In bisher 28 sogenannten Wellen wurden die Ostdeutschen befragt. 1987 waren es 1400 Teilnehmende, 1990 erklärten sich knapp 600 zum Weitermachen bereit, inzwischen sind es stabil Welle für Welle zwischen 300 und 400 Mitvierziger.
Das gibt's so nur in Sachsen
"Es handelt sich nicht um eine ein- oder mehrmalige Meinungsumfrage, sondern um eine in ihrer Anlage ungewöhnliche, weil Gesellschaftssysteme übergreifende sozialwissenschaftliche Langzeitforschung", schreiben die verantwortlichen Wissenschaftler. "Grundsätzlich gesehen über aktuelle Stimmungen und häufig taktisches Wahlverhalten hinaus" wollen sie wissen, was "seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik in den Köpfen junger Ostdeutscher, in ihrem politischen Bewusstsein vor sich gegangen" ist. Schon 2007 waren nur 38 Prozent zufrieden oder sehr zufrieden mit der Demokratie. Aktuell liegt die "Alternative für Deutschland" in Sachsen in der Demoskopie bei 25 Prozent, so hoch wie nirgendwo sonst in der Republik.
Dank dieser Untersuchung ist der Gang der politischen Mentalität in Sachsen gründlicher dokumentiert als in jedem anderen Bundesland. Gegensteuern wollte niemand, schon gar nicht die CDU, die seit der Wende und trotz einer abwechslungsreichen Skandalgeschichte ununterbrochen regiert. An Kontinuität ist kein Mangel. Nur drei Ministerpräsidenten - Kurt Biedenkopf, Georg Milbradt und Stanislaw Tillich - regierten seit 1990. Die ersten beiden mussten nach Affären zurücktreten, der dritte wehrte bisher alle einschlägigen Forderungen ab. Angestoßen durch den Journalisten und Verleger Jakob Augstein, wird seither heftig darüber debattiert, ob Sachsen nicht bereits ein "failed state" sei. Gewiss nicht, meint der Dresdner AfD-Stadtrat Gordon Engler, sondern "das Zentrum des Aufbäumens des deutschen Volkes, das Zentrum des Widerstandes gegen eine unsere Nation zerstörende Politik".
Der Widerstand der Zivilgesellschaft gegen völkisches Rechtsaußendenken hält sich allerdings in engen Grenzen. Gerade mal 1000 Besucher folgten der Einladung des Dresdner Oberbürgermeisters zu einem Bürgerfest Mitte Oktober. Das war zwei Wochen, nachdem Pegida-Protestierer die Feierlichkeiten zum Tag der Einheit zu unflätigen Beschimpfungen der Staatsspitze, vor allem der Kanzlerin, aber auch anderer ausgesuchter Ehrengäste ("Bimbo") nutzten. Die Stadt hatte sich das Fest, auf dem sich das andere, das bunte und vielfältige Dresden präsentieren sollte, mehr als 40 000 Euro kosten lassen. Der magere Zulauf bot Pegida- und AfD-Aktivisten Anlass zu neuer Hetze. Die nächste Herausforderung kam Mitte Februar, mit der 72. Wiederkehr der Zerstörung Dresdens. Der sächsische Linken-Chef Rico Gebhardt erinnert daran, dass an diesem Datum "jahrelang Nazis ungestört in Dresden aufmarschieren durften". Und er sieht eindeutig Tillich in der Verantwortung: Diese CDU müsse "aus ihrem Schlaf aufwachen".
Politik reagiert nicht auf bedenkliche Studienergebnisse
Die Bugwelle unerledigter Aufgaben hat Tsunami-Charakter. Es ist im Freistaat, der in seinen Hochglanzbroschüren mit seiner langen demokratischen Tradition prahlt, nicht gelungen, Struktur und Vorzüge der Demokratie ausreichend vielen Bürgern und Bürgerinnen nahezubringen. Seit mindestens zehn Jahren ist klar, wie stetig die Vorbehalte wachsen. Von einer Reaktion der Regierenden auf die Erkenntnisse der Wissenschaftler ist nichts bekannt. Beklatscht wird, wenn überhaupt, die anhaltend hohe Zufriedenheit mit der Wiedervereinigung in der Generation 73. Die Skepsis gegenüber demokratischen Strukturen und Verhältnissen bleibt weitgehend unbeachtet, in Sachsen und auch bundesweit.
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Rolf Steiner
am 07.01.2017