KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Vorhang auf!

Vorhang auf!
|

Datum:

Eine Gruppe von Menschen wird von Corona besonders hart getroffen. Nicht, weil sie besonders gefährdet ist, sondern weil das Virus droht, sie in den Ruin zu treiben. Es sind die freien Kulturschaffenden, die keine Bühne mehr haben. Wir bieten ihnen jeden Tag eine virtuelle. In Folge 36 unserer Serie geht der "Vorhang auf" für Tamara Kapp!

Tamara Kapp ist eine multiple Persönlichkeit. Zumindest in künstlerischer Hinsicht. Sie malt, zeichnet, fotografiert, filmt und macht – und das nicht zu knapp – Musik. Als Ein-Frau-Band "Singsong-Girl" pendelt sie zwischen Chanson, Elektro und Punk und bettet ihre Songs in kleine Animationsfilm-Kunstwerke, in dem schrägen Post-Proto-Noise-Punk-Duo "Der Schöne und die Biest" huldigt sie, an Schlagzeug und Gesang, dem gepflegten Lärm, und seit kurzem ist sie auch noch "Mireille Marteau". Nach den ersten an die Sängerin Mireille Mathieu erinnernden Silben kommt sozusagen der Hammer, denn das bedeutet "Marteau" auf französisch. Was aber nichts mit einem besonders brachialen Musikzugang zu tun haben soll – "es musste einfach ein doofer Name her", sagt Kapp und lacht.

Solange Corona die Welt in Atem hält und die Bühnen, Ausstellungen und Konzertsäle im Land geschlossen sind, gibt es jeden Tag eine neue Folge des Kontext-Vorhangs. Alle Folgen der vergangenen Wochen sind hier zu finden.

Anfang April, schon in der Corona-Zeit, entstand diese neue musikalische Identität. "Ich wollte eigentlich Videos mit Drum-Covers machen und habe mir als erstes einen Beatles-Song, 'Something' herausgesucht. Der wurde aber sofort wegen der Rechte auf Youtube gesperrt", erzählt Kapp. Sie suchte weiter nach Songs, wo keine Probleme zu erwarten waren, stieß erst auf Bonnie Tylers "It's a Heartache", das wurde zum ersten Mireille-Marteau-Video, und dann auf "People Are Strange" von den Doors – dem sie in der hier präsentierten Fassung auch noch eine französische Strophe spendiert. Passt ja auch irgendwie zu den strangen times gerade. Und passend zu denen trägt Kapps Alter Ego am Bass auch Mundschutz, aber mit, Rock'n'Roll halt, Kippe. Das Video hat sie auch hier selbst gemacht, hat sich dabei nicht nur zur Band, sondern auch noch zu einer Tänzerinnentruppe vervielfältigt.

"Ich bin als Punk groß geworden", sagt Kapp, das Do-It-Yourself-Prinzip hat sie verinnerlicht, "ich mache einfach". In Luxemburg ist sie aufgewachsen, der Hang zur Kunst war immer schon da, Malen und Zeichnen zuerst. Malerin war das große Ziel, nach dem Abitur bewarb sie sich bei drei Kunstakademien in Deutschland, "in Stuttgart wurde ich zur Prüfung zugelassen", also ging sie 1993 dorthin. Und blieb. Zur Musik kam sie erst hier; auf einer Party lernte sie Friz, den Bassisten der Stuttgarter Noise-Rock-Kultband Wank kennen, "er sagte zu mir: Wie wär's, lern doch mal Bass", erinnert sich Kapp. Sie lernte, begann auch zu singen. Vor vier Jahren kam noch das Schlagzeug dazu, wo sie nach eigenen Angaben noch eher dilettiert.

"Crossmedia-Künstlerin" nennt sich Kapp selbst, kombiniert gerne die Genres. Ihre Musik begleiten neben selbstgemachten Videos auch noch selbstgezeichnete CD-Cover und Tonträger – jede CD ist dabei ein Unikat, ist von Hand mit einer anderen Zeichnung gestaltet – und die Konzertplakate macht sie natürlich auch. Daneben hatte sie auch schon Dutzende Ausstellungen mit ihren Zeichnungen und Gemälden, deren schräg-grotesker Charme bisweilen leicht an die Bildwelten von US-Regisseur Tim Burton erinnert.

