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Von Männer Gnaden

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Grüne und SPD im Landtag haben ein krummes Geschäft gemacht. Damit die CDU eine Verfassungsänderung in Sachen Bürgerbeteiligung mitträgt, wurde die Zusage beerdigt, mit einer Wahlrechtsänderung endlich mehr Frauen ins baden-württembergische Parlament zu bringen.

Da ist es wieder, jenes Thema, das in der gleichnamigen Kiste die Motten längst hätten zerfressen sollen: Gleichberechtigung. Ausgerechnet Grün-Rot verantwortet die Wiederbelebung. Denn wiewohl aktuell 82 Prozent der Landesabgeordneten männlich sind, verweigert sich nicht nur die Union, sondern auch die SPD der notwendigen Reform. Und die von einer Frau geführte Grünen-Fraktion knickte ein. Denn Peter Hauk lässt für die CDU gar keinen Zweifel über die getroffenen Absprachen aufkommen. Sollte die Koalition doch noch versuchen, das Wahlrecht zugunsten der Frauen zu ändern – was mit einfacher Mehrheit möglich wäre –, würde die CDU ihre Zustimmung, etwa zur Absenkung der Quoren beim Volksentscheid, zurückziehen. Es sei, sagt Hauk, in den Verhandlungen "von Anfang an klar gewesen, dass diese Paketlösung angestrebt wird".

Versprochen, gebrochen: In ihrem Landtagswahlprogramm 2011 haben sich die Grünen auf eine Reform festgelegt. Denn erst "durch die Möglichkeit der Listenbildung können Parteien für eine Quotierung der Geschlechter sorgen". Der Beschluss, eine Wahlkreis- und eine Listenstimme einzuführen, wurde in einer Resolution ("Frauen in die Parlamente") im Juni 2012 in Heilbronn noch einmal mit großer Mehrheit bestätigt. Auch die SPD hat jüngst mit großer Mehrheit einen entsprechenden Beschluss gefasst. Papier ist geduldig, die Flieger sind gefaltet, als geheime Kommandosache hat die – ausschließlich mit Männern besetzte – interfraktionelle Arbeitsgruppe ebenjenes Paket ausverhandelt. Von einem "entscheidenden Durchbruch für mehr Beteiligung" spricht der Ministerpräsident. Die Pläne zur Geschlechtergerechtigkeit schiebt er als "Sache des Parlaments" von sich. Engagement sieht anders aus.

Überhaupt keine gute Figur macht Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann, der es nicht gelang, den Kuhhandel von vornherein zu unterbinden. "Auch ich als Frau brauche Mehrheiten, und die versuche ich zu organisieren", sagt sie und gesteht ein, die Zustimmung zur Wahlrechtsänderung nicht zustande zu bringen. Elf verärgerten Frauen stehen 25 Männer gegenüber. In der SPD-Fraktion ist das Verhältnis noch krasser: Nur sieben von 35 Abgeordneten sind weiblich.

Schon im vergangenen Jahr, als es um die 50-prozentige Quotierung auf Kommunalwahllisten nach französischem Vorbild ging, reichte Sitzmanns Organisationstalent nicht aus. Vermutlich wäre ein entsprechendes Gesetz vor Gericht gelandet. SPD-Justizminister Rainer Stickelberger hätte nach eigenem Bekunden eine Klage allerdings riskiert. Denn: "Wer vorangehen will, muss Spielräume austesten." Viele Prominente, wie die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), beriefen sich auf Artikel drei des Grundgesetzes, wonach "der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt". Sitzmann schaffte es nicht, die Kräfte zu bündeln. Dabei ist Baden-Württemberg in diesem Punkt ebenfalls bundesweit Schlusslicht. In mehr als 30 Gemeinderäte zwischen Main und Bodensee sitzt keine Rätin. Landesweit liegt der Männeranteil im Durchschnitt bei 78 Prozent, in den Kreistagen sogar bei 84. Am Ende schrumpfte die in Oppositionstagen so oft geforderte unverrückbare Vorgabe zur freiwilligen Verpflichtung.

126 Männer und eine einzige Frau

Jetzt ging es um noch viel mehr für die Männer mit Mandat. Denn eine Wahlrechtsreform zugunsten der Frauen würde naturgemäß einige ihrer Sitze kosten, ganz nach der Devise von Claire Waldoff, die schon vor fast 90 Jahren schmetterte: "Es geht durch die ganze Historie der Ruf nach Emanzipation (...) raus mit den Männern aus dem Reichstag, raus mit den Männern aus dem Landtag." Dass die Nutznießer der geltenden Regeln über Veränderungen entscheiden, beklagt Grünen-Landeschefin Thekla Walker. Sie war trotz der eindeutigen Beschlusslage in der Partei nicht eingebunden in die Meinungsbildung der Fraktion. Walker stellt sich vorsichtig gegen Sitzmann, bekommt viel Applaus auf dem Parteitag am vergangenen Wochenende in Esslingen, als sie die Erwartung formuliert, dass die Neuerungen doch noch auf den Weg gebracht werden. Von grünen wie roten Kollegen im Parlament verlassen, will sie gemeinsam mit Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch und den mindestens genauso frustrierten Genossinnen außerparlamentarischen Druck organisieren. Der Landesfrauenrat hat sich bereits angeboten. Es sei "perfide und skandalös", findet seine Vorsitzende Angelika Klingel deutliche Worte, bessere Mitsprachemöglichkeiten des Volkes gegen eine Strukturveränderung im Wahlrecht auszuspielen, "die tatsächlich der weiblichen Hälfte des Volkes größere Mitsprache im Parlamente ermöglichen würde".

