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Wölfe unterwegs

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Sie schlichten Schlägereien, ermahnen Wildpinkler und verfolgen Randalierer: In Würzburg nimmt die "Einsatzgruppe Lupus" das Gesetz selbst in die Hand. Die echten Ordnungshüter zeigen sich von der Bürgerwehr zunehmend genervt – genau wie die Bürger, die im Internet zurückschlagen.

Die Nachtschicht beginnt mit einem lauten Knall. Ganz in der Nähe, hinter dem Würzburger Dom, muss etwas passiert sein. Zielstrebig joggt Benjamin Vetter in die Nebenstraße, Hand am Funkgerät. Als er am Ort des Geschehens ankommt, entspannen sich seine Gesichtszüge. Außer einem explodierten Feuerwerkskörper sind nur eine Handvoll Jugendliche zu sehen, die lachend durch die Fußgängerzone torkeln. "Von denen geht keine Gefahr aus", sagt Vetter. "Das sieht man schon an der Körperhaltung."

Wenn andere ins Bett gehen, wird Benjamin Vetter erst richtig aktiv. Jedes Wochenende patrouilliert er von 23 Uhr bis 6 Uhr morgens von Disco zu Disco. Ob Schlägertypen, Wildpinkler oder Vandalen: "Auf so einer Streife kann jede Menge passieren", sagt der 24-Jährige, der seine Tätigkeit fachmännisch als "pro-active policing" bezeichnet: Je stärker die Polizeipräsenz, desto weniger Verbrechen geschehen. Was Vetter dabei gerne verschweigt: Er ist überhaupt kein Polizist. Als Vorsitzender der Einsatzgruppe Lupus hat er sich selbst zum Ordnungshüter ernannt.

Lupus steht im Lateinischen für Wolf. Die siebenköpfige Truppe will ihre Stadt nach eigenen Angaben sicherer machen. Dass Lupus dabei ziemlich martialisch klingt, will Vetter so nicht stehen lassen. "Es war Zufall, dass wir diesen Namen gewählt haben", sagt der junge Mann, der mit seinem sorgsam getrimmten Bart und der schlanken Statur nicht gerade wie ein Raufbold aussieht. "Wir sind eben nachts unterwegs, genau wie Wölfe. Mit Raubtieren hat das nichts zu tun." Das sehen freilich nicht alle so. Seit Monaten tobt in Würzburg eine Debatte darüber, was von der ordnungsliebenden Truppe zu halten ist.

Rückblick ins Jahr 2012: Als die Wölfe ihren ersten "Einsatzbericht" veröffentlichen, nimmt davon kaum jemand Notiz. "In der Nürnberger Straße fiel zum wiederholten Male ein schwarzer BMW auf, aus welchem heraus die Insassen Passanten beleidigten", schreiben die Wölfe auf Facebook. Und weiter: "Als 13/05, 13/06, 13/09 und 11/02 das Fahrzeug in Zivil observierten, ließ der Fahrer (...) das Fahrzeug ausschwenken, um einen Passanten vorsätzlich zu verletzen." Observation, Zivilstreife, Tatfahrzeug: Fast möchte man schmunzeln über den Polizeijargon, die Detailverliebtheit, die Ernsthaftigkeit, mit der die Gruppe ihrem Hobby nachgeht. Zur "Beweissicherung" dokumentiert sie ihre nächtlichen Streifzüge häufig auf Video – gefilmt aus dem Auto heraus wie bei einem Streifenwagen.

Für die Mitglieder von Lupus ist Verbrecherjagd ein Hobby

Zurück in die Innenstadt. Diesmal sind Vetter und seine Mitstreiterin Monja Appel zu Fuß unterwegs. Nasskalter Schneeregen peitscht durch Häuserschluchten, leere Bierflaschen kullern über den Asphalt. Appel zieht ihren Kragen noch ein wenig höher. Die Winterjacke spannt, denn darunter trägt die 23-Jährige ihre übliche Abendgarderobe: eine kugelsichere Weste, aussortiert von der Polizei, gekauft beim Gebrauchtwarenhändler. "Für uns ist das ein Hobby", sagt Appel, die ihr Engagement als Zivilcourage versteht. "Das macht einfach Spaß. Außerdem ist die Polizei nicht immer rechtzeitig zur Stelle."

