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Der Gute-Laune-Bär

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Wolfgang Dietrich war – journalistisch betrachtet – ein Glücksfall. Ob als S-21-Sprecher oder VfB-Präsident, der 71-jährige Autokrat war immer für einen kritischen Kommentar gut. Unser Autor wusste das zu schätzen. Jetzt ist er auf Claus Vogt, den neuen Präsidenten, gespannt.

Der neue Mann beim VfB ist sogar – trotz des neuerlichen, in bester Klepperlesverein-Manier durchgezogenen Trainer-Theaters um den entlassenen Tim Walter – fast immer so gut gelaunt, dass dieses Lachen und "Mein Lieber"-Sagen für die Miesepetrigen unter uns fast an Penetranz grenzt. Bevorzugt klopft Vogt fest auf Schultern und zeigt dabei ein strahlend weißes, kräftiges Gebiss, das mühelos mit Jürgen Klopps porzellanartigen Zahnreihen in einer Liga spielen könnte. In schönstem Schwäbisch ertönt sein lautes Organ, so fröhlich, als wäre er der Gute-Laune-Bär. Und womöglich haben ihn die grauen Herren von der Fußball-AG des VfB auch genau deshalb Präsident werden lassen: Damit der Frohsinn eines putzigen Grüß-Gott-Onkels die Mitglieder von den dunklen Seilschaften ablenke, die seit vielen Jahren an der Mercedesstraße die Fäden ziehen.

Dass die Musik beim VfB auch nach dem Abgang des Spalter-Präsidenten Dietrich nicht im Verein, sondern in der AG spielt, wo der Profifußball gesellschaftsrechtlich organisiert ist, das macht schon ein Blick auf die Mitarbeiterzahlen deutlich: Da sind bei der Aktiengesellschaft mehrere Hundert Menschen beschäftigt, während beim 70 000 Mitglieder zählenden Verein laut Ausgliederungs- und Übernahmevertrag vom 18.4.2017 insgesamt sechs Mitarbeiter und einige Aushilfen angestellt sind. Symbolische Aktionen wie die Besetzung der Büroräume sorgen dem Vernehmen nach für weitere Klarheit darüber, wer beim VfB das Sagen hat: Im traditionellen Präsidentenbüro residiert jetzt angeblich der Vorstandsvorsitzende Thomas Hitzlsperger – und der lasse wenig Bereitschaft erkennen, da wieder auszuziehen. Möglicherweise wird "Hitz, the Hammer" diese Büro-Behauptung aber ähnlich rigoros via Twitter als "Fake News" brandmarken wie die Gerüchte um die bevorstehende Entlassung des Trainers Tim-Walter und die angeblichen Nachfolge-Kandidaten, wer weiß … 

Ausgabe 443, 25.09.2019

Seltsam riecht der Wind of Change

Von Christian Prechtl

Der VfB Stuttgart kickt zwar nur zweite Liga, demonstriert mit ansehnlichen Aktionen und erkennbarem Einsatzwillen aber, dass da ein Team ist, das Bock auf Fußball hat. Abseits des rein Sportlichen sieht es in Sachen Profifußball beim VfB allerdings etwas anders aus.

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Man darf also gespannt sein darauf, wie der neue Präsident Claus Vogt sich im Stuttgarter Machtgefüge positionieren wird. Ob er das Rückgrat hat, sich gegen einen mit allen Wassern gewaschenen Machtmenschen wie den Daimler-Personalchef und VfB-Aufsichtsrat Wilfried Porth durchzusetzen? Ob er sich mit dem fensterlosen Abstellraum am Ende des Flurs als neuem Büro begnügt oder ob sich eine andere Lösung findet, eine, die ihn nicht als Verlierer dastehen lässt? Ob es ihm gelingt, im verminten Tagesgeschäft voller Blitzlichtgewitter und Profilneurosen nicht nur den Durchblick, sondern auch seine gute Laune zu bewahren? Und vor allem, ob er es schafft, "seinem" Verein VfB Stuttgart von 1893 e.V., den ihm rechtlich zustehenden Einfluss zurückzuerobern, den sich mittlerweile fast vollumfänglich die VfB Stuttgart AG einverleibt hat?

Wo ein obskures Dreiergremium namens Präsidialrat, bestehend aus Wilfried Porth, Hermann Ohlicher und Bernd Gaiser fast alle Entscheidungen trifft, die dann, falls erforderlich, vom AG-Aufsichtsrat (dem alle drei Herren ebenfalls angehören) abgenickt werden. Wo sich ein völlig unerfahrener Thomas Hitzlsperger im Rennen um die Position des Vorstandsvorsitzenden durchsetzen konnte, obwohl sich dem Vernehmen nach neben Jürgen Klinsmann auch etliche weitere, teils durchaus erfahrene Personen für diese Position beworben hatten, deren Namen aber, anders als jener des Herrn Klinsmann, nicht an die Öffentlichkeit gelangten. Womöglich wäre ja einer dabei gewesen, der in der Lage ist, auch mal die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt zu treffen und damit das ewige VfB-Muster zu durchbrechen, das da lautet: Kontinuität fordern und 180-Grad-Wenden fahren. 

Dass der Verein VfB Stuttgart insgesamt fast 88 Prozent der Anteile an der VfB Stuttgart AG hält, diese Tatsache gerät bei all dem Ballyhoo im Milliardenzirkus Profifußball gerne mal in den Hintergrund und damit genau dorthin, wo sie die alten Seilschaften beim VfB inklusive des Ex-Präsidenten Dietrich haben wollten. So wird eine Hauptaufgabe des neuen Vereinspräsidenten darin bestehen, diese Tatsache wieder ganz nach vorne zu stellen, mitten ins Licht: Was in der AG entschieden wird, darüber hat der Verein von allen Beteiligten am allermeisten mitzureden.

Und ob der Neue als Aufsichtsratsvorsitzender der VfB Stuttgart AG den Gute-Laune-Bär geben wird, den sich die grauen Herren von ihm erwarten, oder ob er so kraftvoll zubeißen wird, wie sein Gebiss es vermuten lässt – die einen werden das eine hoffen, die anderen werden das andere fürchten. Also: auf ein Neues. Mit Biss.


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