KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Im Namen der Freiheit

Im Namen der Freiheit
|

Datum:

Geht es nach dem Willen der EU, sind Zigaretten demnächst genauso normiert wie einstmals die Krümmungsradien von Spreewaldgurken. Vom Etikett strahlt dann aber nicht die freundliche Bäuerin, sondern der zahnlose Kiefer eines Kettenrauchers. Ein Unding, findet die Tabakindustrie und wirft die Freiheit des mündigen Rauchers in die Waagschale. Wieso eigentlich?

So hübsch bunt sieht's im Regal vielleicht bald nicht mehr aus. Foto Herbert Grammatix

Michael Schmid steht in seinem kleinen Kiosk im Stuttgarter Heusteigviertel und füllt die Tabakregale auf. Er hat gute Laune, das Geschäft läuft: Ein Kunde nach dem anderen kommt in "Michas Lädle", der Besitzer kennt die Vorlieben jedes Einzelnen, Zweifler werden beraten, Vorratsdosen verkauft, der Tod steht bunt verpackt im antiken Regal. Aus seinem Laden könnte bald ein "Horrorkabinett" werden, fürchtet der Besitzer und Schuld hat die Europäische Union. Die regelt ja gerne mal alles, woran vorher keiner gedacht hat. 

Kaum war mit Tonio Borg der neue EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz im Amt, stellte die EU-Kommission einen Entwurf für eine neue Tabakproduktrichtlinie vor. Was nicht heißt, dass es nun eine EU-eigene Tabakproduktlinie gibt, auch wenn Europa jahrelang badische Tabakbauern subventioniert hat. Nein, das 68 Seiten umfassende Papier beinhaltet den blanken Horror für Zigarettenlobby, Händler und Raucher: Drastische Bilder von gut geteerten Lungen und faulenden Zähnen auf der Verpackung sollen den Rauchern das Rauchen und den Profiteuren das Geschäft vermiesen. 

Damit die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub nicht mehr allzu attraktiv ist, sollen auch die Marken-Logos vereinheitlicht werden. Und, typisch EU, die Normzigarette steht gleich mit auf dem Programm. Aromastoffe sollen verboten, Längen und Durchmesser der Glimmstängel vereinheitlicht werden. Warum auch soll es Zigaretten besser ergehen als dereinst Gurken und Bananen? "Am allermeisten stören mich die Bilder", sagt Michael Schmid. Der Tabak- und Zeitschriftenhändler bringt viel Verständnis auf für verbesserten Jugendschutz, Zigarettenautomaten sähe er am liebsten abgeschafft und bis zum Werbeverbot sei die EU in Sachen Tabak auch auf einem "wirklich guten Weg" gewesen.

Die Schockbildchen auf den Packungen gehen ihm bei allem Verständnis dann doch zu weit, die Vereinheitlichung des Packungsdesigns auch. "Dann haben wir eine Einheitszigarette und keine Marken mehr." Eine Marke richtig zu kommunizieren werde den Herstellern unmöglich gemacht. 

Das Spiel mit der Sehnsucht

Funkstille zwischen Produzent und Verbraucher also, eine Zigarette wäre nur noch – eine Zigarette. Und als Lifestyle-Symbol erledigt.

Günter Hribek, Geschäftsführer am Centrum für Marktforschung der Universität Passau, kann viel erzählen darüber, was Marken denn eigentlich sind: "Sehr stark emotional aufgeladene Produkte." Dafür wird eine sogenannte Markenpersönlichkeit entworfen. "Da wird immer etwas suggeriert", sagt Hribek. Zum Beispiel "Lagerfeuerromantik, Freiheit und Abenteuer" wie in der Marlboro-Werbung. Mal mehr, mal weniger subtil spielen die Hersteller mit der Sehnsucht nach Freiheit, Vollkommenheit und Selbstbestimmung – die bei genauer Betrachtung der kapitalistischen Sachlage ohnehin nur Worthülsen sind.

Über die Prestigefunktion einer Marke könne der Käufer eine Konsumfassade aufbauen, sagt Günther Hribek. "Das ist Imponiergehabe." Prestige und Qualitätssicherungsfunktion, diese beiden Punkte seien die wichtigsten zur Führung einer Marke, so der Marktforscher. Die Kehrseite einer solchen Markenpolitik sei, dass eine Markenpersönlichkeit erst einmal aufgebaut und nach außen kommuniziert werden müsse – mit millionenschweren Werbeetats. 

