokument heißt es: "Die Bäume im Schlossgarten bleiben erhalten. Es dürfen nur diejenigen Bäume gefällt werden, die ohnehin wegen Krankheiten, Altersschwäche in der nächsten Zeit absterben würden. Wenn Bäume durch den Neubau existenziell gefährdet sind, werden sie in eine geeignete Zone verpflanzt."
Einige Juchtenkäfer wurden zwangsumgesiedelt
Bei den am 1. Oktober 2010 erfolgten Baumfällungen war bereits ein Baum gefällt worden, in dem Larven des Juchtenkäfers gefunden wurden. Weil drei Mitarbeiter der Bahn ein Gutachten über dieses Vorkommen zurückhielten, hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart Strafbefehl gegen diese drei Mitarbeiter beantragt. Die Bahnmitarbeiter befürchteten, dass es zu weiteren Verzögerungen kommen könnte – eine nicht unbegründete Befürchtung, denn die Vorgabe war, den Baum von oben stückweise abzutragen und gegebenenfalls eine Notbergung der Käfer und Larven vorzunehmen. Sobald jedoch im Stamm ein Juchtenkäfervorkommen festgestellt werde, müsse mit dem Abtragen gestoppt und neu entschieden werden, hieß es in der Vorgabe. Tatsächlich wurden in dem Baum Larven gefunden.
Der Juchtenkäfer-Nachwuchs, knapp zwanzig Tiere stark, wurde von einem Biologen in Obhut genommen. Ein Teil der Tiere hat diese Prozedur überlebt und wurde in der Zwischenzeit an einem neuen Ort angesiedelt, vermutlich im nördlichen Schlossgarten. Ob die Tiere dort dann heimisch werden, ist jedoch nicht sicher, denn der Juchtenkäfer stellt hohe Anforderungen an seinen Lebensraum.
Bauen außerhalb der Baufläche
Dass es die Bahn mit rechtlichen Vorgaben nicht immer genau nimmt, zeigt sich noch an einer weiteren Stelle in der schriftlichen Urteilsbegründung des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofs. "Das Technikgebäude selbst hält wohl auch die ursprünglich für die zentrale Überschusswasseraufbereitungsanlage ausgewiesene Baufläche (vgl. die rot gestrichelte Linie auf dem Lageplan vom 18. 11. 2009) nicht vollständig ein. Denn es wird östlich versetzt und teilweise außerhalb dieser Baufläche ausgeführt", heißt es in dem Schriftstück.Die Bahn lässt mitteilen, dass sie dies "nicht bestätigen" könne.
Aktuell laufen nun die Vorbereitungen für den Abriss des Südflügels. Ein Bahnsprecher sagte, das Gebäude werde zunächst entkernt. Diese Phase des Abrisses dauere ein paar Tage. Danach würden dann die Fassadenabbrucharbeiten beginnen, diese seien "aber noch nicht terminiert". Auch hier hatte die Bahn einen Tier-Gutachter engagieren müssen. Dieser erklärte, der Südflügel käme zwar als Wohnstätte für Fledermäuse in Betracht, werde aber nicht als solche benutzt. Ein weiteres Gutachten, welches das Eisenbahnbundesamt verlangte, sollte bestätigen, dass durch die Abbrucharbeiten die Fledermäuse im Schlossgarten nicht in ihrer Winterruhe gestört würden.
Nichts Neues gibt es von dem Planfeststellungsabschnitt 1.3., der unter anderem den Anschluss an den Flughafen auf den Fildern umfasst. Hier steht nach wie vor das Anhörungsverfahren an, wann es eingeleitet wird, ist unbekannt. Was den Abstellbahnhof in Untertürkheim anbelangt, läuft dieses Verfahren schon. Die fünf übrigen Planfeststellungsabschnitte sind nach Angaben der Bahn bereits beendet mit einem bestandskräftigen Beschluss. Dies gilt auch für den Abschnitt 1.1., auf den sich die Klage des BUND bezog, denn das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim erklärt zwar einen Bescheid des Eisenbahnbundesamts für rechtswidrig, nicht aber die gesamte Planfeststellung.
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