Noch bevor die Klingel ertönt, steht Ursula Barner schon in der Tür: "Grüezi", sagt sie. Hier in Büsingen, 20 Kilometer südwestlich von Singen, ist die Lehrerin aufgewachsen. Hier in diesem verschlafenen Dorf, in bester Lage zwischen Wald, Rhein und der Schweizer Stadt Schaffhausen. Wenn Barner das Wohnzimmerfenster öffnet, hört sie aus kaum fünf Metern Entfernung den Fluss rauschen.
Trotz dieser Idylle haben Barners Kinder die Gemeinde längst verlassen. "Eigentlich würde meine Tochter gerne zurückkommen", sagt die 58-Jährige, "aber wer macht das schon." Barner ist Deutsche, spricht aber Schweizer Dialekt. In Büsingen, der einzigen Exklave Deutschlands, ist vieles anders - und vieles liegt derzeit im Argen.
Die Jungen verlassen Büsingen und kommen nur zweimal die Woche zurück: am Dienstag und am Freitag. Dann trainiert der Turnverein, der größte und wichtigste Verein im Ort. Sie kommen aus der Schweiz, aus Schaffhausen oder Dörflingen, ihr Auto stellen sie vor der "Exklavenhalle" ab. Lebendig wird es tagsüber in der baden-württembergischen Gemeinde nur an schönen Sommertagen, dann kommen sie von überall her ins Freibad. Ansonsten ist die Gemeinde wie ausgestorben. Büsingen ist die älteste Gemeinde Baden-Württembergs.
In Büsingen zahlen nur 177 Bürger Steuern
Der 1335-Seelen-Ort liegt mitten in der Schweiz und ist fast zusammengewachsen mit der Stadt Schaffhausen. Dahin wandern die meisten Jungen ab. Der Grund: In der Schweiz zahlen sie nur halb so viele Steuern. Weil die jungen Leute weg bleiben, gibt es auch immer weniger Kinder. Ursula Barner ist seit 30 Jahren Lehrerin an der Schule in Büsingen. Innerhalb von fünf Jahren ist die Schülerzahl von 50 auf 30 gesunken. "Wenn das so weiter geht, ist der Bestand der Schule gefährdet", sagt sie.
Zuletzt waren nur noch 177 Büsinger steuerpflichtig. Der Turnverein und der Fußballclub leben von den Ex-Büsingern. Wenn die irgendwann wegbleiben, rückt keiner nach. Eine ganze Generation fehlt. Den ersten Verein hat es bereits erwischt: Die Dorfkapelle löste sich kürzlich auf.
Ursula Barner ist auch Gemeinderätin. Sie und Bürgermeister Markus Möll unterstützen eine Gruppe von Bürgern, die vor zweieinhalb Jahren die "Bürgerinitiative Büsingen" gegründet haben. Der aktivste von ihnen ist Roland Güntert, 52 Jahre, genauso alt wie der durchschnittliche Büsinger. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, sein Dorf zu retten. Solch ein Vorhaben hat in der Exklave staatspolitische Dimensionen, schließlich regelt ein Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Deutschland, was in Büsingen geht und was nicht. So ist es sicher nicht falsch, Güntert als heimlichen Außenminister Büsingens zu bezeichnen.
4 Kommentare verfügbar
Markus Möll
am 02.02.2015was mit Büsingen seit 2000 umverändert geschehen ist, das verändert auch Roland Güntert dieser Dorftrojaner nicht.