Es hat sich ausgequalmt. Foto: Joachim E. RöttgersWenn der Vorschlag der EU-Kommission in Kraft treten sollte, sieht auch Hribek schwarz in Sachen Marke. Zumal eine Zigarette sich kaum von der anderen unterscheidet. "Das Produkt an sich ist bei Zigaretten in erster Linie die Verpackung." Bei gleich aussehenden Schachteln wäre es für die Hersteller kaum möglich, sich auf dem milliardenschweren Markt zu positionieren. Hribek erwartet deshalb, dass die Hersteller gegen das Gesetzesvorhaben klagen werden. "Das geht in Richtung Einschränkung der Geschäftstätigkeit."

In einer Pressemitteilung reagierte der Deutsche Zigarettenverband (DZV), der sich auch als – ebenso ungebetener wie unlegitimierter – "Interessenvertreter der rund 20 Millionen Konsumenten von Tabakprodukten in Deutschland" versteht, erwartungsgemäß harsch auf das Papier aus Brüssel. Die geplanten Maßnahmen seien maßlos und überzogen, die beabsichtigte Wirkung höchst zweifelhaft. "De facto wird die Industrie über Nacht enteignet, indem über Jahrzehnte aufgebaute Marken zerstört werden."

Ideelle Enteignung? Gewaltsame Zerschlagung eines Industriezweigs durch wild gewordene Eurokraten? Auf Nachfrage der Kontext-Wochenzeitung legt Geschäftsführer Dirk Pangritz noch eine Schippe drauf: Schaue man die Vorschläge der EU-Kommission an, werde deutlich, dass es nicht mehr um Aufklärung über die Gesundheitsrisiken des Rauchens geht, sondern "zum einen die Rechte einer legalen und bereits heute hoch regulierten Branche massiv beschnitten und zum anderen die erwachsenen Konsumenten in ihrer Entscheidungsfreiheit bevormundet werden".

Den freien Willen darf man anzweifeln

Aha. Wofür aber entscheidet sich der mündige Konsument da eigentlich so frei? Zumal in Deutschland jährlich rund 140 000 Menschen an den Folgen ihres Tabakkonsums sterben. Pangritz' 20 Millionen Raucher bundesweit zugrunde gelegt, wäre das eine Mortalitätsrate von immerhin 0,7 Prozent im Jahr. Beachtlich. Auch darf man die Sache mit dem freien Willen angesichts einer Sucht, die in ihrer Intensität von wissenschaftlicher Seite mit der Heroinabhängigkeit gleichgestellt wird, beruhigt in Zweifel ziehen.

Trotzdem, ob es nun um eine Verbesserung des Nichtraucherschutzes geht, um Werbeverbote oder um den Entwurf der EU-Kommission: Immer steht gleich die Freiheit des Rauchers/Konsumenten/mündigen Bürgers zur Disposition. Was selbst aufgeklärt-abhängige Raucher wie die Autorin zuweilen verwundert. Hier sei die berühmte Zigarettenlänge zum Nachdenken dazwischengeschaltet – gleichsam die Zeiteinheit des 20. Jahrhunderts. Anders als die Pfeife oder die bourgeois wirkende Zigarre ist die Zigarette ein schneller Genuss. Und eine langsame Art, eines frühen Todes zu sterben. Freiwillig, versteht sich, und zum Wohle eines demnächst vom Aussterben bedrohten Industriezweigs – der ein Produkt herstellt, das heute ob seiner Gefährlichkeit für Leib und Leben gar keine Marktzulassung mehr bekommen würde.

Was ist dran am freien Rauch für freie Bürger? Philosophisch betrachtet ist es mit der freien Entscheidung zum Zigarettenkonsum nicht weit her: Es gibt wohl kaum eine unfreiere Handlung als jene, die aus der Sucht geboren wird. Was jedem vernünftig denkenden Menschen klar ist. Dieses Problem hat die Tabakindustrie früh erkannt – und die Freiheit in ihr Markenportfolio aufgenommen. Ob der Marlboro-Cowboy durch endlose Weiten in den Sonnenuntergang reitet, das Camel-Männchen die Welt entdeckt oder keiner mehr ein "Maybe" sein will: Die Verheißung von Freiheit, Abenteuer und Individualität ist in der Zigarettenwerbung ausgeprägt wie sonst nirgends.

