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Krieg und Rausch

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Viele Schriftsteller der Romantik waren opiumsüchtig. Goethe schreibt im Faust vom "Inbegriff der holden Schlummersäfte". Herbert Grammatikopoulos hat eine kleine Kulturgeschichte der Droge mit Blick auf das 19. Jahrhundert veröffentlicht. Ein Gespräch mit Buchauszügen.

Herr Grammatikopoulos, wie sind Sie darauf gekommen, ein Buch über Opium zu schreiben?

Meine erste Begegnung mit dem Thema Drogen war, als zwei Mitschüler an einer Überdosis Heroin starben. Ich hatte damals nicht den Funken einer Ahnung, ich wusste nichts über Drogen, es gab keinerlei Aufklärung an der Schule. Ich begann mich mit Herkunft und Auswirkungen zu beschäftigen. Irgendwann habe ich in einem Antiquariat das Buch „Opiumkrieg“ von Rudolf Brunngraber aus den 1930er Jahren gefunden. Ich fand es unglaublich, dass so etwas stattgefunden hat. Da habe ich angefangen, über Opium zu recherchieren. Ich war erstaunt, wie wenig Literatur es in Deutschland dazu gab. Das veranlasste mich schließlich, zu dem Thema meine Magisterarbeit zu schreiben.

[Auszug aus "Opium – Eine kleine Kulturgeschichte und die literarische Avantgarde der Romantik"] Erstaunlicherweise ist das Thema Opium sowohl kulturhistorisch als auch im Zusammenhang mit der Romantik kaum untersucht worden. Wenn Opium überhaupt ein Thema hierzulande darstellt, dann fast ausschließlich als Rauschgift – wobei dann in der Regel als Synonym für Heroin und Morphium. In den letzten Jahren gewin­nen aber zunehmend «künstliche» Drogen wie Crack, Amphetamine und vor allem Crystal Meth an Bedeutung. Gelegentlich taucht Opium noch in Bezug auf die Afghanistan-Kriege auf, dann meist in Zusammenhang als sogenannte Cash-crop zur Finanzierung der Taliban, ter­roristischer oder krimineller Gruppierungen. Selten wird, obwohl gerade hochaktuell, das Opiatproblem in den USA wahrgenommen, hervorgerufen durch eine unsägliche Allianz von Pharmaindustrie und Ärzten, der allein 2016 rund 65 000 Menschen aus sämtlichen sozialen Schichten zum Opfer gefallen sind.

Sie waren selbst in Gebieten unterwegs, wo Opium angebaut wird. Wie kam das?

Zwischen 1984 und 2004 war ich mehrfach in Südostasien und hatte immer wieder Gelegenheit, Entwicklungshelfer in die Gegend um das sogenannte Goldene Dreieck, also das Grenzgebiet zwischen Myanmar, Thailand und Laos zu begleiten. Sie beschäftigten sich damit, welche Alternativen zum Opiumanbau sie den überwiegend nomadisierenden Stämmen anbieten könnten.

