Die Geschichte, die den eh schon latent aufgeregten Medienbetrieb derart aufwühlt, handelt von der Märklin-Modelleisenbahn, mit der Horst Seehofer so gerne spielt, im Keller seines Ferienhauses in Schamhaupten. Was beileibe nicht nur das Kinde im CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten zeigt. Vielmehr ist diese reale Spielzeugeisenbahn auch eine metaphorische Anlage – für sein politisches Leben und Wirken. Und seine intimen Machtfantasien. Seehofer spielt darauf die Politik nach, lässt Figuren kreisen, schaltet Gegner aus und setzt so manche Strategie aufs Gleis. Daher dreht auch Angela Merkel, als kleine Figur, ihre Runden, in einer Diesellok. Welch politpsychologisch bahnbrechende Symbolik!
So liest man's, gleich zu Beginn, in einem Artikel des "Spiegel"-Redakteurs René Pfister, für den die erlauchte Nannen-Preis-Jury ihm zunächst die Krone des deutschen Journalismus aufgesetzt hat: Sie zeichnete ihn jetzt mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis für die beste Reportage aus – um ihm denselben drei Tage nach der feierlichen Verleihung wieder abzuerkennen. Was in Nannens Namen war geschehen? Pfister hatte auf der Bühne, vor der geballten Medienprominenz, erstaunlich munter erzählt, er selbst sei noch nie in Seehofers Keller gewesen. Wie bitte? Der Eklat war da.
Seitdem debattiert die Branche wild über saubere Recherche, Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit. Und ob die Jury, in der vorrangig Chefredakteure großer Blätter versammelt sind, mit ihrer Mehrheitsentscheidung richtig oder falsch lag. Um den Weltfrieden geht es, bis jetzt, zwar nicht. Doch "Bild" rief, in einer gewohnt sensiblen Analyse, schon mal den "Medienkrieg" aus. Aus Liebe zum bizarren Detail sei erwähnt: das "Spiegel"-Stück ist gar keine Reportage, sondern ein politisches Porträt.
Kritisch gegenüber der Politik, tolerant in eigener Sache?
Zu den Kritikern der Preisaberkennung zählen der "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher, selbst Nannen-Preis-Juror, und Hans Leyendecker, ehemals "Spiegel"-Spürnase, jetzt leitender Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" und vor allem bekannt als Chefaufklärer der Medienrepublik. Es ist zu vermuten: derart prominente Toleranz und kundiges Verständnis hätten sich wohl auch manche Protagonisten aus Politik oder Wirtschaft gewünscht, die schon mal im kritischen Fokus der "vierten Gewalt" standen, gerade in Sachen Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit. Üben Leitfiguren des Journalismus Toleranz lieber in eigener medialer Sache?
Wie durch Zufall fällt uns da eine kleine Geschichte ein, die dem breiten Medienpublikum gar nicht geläufig ist. Man könnte fast sagen: weil sie ihm weitgehend vorenthalten wurde. Dabei erzählt sie recht anschaulich, wie großzügig manche Medien und ihre Macher bisweilen mit gravierenden Defiziten umgehen. Was ihre eigene Branche betrifft. Es begab sich vor einigen Jahren, dass die Sonntagszeitung der "FAZ" einen wahren Coup landete: Sie präsentierte Fotos aus einem "geheimen Palast" des kubanischen Staatschefs Fidel Castro. Gemächer, die die Welt noch nie gesehen hatte, so jedenfalls ging's aus dieser topexklusiven Geschichte hervor. Dazu hatte ein junger Feuilletonist einen wunderbaren Text geschrieben, der so eindringlich die Atmosphäre des Interieurs wiedergab, dass der Leser den Eindruck gewinnen musste, selbst im Allerheiligsten des Máximo Líder gewesen zu sein.
Ein Scoop über den geheimen Palast Castros – den es nicht gibt
Journalisten nennen so etwas einen Scoop. Das Problem war nur: die exklusiv fotografierten Exklusivgemächer des angeblichen Castro-Palastes waren gar keine Exklusivgemächer, sondern repräsentative Räume des kubanischen Staatsratsgebäudes in Havanna, die selbst Touristen aufsuchen konnten. Wenn sie brav ihren Obolus dafür bezahlt hatten. Und der erschröcklichen Geschichte zweiter Teil: der Feuilletonist war selbst nie in diesem angeblichen Palast – er hatte nur, in brillanter Weise, einen Text zu den Fotos verfasst, die seine Chefs ihm auf den Redaktionstisch geschmissen hatten.
Auf diesen medialen Fauxpas war ein Redakteur des Berliner "Tagesspiegels" gestoßen. Durch eine saubere Recherche, vor Ort, in Havanna. Mit feinster Feder schrieb er danach ein Stück über den Scoop, der keiner war, nicht bösartig, eher mit subtiler Ironie. Dieses Stück hat freilich das Licht der deutschen Öffentlichkeit nie erblickt. Wie von unsichtbarer Hand war die Geschichte kurz vor dem Druck aus dem Blatt genommen worden. Danach, so berichten traditionell gut informierte Medieninsider, hätten sich "Spiegel"-Redakteure daranmachen wollen, der eher unglücklichen Kuba-Story der "FAS" nachzugehen. Doch auch ihr Recherche-Eifer und Schreibwillen, obwohl vor allem Ersteres beim Hamburger Nachrichtenmagazin bekanntlich ganz groß geschrieben wird, sollen schwer ins Leere gelaufen sein. Kein Bericht, keine Aufklärung darüber, dass es den geheimen Palast von Fidel Castro nicht gibt. Keine Wahrheitsfindung. Einzig das Münchner Magazin "Focus" thematisierte die Causa, allerdings in wenigen, eher kryptischen Zeilen.
Die Medien als geschlossene Gesellschaft
Dies alles fand der schwäbische Journalist Philipp Maußhardt so befremdlich und gleichzeitig spannend, dass er zum Laptop griff und in einer taz-Kolumne die Geschichte über die Nicht-Story der von Frank Schirrmacher mit herausgegebenen "FAS" aufschrieb. Wobei auch er leider nicht hatte eruieren können, wie viele Anrufe von Chefredakteuren oder Herausgebern zu anderen Herausgebern oder Chefredakteuren es in diesem Fall gegeben hatte. Tags darauf ereilte Maußhardt jedoch eine strenge Rüge, von hoher, nein von höchster medialer Instanz: Hans Leyendecker, besagter Nestor des investigativen Journalismus, hatte partout kein Verständnis dafür, dass man sich derart intensiv und kritisch einer solchen Petitesse wie einem frei erfundenen Palast widmen konnte, wie er in der "Süddeutschen" zu verstehen gab.
Wie sagt ein erfahrener Berliner Journalist, der die Branche und ihre Gesetze kennt und daher ungenannt bleiben will: "Die Medien sind ein selbstreferenzielles System." Was, weniger metaphorisch, nach geschlossener Gesellschaft klingt. Oder nach Inzest.
Womit wir, irgendwie, wieder bei der Modelleisenbahn von Horst Seehofer und den Irrungen und Wirrungen um den Kisch-Preis wären. Was bei Stuttgart 21 schon Realität ist, scheint auch für die Medien zwingend nötig zu sein: ein Stresstest – zu Recherche, Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit.
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