Der Kampf um mehr Gleichberechtigung im Landtag war ein Gründungsgrund der Dachorganisation von inzwischen 52 Verbänden. Damals, im Codejahr 1968, das weltweit für Aufbegehren und gesellschaftlichen Wandel steht, zogen 127 Abgeordnete in den baden-württembergischen Landtag ein, darunter eine einzige Frau. So viele Geschichten aus so vielen Legislaturperioden zeigen, wie Frauen auf Männer Gnaden angewiesen sind. Erst 1972 bekommt der Südweststaat mit Annemarie Griesinger (CDU) seine erste Ministerin überhaupt. In einer Radiosendung zum 40. Landesgeburtstag erzählte Lothar Späth offenherzig, dass er dies keineswegs aus höherer Einsicht befördert hatte, sondern allein um Ministerpräsident Hans Filbinger zu ärgern. Die Fraktion beanspruchte mehr Mitsprache bei der Kabinettsbildung, Filbinger stellte sich stur, woraufhin Späth die Bundestagsabgeordnete aus Markgröningen ins Gespräch brachte und kalt kalkulierte, dass selbst ein CDU-Regierungschef des Zeitgeists wegen nicht Nein sagen konnte.

Der Zeitgeist. Der ist Beleg dafür, wie sehr Baden-Württemberg eine Wahlrechtsreform benötigt. Waltraud Ulshöfer, die Frau des Stuttgarter Oberbürgermeisters Fritz Kuhn, erinnerte sich dieser Tage an ihren Einzug in den Landtag 1984 – als einzige grüne Frau. Eines der ersten Themen: die Verbesserung der Wahlchancen von Kandidatinnen. 1986 folgten einschlägige grüne Parteitagsbeschlüsse. Damals waren mehr als 90 Prozent der Abgeordneten männlich, nicht nur im Stuttgarter Landtag, sondern in anderen Parlamenten in der Republik ebenfalls. Damals beginnt sich allerdings auch die Schere zu öffnen. Denn überall dort, wo es ein Listenwahlrecht gibt, zeitigen die immer hartnäckigeren Forderungen nach Quoten und Gleichberechtigung erste Erfolge. Im Bundestag liegt der Frauenanteil 1987 bei 15 Prozent und steigt kontinuierlich auf heute gut 36. Selbst die Bayern schlagen das Schlusslicht Baden-Württemberg um Längen: Mitte der Achtziger waren acht Prozent der Abgeordneten im Maximilianeum weiblich, heute sind es rund 30 Prozent. Die Nachbarn im Nordwesten haben nicht nur eine Ministerpräsidentin, sondern dazu einen Männeranteil im rheinland-pfälzischen Landtag von gerade noch 60 Prozent und aktuell eine Diskussion, wie der weiter abgesenkt werden kann. 

Nicht nur solche Zahlen, Daten und Fakten bringen grüne wie rote Frauen auf gegen die Machos in ihren Reihen. Sondern vor allem Ausreden und Vorschläge, die ohne Weiteres aus dem gesellschaftspolitischen Schatzkästlein der Union stammen könnten. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Stefan Fulst-Blei, ein Landtagsneuling aus Mannheim, der schnell nach dem Spitzenamt griff, schlug auf dem Parteitag in Reutlingen vor, dass sich Erstkandidaten künftig grundsätzlich Zweitkandidatinnen suchen: Auf diese Weise würde immer dann, wenn Männer wie etwa Frank Mentrup, der neue Karlsruher OB, aus dem Parlament ausscheiden, Frauen nachrücken und die Geschlechterrelation auf diese Weise verbessert.

Paula Doell hätte ihm ein Lied singen können vom Unsinn dieser grandiosen Idee. Im badischen Kehl war die Opernsängerin nach dem Zweiten Weltkrieg Mitbegründerin der CDU. Schon damals schmückten sich erfolgreiche Aufsteiger nur zu gern mit einer Zweitkandidatin, die nur zum Zuge konnte, wenn der Erstkandidat sein Mandat aufgab oder verstarb. Doell rückte im Wahlkreis Offenburg sogar zwei Mal nach, erst aus dem einen und in der nächsten Legislaturperiode aus dem anderen Grund. Beim dritten Mal wollte sie selber als Erstkandidatin aufgestellt werden. Die Kreis-CDU zog einen Mann vor. Die Frau kehrte der Politik den Rücken.