"Ein hochgradig spannendes Thema" sei diese Diskrepanz zwischen Freiheit und Sucht, sagt Günther Hribek. Während Suchtkranke gewöhnlich versuchen, möglichst lang eine gesellschaftlich passable Fassade aufrechtzuerhalten, schämt sich der Raucher nicht, seine Abhängigkeit in die Öffentlichkeit zu tragen. Im besten Falle geht er damit sogar noch als cool durch. Sozial akzeptiertes Verhalten nennt die Wissenschaft das: die Abhängigkeit als Normalzustand – auch sprachlich. So gibt es Fußgänger und Autofahrer, aber keinen Nichtradfahrer. Den Nichtraucher aber gibt es, als Ausnahme von der Regel. Und die Regel ist der Raucher.

Pure Vernunft darf niemals siegen

Wäre ja schade, wenn nur noch die Vernunft regieren würde, meint der Wiener Philosoph Robert Pfaller. Er hat ein Buch geschrieben über die Frage, wofür es sich zu leben lohnt. Und in einem <link http: www.spiegel.de spiegel kulturspiegel d-78644906.html external-link-new-window>Interview mit dem "Kultur-Spiegel" gesagt, das seien eben die "verschwindend kleinen Dinge" wie das Bier mit Freunden oder die Zigarette zum Kaffee. Aber, sagt er gegenüber Kontext, die heutige Gesellschaft sei genussfeindlich: "Weil wir das Ungute, das edem Genuss anhaftet, heute nicht mehr ertragen: Alkohol berauscht und schädigt die Leber; Sex ist unappetitlich und unanständig; Musikhören ist Zeitverschwendung und so weiter."

Wir müssen leider draußen bleiben. Foto: Martin Storz

Ein Plädoyer für die gefährlichen Freuden des Lebens also? In dieser Kategorie kommen Zigaretten ganz gut weg. Die pure Unvernunft, verbunden mit der Aussicht, weniger lang, aber dafür schnell und genüsslich zu leben, macht den Reiz des Rauchens aus. Auch wenn das durchschnittliche Raucherleben weder auf der Überholspur noch auf dem Selbstverwirklichungstrip stattfindet. "Live fast, die young", diesen Satz aus der Hochzeit des Rock 'n' Roll hört man kaum mehr. Gut ist, was gesund ist: Bio-Gemüse, Wellnessurlaub, Dauerdiät. Wir leben in einem lustfeindlichen Zeitalter. Rauchen als hedonistischer Moment des Ausbruchs, auch diesen Aspekt bedient die Marketingmaschine der Tabakindustrie perfekt.

Die Schreiberin dieses Textes hat sich selbiger Masche bislang gern bedient: Die Zigarette dient als Handschmeichler, Pausenglocke und Beschäftigungsversuch im Leerlauf gleichermaßen. Macht manchmal Spaß, ist oft überflüssig und gelegentlich ein Ärgernis. Trotzdem, das Rauchen gehört dazu. Bis wieder eine Diskussion aufkommt über Raucher und Nichtraucher, Schutz und Sucht, Mündigkeit und Marktwirtschaft. Und einmal mehr die Freiheit zum Totschlagargument wird, benutzt von einer Suchtmittelindustrie und einem Heer abhängiger Konsumenten. Dann nämlich taucht irgendwoher der Gedanke auf, dass nicht etwa die eigene Freiheit verteidigt wird. Sondern die Freiheit einer auf Gewinnmaximierung ausgelegten Mordindustrie. In solchen Momenten freut man sich insgeheim über EU-Gesetzes-Vorschläge, Einheitszigaretten und Schockbildchen. Und kommt in der Folge vielleicht irgendwann zu einer wirklich freien Entscheidung: Schluss damit.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


5 Kommentare verfügbar

  • Martin
    am 05.10.2013
    Antworten
    Liebe Raucherin, Ihr trefflicher Artikel ist mir ein dankbarer Hinweis, dass sich Intelligenz und Rauchen doch nicht ausschließen. Ich gehöre nämlich zu den notorischen Qualmverächtern, die ihre Lustfeindlichkeit mit einem lustvollen Gefühl der Erhabenheit über diese vermeintlichen Untermenschen…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!