Trotz dieser breiten künstlerischen Aufstellung kann Kapp von der Kunst allein längst nicht leben. Dank einer Luxemburger Spezialität, dem "Statut d'artistes", einem monatlich zu beantragenden Grundeinkommen für Künstler, kommt sie aber über die Runden und verdient sonst dazu "mit mal Plattenauflegen, Putzen oder Tiere Versorgen". Corona hat daher ihre Einkommenssituation noch nicht allzu bedrohlich verändert, seit Beginn der Maßnahmen ist sie allerdings nicht mehr in Stuttgart, sondern in Rheinland-Pfalz bei ihrer Mutter, hilft dieser im Alltag. Die Wohnung in Stuttgart hat sie noch, mehr als die fehlt ihr aber momentan etwas anderes: "Ich gehe gerne in Kneipen, treffe Leute. Da habe ich langsam richtig Entzugserscheinungen."

Mehr von Tamara Kapp auf ihrer Homepage. https://tamaraka.jimdofree.com/

Virtuelle Bühne bei Kontext

Weil Corona den Kulturschaffenden ihre Bühnen nimmt, wollen wir als Medium eine virtuelle bieten. Wenn wir es schaffen, wechseln wir täglich die Stücke, damit möglichst viele ihren Auftritt bekommen. Den Auftakttext zum Projekt gibt es hier nachzulesen. Spenden bitte direkt an die KünstlerInnen.

Folge 36: Vorhang auf für Therese Degen!


Freitag, 8. Mai

Jetzt nicht mit dem Hula-Hoop-Reifen kommen. Der hat nun gar nichts mit ihrer Passion, dem hawaiianischen Hula-Tanz zu tun. Manche erinnern sich noch, an die 1980er-Jahre, als ein Reifen mittels Hüftschwingen in Bauchhöhe gehalten werden musste. Das ist wie Baströckchen und Kokosnuss-Büstenhalter, Hollywood-Kitsch. So etwas macht eine promovierte Sprachwissenschaftlerin nicht. Und so eine ist Therese Degen, 41, die in ihrem Philosophiestudium über Heidegger und Sloterdijk gearbeitet hat, und trotzdem auf dem Boden geblieben ist. Ein Studienkollege hat sie zum Hula-Tanz gebracht, der erdet und zugleich elegant ist. Sie habe das Kraftvolle und Energische gesucht, erzählt die Stuttgarterin, und dort gefunden. 

Dieser Spielart der polynesischen Tanzkunst wird in der ursprünglichen, nicht verkitschten Form,  als Herzschlag des hawaiischen Volkes betrachtet. Mit dem Hula erzählt es, begleitet vom Sprechgesang und der Kalebassentrommel, seine Geschichte, die immer eine Geschichte von Einwanderungen, Missionierungen,  Unterdrückungen, aber auch des Aufbegehrens war.  Zum Beispiel gegen die westliche Kultur der USA, die sich die Inselgruppe 1898 einverleibt und später zum 50. Bundestaat gemacht hatte. 

Unter dem Motto "Jeder kann tanzen" ist Therese Degen seit 15 Jahren mit dem Hula-Tanz unterwegs, als Akteurin und Lehrerin. Natürlich hofft sie, wie alle KünstlerInnen, dass die Zeit der Liveauftritte und der Workshops bald wieder kommen möge. Die Tanzruppe Manu To'erau, mit der Degen hier im Video zu sehen ist, ist auch bei Facebook

Folge 35: Vorhang auf für Gez & Geli!


Mittwoch, 6. Mai

Gerade hängt er Bilder seiner SchülerInnen auf, gestaltet die Gänge der Erzieherinnenschule St. Loreto in Schwäbisch Gmünd völlig neu. So hat Gez Zirkelbach wenigstens ein bisschen zu tun. Hier in Loreto unterrichtet er normalerwiese Kunst. Normalerweise. Nun freut er sich, dass die Schule ihm eine Aufgabe gegeben hat, die schon lange anstand: das künstlerische Lifting der Gemeinschaftsflächen.

