Haible zieht eine direkte Linie zwischen Kirchennähe und dem Kulturangebot des DGB, der seine Mitglieder in kitschige Theaterstücke schickt. Hier Haibles Schreiben im Wortlaut:
"Nachdem der DGB seine diesjährige Erste-Mai-Demo mit einem ökumenischen Gottesdienst beginnt, wundert es mich auch nicht, dass bei unserer letzten Theatermiete Helmuth James von Moltke ('In der Mitte des Netzes' – d. Red.) auf dem Programm stand. Aristokraten erfreuen sich bei unseren Mitbürgern einer mir schwer verständlichen Beliebtheit. Nun wird also ein Teil jenes für unsere Republik staatstragenden Widerstandes in dem kleinen, schlecht belüfteten Theater gefeiert. Und entsprechend zum Aristokratenhype in kitschiger oder vielleicht besser sentimentaler Art und Weise.
Wir dürfen an Liebesbriefen von v. Moltke an seine Frau teilhaben, von einem Schauspieler und einer Schauspielerin gelesen, die dazu auf der Bühne noch ein bisschen illustrierendes Turteltauben-Gehabe produzieren und uns die Fußnoten erklären. Die gute Frau Freya v. Moltke wird gewusst haben, warum sie diese Briefe erst nach ihrem Tode veröffentlicht haben wollte. Nun bestreite ich deren Nutzen für die historische Forschung nicht unbedingt, freilich gehört es zu der bei uns betriebenen Verkitschung der Nazis und auch dieses Teiles des Widerstandes, dass Privates überhaupt in die Öffentlichkeit gezerrt wird, und je schauriger der Hintergrund, umso mehr Gefühle produziert – beim emotional ausgelaugten beziehungsweise gefühlsverarmten Publikum.
Nun wäre eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit dieser Art und dem bei uns staatstragenden Widerstand (Stauffenberg usw.) durchaus wünschenswert, denn die meisten dieser „Widerstandskämpfer“ waren nicht gegen Krieg und Antisemitismus, schon gar nicht gegen die Vernichtung des Bolschewismus, sondern nur gegen die unfeine Art der Nazis; ja, und helle genug, irgendwann zu sehen, dass das kein gutes (siegreiches) Ende nehmen würde.
Nun, dieses Theaterstück haben wir nicht gesehen, stattdessen eine sogenannte szenische Lesung mit etwas Getändel auf der Bühne, unterbrochen von Musikhäppchen, wohl wie die Zuschauer das vom Radio her so gewöhnt sind: sentimentale Stimmung eben, statt Verstand, eine große Liebesgeschichte in einem kleinen Theater, politisch korrekt. Mein Vorschlag: bei dem nächsten derartigen Theaterstück könnten Sie eine Warnung mit den Eintrittskarten mitschicken: unterhaltsamer Staatsbürgerunterricht im Sinne der herrschenden Parteien."
Die Antwort von Haibles "Betreuungssekretär" Oliver Klug (Verdi) fiel knapp aus:
"Lieber Wolfgang, schon mal was von Toleranz gehört? Du brauchst ja nicht zum Gottesdienst kommen. Zur Maikundgebung aber bitte schon. Gibt übrigens schlimmere Dinge, über die man sich aufregen kann."
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