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Hilfe! Das ist ja Diether Dehm!

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Allzu bemüht, ihre Sympathien zu verschleiern, war die taz in ihrer Ausgabe vom Montag nicht: "Abschied vom Papst" heißt die Schlagzeile auf der Titelseite, zu sehen war allerdings nicht Franziskus' Begräbnis, sondern Robert Habeck. Der scheidende grüne Vizekanzler hat angekündigt, sich aus der großen Politik zurückzuziehen. Auf dem taz-lab-Kongress am vergangenen Samstag war die Veranstaltung mit ihm so beliebt, dass nicht nur der Saal aus allen Nähten platzte. Auch im Besselpark neben dem taz-Haus verfolgten mehrere Hundert Menschen per Livestream das Gespräch zwischen Moderator Peter Unfried und dem "Kanzler der Herzen".

Habeck ist Stammgast beim taz-lab und bilanziert: "Schöne Tradition, super Ding." Ein Urteil, dem sich Kontext anschließen kann. Wie jedes Jahr reiste eine Delegation aus Vorstand und Redaktion nach Berlin und betreute einen Stand. Und obwohl diesmal sechs Personen anreisten, war es unmöglich, das ganze Programm zu verfolgen: Auf 13 Bühnen gab es über 100 Veranstaltungen, von Gesprächen über Krieg und Frieden bis zum Workshop für japanische Fesselkunst. Die Programmpunkte standen unter dem Motto "weiter/machen", weil es ja auch niemandem hilft, angesichts der Weltlage in Apathie zu versinken. Der Besuch bei unserer großen Schwester taz motiviert auch uns Kontextler:innen jedes Jahr aufs Neue, weiterzumachen. Denn wenn Menschen aus der ganzen Republik (Kiel, Hamburg, Berlin, Dresden, …) unsere Baden-Württemberg-Beilage in der wochentaz als "absolut lesenswert" oder "nicht mehr wegzudenken" bezeichnen, geht uns das runter wie Öl.

Eine Geschichte, die Mut macht, ist auch die von Ryyan Alshebl: Der heute 31-Jährige floh 2015 aus Syrien, ohne auch nur ein Wort deutsch zu sprechen. Dann belegte er Sprachkurse, absolvierte eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangstellten und wurde 2023 im strukturkonservativen Schwarzwald zum Bürgermeister der Gemeinde Ostelsheim gewählt. Auf dem taz-lab moderierte Kontext-Redakteur Minh Schredle ein Gespräch mit Alshebl.

Querfront bizarr

Schredle war kurzfristig als Vertretung eingesprungen, aber um ein Haar wäre er ebenfalls ausgefallen. So groß war der Schock, als er in eine Berliner U-Bahn stieg und was sah er da? Einen Mann im karierten Hemd mit einer roten runden Brille, vertieft in die Lektüre des rechtsextremen "Compact"-Magazins. Das allein wäre ja schon gruselig genug. Aber noch dazu wirkte dieser Mann so seltsam vertraut. Bis endlich der Groschen fiel: Hilfe! Das ist ja Diether Dehm! 

Der Liedermacher und frühere Bundestagsabgeordnete für SPD und Die Linke, der auf seinem Youtube-Kanal Gäste wie Alexander Gauland, Ken Jebsen oder Markus Krall zum Gespräch lädt, hat vor zwei Jahren mal Strafanzeige gegen Schlagersänger Florian Silbereisen erstattet. Der hatte einen Songtext aus Dehms Feder verfälscht wiedergegeben. "Erinnerst du dich, wir haben zusammen gespielt", sang Silbereisen anstatt: "Erinnerst du dich, wir haben Indianer gespielt." Anzeige ist raus! Kurz darauf kotzte sich Dehm im "Compact"-Interview über politische Korrektheit aus und gab auch preis, wer ihn auf den veränderten Songtext hingewiesen habe: Dieter Hallervorden. Ende vom Lied: Am diesjährigen Karfreitag trat Dehm bei der sogenannten Dresdner Friedensprozession neben dem mehrfach vorbestraften Neonazi Christian Klar und einem verurteilten Mitglied der rechtsterroristischen "Gruppe Freital" als Redner auf und war verantwortlich dafür, Hallervorden für ein Grußwort zuzuschalten. Der 89-Jährige kämpft dafür, weiterhin diskriminierendes Vokabular verwenden zu dürfen, und reagierte auf Kritik an seinem Auftritt mit: "Mir ist nicht bekannt, jemals von Rechtsextremen Applaus erhalten zu haben. Und wenn doch – dann haben sie mich falsch verstanden." Indessen hat Dehm dem "Compact"-Magazin schon wieder ein Interview gegeben. Darin sagt er, dass Björn Höcke (AfD) in Wahrheit links von Annalena Baerbock (Grüne) stehe, weil er Frieden mit Russland will. 

Sogar "Querdenken"-Initiator Michael Ballweg ist da um mehr Abgrenzung bemüht – wenn auch nicht mit durchschlagendem Erfolg. Kontext-Redakteur Korbinian Strohhuber war am Wochenende in Reutlingen, also einer der drei Städte in Baden-Württemberg, in denen unter dem Motto "Gemeinsam für Deutschland" mobilisiert wurde. Ballweg wollte dabei keinen "schwarzen Block" sehen, sagte er – und meinte damit den rechtsextremen "Störtrupp". Der Appell zeigte Wirkung, die Rechtsextremen hatten sich diesmal unauffälliger unters Publikum gemischt. Auf der Bühne stand trotzdem ein AfD-Redner.

Am kommenden Samstag, 3. Mai wird Strohhuber selbst auf einer Bühne sitzen: Um 19.30 Uhr diskutiert die Partei Volt im Alten Feuerwehrhaus in Stuttgart-Süd, wie sich die Presse weiterhin finanzieren kann angesichts sinkender Auflagen, rückläufiger Werbeeinnahmen und Konkurrenz durch Social Media. Außerdem auf dem Podium sitzen die Journalist:innen Daniela Gschweng, Peter Freitag und Martin Haar.


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