Die meisten der Ethnien, Akha, Lisu, Karen, Shan, Hmong, Mien, Lahu Kamu, Tai Dam, Yao, wandern in einem gewöhnlich siebenjährigen Rhythmus von Ort zu Ort, wobei die Waldrodung zur Gewinnung von Ackerboden angewandt wird und der verlasse­ne Boden so Gelegenheit hat, sich zu erholen. Solange die Grenzen durchlässig waren (bis hinein in den Nordosten Indiens, ins südchi­nesische Yunnan und nach Vietnam) und der Bevölkerungsdruck durch eigene demographische Entwicklung stabil war, blieb diese Lebensweise weitestgehend ohne sogenannte «zivilisatorische» Ein­flüsse.
Mit dem Vordringen der Kolonialmächte in diese Gebiete, spä­testens jedoch mit dem Vietnamkrieg und den damit einhergehen­den geopolitischen Interessen, wurde auf das Heftigste in diese nomadisierenden Stammesgesellschaften eingegriffen. Neben eini­gen durchaus positiven Neuerungen, wie beispielsweise Medizin und Schulen, einigen diskussionswürdigen wie Straßen, Radio und Fernsehen, brachte das Vordringen der «modernen» Zivilisationen aber auch Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen und Landraub durch Bergbau, Industrialisierung, Abholzung, Kunst­stoffe und Industriegifte aller Art mit sich. Das Ziel der Entwicklungshilfe, Alternativen zum Opiumanbau zu entwickeln, war häufig verknüpft mit der Sessbarmachung der Nomaden, entweder an ihren angestammten Orten (sofern zugäng­lich) oder durch (erzwungene) Umsiedlung, d. h. Integration in die Mehrheitsbevölkerung, die größtenteils im dichter besiedelten Tief­land lebt. Viele der oftmals zwar gut gemeinten, aber den Bedürf­nissen der lokalen Bevölkerung nicht angepassten Projekte mussten scheitern. Die Förderung von traditionellen Kunsthandwerk gelang durchaus, aber mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen war das un­gleich komplizierter. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es wurde ver­sucht, Tomaten statt Opium in einem Dorf, sieben Tagesmärsche vom nächsten Markt in den Bergen, anzubauen. Die Tomaten (aber auch andere Cash-crops) gediehen zwar einigermaßen auf den kargen Waldböden, aber die Vermarktung scheiterte un­ter anderem an fehlenden Transportmöglichkeiten zu den lokalen Märkten – nach sieben Tagen Fußmarsch waren die Tomaten un­verkäuflich. Folglich haben manche Nomaden wieder Opium ange­baut, dieses ist lange haltbar und leicht zu transportieren.

Welche Rolle hat Opium in der Kolonialzeit gespielt?

Leider eine viel zu große. Ohne Opium, das übrigens im 18. Jahrhundert von den Engländern aus China herausgeschmuggelt wurde, um es in Indien im großen Stil anzubauen und schließlich seine Einfuhr nach China mit kriegerischer Gewalt zu erzwingen, hätten Kolonialreiche wie das britische oder holländische wohl nie so mächtig werden können.

Der Erste Opiumkrieg (1840–1842) wird als Schlüsselerlebnis der modernen Geschichte Chinas verstanden. Vom Westen aus gese­hen war sein Ergebnis die «Öffnung» Chinas (Vertrag von Nanking 1842). Vor allem aber: Die Legalisierung des Opiumhandels in China, der bis 1949 dem Land rund zwanzig Millionen Süchtige bescherte. Aus chinesischer Sicht gesehen markiert der Opiumkrieg das Ende der Ära des bis dato autarken Reiches. Von nun an ist es nur noch ein halbkoloniales und halbfeudales Land, das nun quasi fremdbestimmt wird, wobei die «eigene» Qing Dynastie Handlan­gerdienste leistet. [...]
Opium wurde zur Haupteinnahmequelle für lokale chinesische Kriegsherren und die kaiserliche Regierung, während die Ära der großen und spekulativen Profite der Schmuggler zu Ende ging. In den folgenden Jahrzehnten erzielten alle europäischen Kolonialregierun­gen in Südostasien den Großteil ihrer Steuereinnahmen aus dem Ver­kauf indischen Opiums über lizensierte Opiumhändler an chinesische Einwanderer und an die einheimische Bevölkerung. [...] 1856 versuchte der englische Premier Palmerston (1784–1865), den Konflikt um weiterführende Handelsrechte der Briten und an­derer mit China mit kriegerischen Mitteln beizulegen, doch das Par­lament missbilligte seine Vorgehensweise. Am 1. Oktober 1839 sagte er im Parlament: «Die einzig richtige Art, mit China umzugehen, ist erst einmal kräftig zuschlagen und dann vielleicht in Verhandlungen zu treten». Nachdem das Parlament ihm den zweiten Krieg nicht so einfach machen wollte, setzte Palmerston daraufhin Neuwahlen an, propagierte Patriotismus, prangerte den schlechten Charakter der Chinesen an, etc. Die Wähler schenkten ihm Gehör und so konnte er den Zweiten Opium­krieg beginnen. [...] Endgültig wurde der Opiumhandel legalisiert, dafür durfte China acht Prozent Im­portzoll erheben.
Neben den erweiterten Handelsrechten erlaubte der Vertrag, der 1860 nach Kriegsende mit China geschlossen worden war, auch wieder Missionaren die Einreise in das Reich. In ihren Missions­krankenhäusern war bald das Opiumproblem Alltag. Die Missiona­re standen in Opposition zur britischen Opiumpolitik. 1874 wurde die Gesellschaft zur Unterdrückung des Opiumhandels von Quä­kern und einem ehemaligen chinesischen Missionar gegründet. Da «moralisch Falsches nicht politisch richtig sein kann», bauten diese eine Lobby auf. 1892 wurde der Opiumgegner Gladstone Premier, der dennoch ausgerechnet einen Opiumbefürworter zum Minister für indische Angelegenheiten ernannte!

