Die "Spiegeljahre" sind Baden-Württemberg-Jahre. Stücke aus einer Zeit, die finster war und autoritär, gewalttätig und voller Hass, aber auch schon den Keim des Umbruchs in sich trug. Huby folgt seinem Mentor Rudolf Augstein und schreibt, was ist, aber mit den Freiheiten des Schriftstellers, der ausschmücken darf und keine Gegendarstellung zu befürchten hat.
So nimmt uns sein Alter Ego Christian Ebinger mit ins Büro von Klaus Croissant, dem RAF-Anwalt, der es "total richtig" findet, dass Menschen endlich "aufstehen gegen diesen korrupten Staat." Er erzählt von Gudrun Ensslin, die er zum ersten Mal in der Tübinger Studentenkneipe "Tante Emilie" getroffen hat, "freundlich und sanft", wie er zum Autoverleiher für Jan-Carl Raspe wurde und Andreas Baader, den "ungebildeten Proleten" zum Kotzen fand. Er soll Ulrike Meinhof wahlweise eine "fette Sau" oder "blöde Fotze" genannt haben.
Nahezu gespenstisch ist der Besuch von Jean-Paul Sartre in Stammheim im Dezember 1974. Vor der internationalen Presse bezeichnet der französische Philosoph Baader als Dummkopf, was Dolmetscher Daniel Cohn-Bendit nicht übersetzt. Sartre spricht von Folter in weißen Räumen, Baader wird später berichten, die Situation sei völlig irre gewesen, er wisse nicht, ob er ihn überhaupt verstanden habe.
Filbinger kannte die Parole des Gehörtwerdens noch nicht
Im Januar 1976 bekommt Ebinger von Gudrun Ensslin das Angebot, ein Interview mit den vier Stammheimer Angeklagten zu führen. Es wird ein schriftliches Hin und Her, bis es halbwegs lesbar ist. Anwalt Croissant besteht darauf, das verschriftete Gespräch persönlich nach Hamburg zu bringen, aber es gibt keinen rechtzeitigen Flug mehr, also ab in den Learjet. In der "Spiegel"-Kantine trifft sich Croissant mit Hellmuth Karasek, den er aus dessen Zeit bei der "Stuttgarter Zeitung" kennt, und alle warten auf Rudolf Augstein, der sich die Entscheidung vorbehält. Drucken oder nicht? Am Ende fragt er Ebinger und der rät zum Ja. Nachzulesen ist das "Gespräch" im Heft vom 26. Januar 1976.
Das sind die Geschichten, die Geschichte nochmals leben lassen. Erlebt und aufgeschrieben von einem, der dabei und schlagstockerfahren war, und ein feines Gespür dafür hatte, was um ihn herum geschah. Manchmal erschien es Christian Ebinger, notiert Huby, "als sei das ganze Land von einer Lähmung befallen, als sprächen die Menschen leiser und bewegten sich vorsichtiger". Nach der Schleyer-Entführung im September 1977 sowieso. Es war ratsam, beide Hände sofort aufs Lenkrad zu legen, wenn die Polizei anhalten sagte. Sonst hätte eine putative Erschießung erfolgen können.
Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg hieß damals Hans Karl Filbinger. Zu jener Zeit kannte man die Parole des Gehörtwerdens noch nicht, da wurde gemacht, was die CDU ("Freiheit statt Sozialismus") befahl, und der Vorsitzende befahl gerne. Zum Beispiel das Atomkraftwerk Wyhl zu bauen, andernfalls gingen im Land die Lichter aus. Das haben die Winzer schon damals nicht geglaubt und so lange "nai gsait", bis Filbingers Nachfolger Lothar Späth befand, Wyhl sei politisch nicht durchsetzbar.
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