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Auf nach Utopia

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Es war ein Fest der Meinungsfreiheit und des Worts. Die Menschen, die zur Verleihung des Stuttgarter Friedenspreises ins Theaterhaus gekommen waren, feierten den Mut der türkischen Autorin Aslı Erdoğan, sich nicht weg zu ducken. Genau hinsehen, auch die leisen Töne, das Unausgesprochene hören, darüber schreiben, das Unrecht in Worte fassen. Das ist die Aufgabe von JournalistInnen und von SchriftstellerInnen. Denn: Wo Unterdrückung zum Recht wird und Menschenrechte mit Füßen getreten werden, werden Worte zur Waffe. Das ist gefährlich in einer Diktatur. Aslı Erdoğan ist für diesen Mut inhaftiert worden. 132 Tage lang. "Es ist meine Aufgabe, über Abscheulichkeiten zu berichten", schrieb sie noch aus dem Gefängnis. Seit einem Jahr ist sie in Freiheit, seit einigen Wochen lebt sie in Frankfurt. Sie war an diesem Sonntag auf dem Weg zur Friedensgala nach Stuttgart.

Doch manchmal ist auch der Winter ein Diktator. Ein Unfall auf verschneiten Straßen zwang die Schriftstellerin zurück nach Frankfurt. Und so musste Aslı Erdoğan wieder einmal in Abwesenheit geehrt werden.

Die Frankfurter Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Abendroth hielt die Laudatio (<link https: www.die-anstifter.de _blank external-link-new-window>hier nachzulesen). "Aslı Erdoğan kämpft mit einer pazifistischen, aber genauso treffgenauen Waffe gegen das Unrecht: mit ihrer kraftvollen, klugen, mitfühlenden Sprache", sagte Abendroth. Für Aslı Erdoğan sei das Wort, das Schreiben, die Sprache auch zum Überlebensmittel geworden, zu einem Befreiungsversuch aus dem Klammergriff der Diktatur und dem verordneten Schweigen.

Auch unsere Kolumnistin Filiz Koçali weiß um die Macht des Wortes. Die türkische Journalistin von "Özgür Gündem" hatte Aslı Erdoğan als Autorin für ihre Zeitung gewonnen. Die beiden Frauen wurden Freundinnen, die gemeinsam für den Frieden in der Türkei kämpften. Sie nannten das Unrecht gegen die Kurden, den Abbau von demokratischen Rechten beim Namen. Als die Zeitung im Sommer 2016 verboten wurde, konnte Koçali ins Exil fliehen, Erdoğan wurde in Istanbul eingesperrt. Beide sollten mundtot gemacht werden, denn in der Fremde wird Sprache eine stumpfe Waffe. "Wir haben gekämpft, wir haben das Richtige gemacht, aber der Preis dafür war hoch", <link https: www.kontextwochenzeitung.de kolumne stuttgarter-friedenspreis-4764.html _blank internal-link-new-window>schreibt Koçali in ihrer Kontext-Kolumne "Briefe an Aslı".

Den Weg von der Türkei vor die eigene Haustür fand Peter Grohmann in seinem Schlusswort. "Wir sind bequem geworden", polterte der Ober-Anstifter, "wir denken, die Parteien werden's richten und den Rest macht die taz." Und er forderte alle auf, sich wieder auf nach Utopia zu machen: "Macht Propaganda für mehr Menschlichkeit." Denn Aslı Erdoğan ist nicht allein. Hunderte JournalistInnen, SchriftstellerInnen, WissenschaftlerInnen sitzen in der Türkei im Gefängnis. Deniz Yücel ist nur einer von ihnen, Aslı Erdoğan ist nur eine von ihnen. Sie wurden zum Symbol für die vielen. Und so lautete die Botschaft dieses Abends: "Meinungsfreiheit ist kein Verbrechen". Über 150 Plakate gingen im Theaterhaus an diesem Sonntag der Menschenrechte in die Höhe. Auf ihnen die Namen von weiteren Frauen und Männern, deren Verbrechen darin besteht, den Mund aufgemacht zu haben. Sie alle waren gemeint mit der Stuttgarter Ehrung.


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2 Kommentare verfügbar

  • Andromeda Müller
    am 20.12.2017
    Antworten
    Ganz nett diese Feier . Aber eigentlich auch wieder nicht.
    Warum ?
    Sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und sich gegenseitig toll finden bei einem medial vorgegebenem "Feind" und , - zeitgleich um die Ecke , beim smarten Totalitarismus im eigenen Haus sofort "Eyes wide shut" ( Stanley Kubrick…
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