Und die Romantiker waren allesamt opiumsüchtig?

Bei sehr vielen lässt sich das zweifelsfrei nachweisen, auch bei Goethe beispielsweise anhand der Apothekerrechnungen. In den Werken einen solchen Nachweis zu führen, ist schon schwieriger. Nicht alle beschrieben das Opium oder andere Drogen so eindeutig wie Baudelaire, Rimbaud oder auch Novalis.

Novalis war mit Sicherheit das, was man gemeinhin als einen «Süch­tigen» bezeichnen kann. Zwar taucht das Opium nur am Rande in seinen Werken auf, dafür aber des Öfteren, vor allem in verschlüs­selter Form, meist als Blume, seltener so deutlich wie beispielsweise in seinen «Hymnen an die Nacht» (1800):
«Zugemessen ward / dem Licht seine Zeit
und dem Wachen. / Aber zeitlos ist der Nacht Herrschaft,
ewig ist die Dauer des Schlafs. / Heiliger Schlaf !
Beglücke zu selten nicht / der Nacht Geweihte
in diesem irdischen Tagwerk. / Nur die Toren verkennen dich
und wissen von keinem Schlafe / als dem Schatten,
den du mitleidig auf uns wirfst / in jener Dämmerung
der wahrhaften Nacht. / Sie fühlen dich nicht
in der goldnen Flut der Trauben, / in des Mandelbaums Wunderöl
und dem braunen Safte des Mohns.»
Mit dem braunen Saft des Mohns ist wahrscheinlich «Tinctura Opii simplex» gemeint. Auch in seinen Tagebuchnotizen taucht das Opi­um des Öfteren auf: «Gehts ohne Hoffnung oder sonst zu übel, so bleibt mir Bitter-Mandel-Wasser und Opium». Oder: «Es gibt so manche Blume auf dieser Welt, die überirdischen Ursprungs sind, die in diesem Klima nicht gedeihen und eigentlich Herolde, rufende Boten eines besseren Daseins sind» oder auch jene Zeilen, die er am 6.9.1800 schrieb, nachdem er ein Mittel gegen Magenschmerzen ein­genommen hatte: «Die Welt wird dann in einem Augenblick anders. Selbst das Traurigste erscheint mild. [...] Alle Hoffnungen erwachen; der Nebel verschwindet ...»


Info:

Herbert Grammatikopoulos: Opium – Eine kleine Kulturgeschichte und die literarische Avantgarde der Romantik. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2019, 200 Seiten. Für 16,80 Euro im Buchhandel erhältlich.

Das Buch ist die stark überarbeitete Version der Magisterarbeit des Autors im Fach Empirische Kulturwissenschaften an der Universität Tübingen.


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