So auch in diesem Moment. In Sichtweite der Bürgerwehr reißt ein Jugendlicher ein Wahlplakat von einem Laternenpfahl – Showtime für die Einsatzgruppe Lupus. "Der klaut das doch", ruft Appel, während Vetter schon hinterherspurtet. Der Tatverdächtige scheint davon nichts zu merken. Nach wenigen Sekunden verliert er die Lust an seiner Beute, lässt das Plakat fallen und steigt in die Straßenbahn. Trotz der späten Stunde – es ist mittlerweile kurz vor Mitternacht – ist der Waggon voll besetzt, Alkohol und Parfüm wehen durch die Luft. Weil Vetter den Delinquenten aus den Augen verloren hat, greift er zum Handy: "Der Täter trägt eine dunkle Jacke und Bluejeans", erklärt er der Polizei – klingt professionell, trifft aber an diesem Abend auf fast jeden zu.

An der nächsten Haltestelle trifft Lupus auf die herbeigerufene Streife. Die Beamten schauen skeptisch – die Hobbysheriffs sind inzwischen stadtweit bekannt. "Wir kümmern uns drum", sagt der echte Polizist und gibt Gas. Unterfranken gehört zu den sichersten Regionen Deutschlands. "Mit über zwölf Prozent hat Würzburg den größten Kriminalitätsrückgang unter den bayerischen Großstädten zu verzeichnen", heißt es in der Sicherheitsbilanz 2012 des Polizeipräsidiums Unterfranken. Wurde 2009 noch in 127 Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung im öffentlichen Raum ermittelt, sank dieser Wert 2012 auf 94 Fälle. Auch die Zahl der Sachbeschädigungen nimmt ab, wie die Polizei betont. Die Botschaft ist klar: Würzburg braucht keine Bürgerwehr, die 220 echten Beamten haben alles im Griff.

Was dabei gerne vergessen wird: Auch die Würzburger Polizei setzt 14 ehrenamtliche Helfer ein. Die "Bayerische Sicherheitswacht" besteht aus Freiwilligen, die vor allem tagsüber unterwegs sind und verdächtige Aktivitäten per Funk melden – eine "bessere und rechtsstaatliche Alternative" zur Bürgerwehr, findet die Polizei. Ein typisch bayerisches Phänomen ist das nicht. Der sogenannte freiwillige Polizeidienst existiert in vier Bundesländern; in Baden-Württemberg dürfen Hobbypolizisten sogar eine Schusswaffe tragen. Und doch gibt es einen großen Unterschied zu selbst ernannten Ermittlern wie Lupus: Die freiwilligen Polizisten werden von den Behörden geschult – und unterstehen ihnen auch. Das Gewaltmonopol bleibt also beim Staat.

0.30 Uhr: Auf dem Weg zum Hauptbahnhof hält ein weiterer Streifenwagen an. Vorsorglich legt Vetter seinen bruchsicheren Regenschirm zur Seite, als die Polizisten auf ihn zukommen. "Ich trage keine Waffen bei mir", sagt er und öffnet zum Beweis die Jacke. Die Lupus-Mitglieder kennen die Prozedur: Wenn sie nachts unterwegs sind, werden sie häufig kontrolliert; der Staat will keine Selbstjustiz dulden. Gehörten Elektroschocker, Nachtsichtgeräte und Pfefferspray früher zu Vetters Standardausrüstung, beschränkt er sich nun auf seinen Regenschirm. Laut Oberstaatsanwaltschaft laufen mehrere Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Amtsanmaßung. Im Internet stellen die Wölfe ihre Einsätze freilich anders dar: "Vandalismus, Beleidigungen, Belästigungen und Rangeleien: Der Würzburger Bahnhof ist immer facettenreich."

Polizei und Bürger sind genervt von ihrer Eingreiftruppe

Nach einem unspektakulären Rundgang wärmen sich Vetter und Appel bei McDonald's auf. Mit einer Cola in der Hand erklärt der Lupus-Chef, warum er sich ungerecht behandelt fühlt. "Den Oberen geht es mächtig gegen den Strich, dass wir ohne Auftrag arbeiten. Die Polizei hat Angst, blöd dazustehen." Früher verdiente Vetter sein Geld als Türsteher, seinen späteren Job als Altenpfleger hat er verloren – wegen Lupus, wie er sagt. Nun sitzt er im Supermarkt an der Kasse, will aber nachts trotzdem weiter auf Streife gehen. "Sonst hätten die ja gewonnen." Wer "die" sind, wird nicht ganz klar. Politiker, Polizisten, Beamte und Anwälte: Sie alle haben sich gegen die Hobbypatrouille verbündet. Im Internet wettern Würzburger, es werde nun langsam Zeit, "das Rumgekasper der Avengers einzustellen" – und das ist noch einer der netteren Ausdrücke.