Nicht nur sein Kunstunterricht in Loreto und an der Schwäbisch Gmünder PH fällt derzeit flach. Denn Gez Zirkelbach ist vielseitig unterwegs: Er ist bildender Künstler, Maler, Musiker, Hochschullehrer. Seit dem Studium der Malerei an der Kunstakademie in Stuttgart ist er freiberuflich im "Atelier4-Malerei Performance Musik" mit dem Maler Andreas Heinrich Adler in Schorndorf verbunden. Und seit 1986 spielt er auch mit der Musik- und Performancegruppe "Der Trieb". Geplant war bei der diesjährigen Kunstmesse Schwäbisch Gmünd eine Performance mit dem Münchner Aktionskünstler Martin Stiefel. Corona hat auch diese Musikpläne zunichte gemacht.

Und sämtliche Konzerte. Das gilt auch für seine Pop-Rock-Soul Band "Cassandra & The Boyz" und von "Gez & Geli" gleich mit dazu, denn der musizierende Maler spielt in vielen Formationen. Auch auf der Montagsdemo-Bühne gegen S 21 ist er immer wieder zu sehen und zu hören: mit Gez & Blues Band,  oder gemeinsam mit seinem Sohn, dem Musiker Luis Zirkelbach. "So viermal im Jahr spielen wir gegen S21", sagt der versierte Gitarrist, zuletzt bei der 499. Montagsdemo. Oh, hat er da gedacht, die 500. hätte sicher mehr Publikum versprochen. Schwamm drüber.

Für die Kontext-Bühne hat er zusammen mit Angelika Fischer etwas "Rhythmisches und Mutmachendes" gesucht. In dem Video mit seiner Formation "Gez & Geli", dem Duo für selbstkomponierte Songs und Improvisationen – "gefühlvoll, nachdenklich, politisch", so die Selbstbeschreibung –, will er mit "Along the Wind" eine Spitze gegen den Mainstream setzen und gleichzeitig Mut machen. Nicht warten, sondern handeln, jetzt – auch allein oder mit wenigen Vertrauten, so seine ebenso trotzige wie positive Maxime.

Als einer der Vertreter im Team des Landesvorstands und im Bundesvorstand der Bildenden Künstler in verdi weiß er, wovon er spricht. Dort setzt er sich seit Jahren für die Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen für KünstlerInnen ein. So sieht er die derzeitige Krise auch als Chance für grundsätzliche Verbesserungen. "Ausstellungshonorare und Grundgehalt sind die Themen der Zeit", sagt Zirkelbach zuversichtlich. Und dann ist da diese überwältigende Solidarität, die er persönlich erfährt: "Leute rufen mich an, fragen, ob ich Unterstützung brauche." Für Corona-Depressionen hat Gez Zirkelbach keine Zeit.

Mehr Informationen unter: www.mediarta.de

Lyrics: Along the Wind (T./M.: Gez)

Left my body in the morning, flyin to a land out there and I keep along the wind
Flyin with my silver wings, under me those 'Little Things' and men and women and children
And I'm lookin at the world with the eyes of a bird, now I’m feelin real right free
And my eyes are searching you, searchin with the eagle view, searching you, you angry man

Without protection walkin in the dark, walkin down to your own Jurassic Park,
Life is a fight it's hard and not right, if one are rich and the others not in light

Das Leben ist ein Kampf, doch sei nicht so verkrampft, sonst läufst Du Gefahr, dass Deine Seele abdampft
Che Guevara's Poster ist noch keine Revolution, veränder Dich selbst und lass mal alles los

Along the Wind (Mainstream), Along the Wind (Mainstream)
Along the Wind, Along the Wind


Gez Zirkelbach: Gesang und Gitarre
Angelika Fischer: Cajón und Percussion
Video by Thea Rinderli, Schauspielerin/Performerin, ITZ Zimmertheater, Tübingen


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!