Noch dreister war der Umgang mit Hildegard Schwigon. Die Stuttgarter Christdemokratin feierte 1976 für die CDU ihr ihrer Heimatstadt einen großen Überraschungserfolg und nahm der SPD ein Direktmandat ab. Der Lohn: ein parteiinterner Gegenkandidat vier Jahre später. Der trat bei der Nominierung durch die Basis ausdrücklich mit dem Verlangen nach einem sicheren Wahlkreis an – und kickte die profilierte Sozialpolitikerin vom Feld. Sein Name: Gerhard Mayer-Vorfelder. In seinen Memoiren rückte er das Foul in mildes Licht: Der Wahlkreis sei damals vakant gewesen, weil die Parteifreundin ins Landwirtschaftsministerium wechselte. Schwigon hingegen beklagte sich auch Jahre später noch über ihre Vertreibung aus dem Landtag – und über das vergiftete Angebot, zum Ausgleich Frauenbeauftragte zu werden.

In alten Gewohnheiten hängen geblieben: CDU und FDP

"Wir sind gewohnt, uns mit Geduld zu wappnen und nichts zu erzwingen", sagt Toni Menzinger in der ersten Landtagssitzung 1976. Endlich eine Präsidentin, allerdings nur für ein paar Minuten. Die CDU-Abgeordnete war die Älteste und hatte ein jahrzehntelanges Engagement auch für Frauenrechte hinter sich. Die Anerkennung hielt sich in sehr engen Grenzen. Wenige Tage vor der konstituierenden Sitzung am 2. Juni ließ sich einer aus ihrer Fraktion zum Vergleich des kleinen Frauenhäufleins mit der terroristischen "Bewegung 2. Juni" hinreißen. Als sich Menzinger im Namen der anderen fünf wehrte, schwangen die Männer eine bis heute gerne genutzte Keule: Es sei wirklich schade, wie wenig Humor manche Frauen besäßen.

In der CDU und bei den Liberalen hat sich besonders wenig verändert über die langen Jahre. Die Südwest-FDP wurde bis vor Kurzem bekanntlich nicht nur von einer Frau – Birgit Homburger – geführt, sondern hatte mit Gabi Heise auch eine von vielen Parteifreunden hoch gelobte Generalsekretärin. Was ihr nichts nützte, denn als Homburger das Handtuch warf, musste Heise gleich mit abtreten. In den neuen 34-köpfigen Landesvorstand samt Beisitzer wurden gerade mal sieben Frauen gewählt. Noch ärger treibt es die Junge Union, an deren Spitze derzeit 17 Männer und eine Frau(!) stehen. 

"Frauen im Fokus" hatte sich die CDU in dieser Legislaturperiode auf die Fahnen geschrieben, sorgt zugleich aber für die Zementierung der überkommenen Verhältnisse. Zu viele Männer in den Regierungsfraktionen wiederum reiben sich – während ihre Kolleginnen ahnungslos für Zustimmung zur Reform werben – die Hände, weil sie sich hinter den Schwarzen verstecken können. Wieder einmal stirbt die Hoffnung zuletzt. Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Charlotte Schneidewind-Hartnagel, will noch nicht glauben, dass ihre Partei zentrale Überzeugungen so leichtfertig über Bord wirft.

Und dann ist da noch Silke Krebs. Die grüne Ministerin im Staatsministerium legt die Messlatte hoch: "Gerade in Gremien, die explizit dazu da sind, die gesellschaftliche Wirklichkeit abzubilden, kann eine Unterrepräsentierung nicht hingenommen werden." Gut gebrüllt, nur leider in die falsche Richtung. Denn gemünzt ist die Analyse nicht auf den Nachholbedarf im Parlament, sondern auf den SWR, dem von der Regierung im novellierten Rundfunkstaatsvertrag gerade eine Quote verpasst wird, was Krebs "mit Stolz" erfüllt. Aus der Frauendebatte hält sie sich, wiewohl als ehemalige Landesvorsitzende hauptverantwortlich fürs Versprechen vor der Wahl, genauso unelegant heraus wie Kretschmann. Dabei ist der Kampf um mehr Gleichberechtigung ein Eckpfeiler der Grünen seit mehr als 30 Jahren: "Die Hälfte der Macht und der Verantwortung für Frauen und Männer – das ist unser gemeinsames Ziel."


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10 Kommentare verfügbar

  • Judith Butler
    am 16.11.2013
    Antworten
    @ooo-Mannomannomaennle
    Vorsicht mit solchen "Quellen."
    Die zitierte Website ist eine radikale und homophobe Fauenhasserseite von irgendwelchen (zu kurz gekommenen? ungeliebten?) Typen, die reaktionär rumgeifern und sich dabei hinter der Anonymität verstecken (kein Impressum). Der weitere Inhalt…
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