Einfach verbieten kann man ihre Steifzüge nicht. "Wird jemand auf frischer Tat betroffen, (...) ist jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen" – so steht es in der Strafprozessordnung. Aus Sicht der Polizei überdehnen die Lupus-Mitglieder diese "Jedermannrechte" aber gewaltig. "Sie sind nur für Notfälle gedacht und nicht für die gezielte Suche nach angeblichen Ordnungsstörern", betont Michael Zimmer vom Polizeipräsidium Unterfranken. "Das Engagement dieser Truppe ist weder erforderlich noch zielführend, sondern vielmehr kontraproduktiv." Zivilcourage definiert Zimmer anders: "Hin- und nicht wegschauen, wenn eine Straftat passiert – und sofort die Polizei rufen."

Dass die Beamten die Wölfe für mehr als eventhungrige Jugendliche halten, wird am 20. September 2013 klar. Mit großem Aufgebot stürmen sie Vetters Wohnung. Die "Bescheinigung über sichergestellte Gegenstände" listet detailliert auf, was dabei beschlagnahmt wird: Wärmebildkamera, Handschellen, Funkgerät, Pfefferspray – aber auch eine Gürteltasche mit Einweghandschuhen, die Lupus für Erste-Hilfe-Einsätze verwendet. Wie die aussehen, kann man in ihrer Facebook-Gruppe nachlesen, natürlich aus der Sicht der Wölfe: "LUPUS 13/09 leitete unmittelbar Reanimationsmaßnahmen ein und konnte so (...) den jungen Mann unter Beatmung und Herzdruckmassage zurückholen, noch bevor RTW und Notarzt eintrafen."

Obwohl solche Aktionen durchaus Bewunderung hervorrufen ("Respekt!"; "Krass!"), zeigen sich die Würzburger zunehmend genervt von ihren Rettern. "Die Bevölkerung reagiert auf uns sehr gemischt", sagt Vetter. Die vielen Berichte in der Würzburger Lokalpresse hätten die Stimmung aufgeheizt und seine "Nachbarschaftshilfe" überhaupt erst zur Bürgerwehr stilisiert. "Manche Leute legen es jetzt darauf an, uns die Fresse zu polieren." Andere nehmen die Hobbysheriffs mit Humor: Auf Facebook treibt seit einiger Zeit die satirische "Einsatzgruppe Lokus" ihr Unwesen. Ihr Credo: "Wir sind der LOKUS, wir nerven Menschen aus purer Langeweile und Einfallslosigkeit und nennen es patrouillieren."

Weniger belustigt ist das Würzburger Ordnungsamt, als sich die Wölfe Hemden bedrucken lassen und eine "Einstellungsprüfung für den uniformierten Dienst" abnehmen. Die Behörde reagiert prompt – und verbietet die Uniformen. Zudem verpflichten sich Vetter und seine Mitstreiter, künftig auf den Beinamen "Einsatzgruppe" zu verzichten. Vetter findet das Verbot ungerecht: Man habe die Uniformen doch nur angeschafft, um sich von der echten Polizei zu unterscheiden. Seine Erklärung zeugt nicht gerade von mangelndem Selbstbewusstsein: "Wenn wir mit Funkgerät dastehen und ankommende Einsatzkräfte einweisen, werden wir von jungen Polizisten ständig mit Zivilbeamten verwechselt." Es gab Zeiten, da wollte auch er dazugehören: "Ich habe mich selbst mal bei der Polizei beworben", erzählt der Lupus-Vorsitzende. "Aber die haben mich nicht genommen."

Einmal habe er nach einer Nachtschicht einen Riss in der Jacke gehabt, erzählt Vetter. Die Beschreibung des Einsatzes klingt wie eine Mischung aus "Alarm für Cobra 11" und "Indiana Jones": "Das ist passiert, als ich zwei Personen fixiert habe, während gleichzeitig einer auf mir draufsaß." Hat er denn keine Angst, dass irgendwann etwas Schlimmeres passiert? "Ach was", sagt Benjamin Vetter, "Würzburg ist doch eine sehr sichere Stadt." Wenn er einen Täter stelle, bleibe ohnehin keine Zeit zum Nachdenken: "In diesem Moment funktioniert man nur. Die Aufarbeitung kommt erst hinterher."


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6 Kommentare verfügbar

  • Tillupp
    am 19.02.2014
    Antworten
    Die Gruppe hat wohl der Kindheit zu viel TKKG und die drei Fragezeichen (???) gehört. In früheren deutschen Zeitaltern wären sie als Blockwarts prädestiniert.
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