Überaus verdienstvoll ist in den Epochenschnitten die Abhandlung über die "verschollene Generation": "Vergessen und verdrängt – Stuttgarter Künstler im Nationalsozialismus". Insbesondere dem Maler Oskar Zügel wird dabei ein Denkmal gesetzt. Zügel, der rechtzeitig emigrierte, hatte bereits 1934 die "Zerstörung Stuttgarts" thematisiert, mit Rekurs auf den "Höllensturz der Verdammten" von Rubens. Daneben befasst sich der Text auch mit Künstlern, die in der braunen Zeit, sei es aus Opportunismus oder Überzeugung, ihre Karrieren zu bauen wussten.
Im Kapitel "Persönlichkeiten" erfahren mit Bernhard Pankok und Eduard Fuchs zwei für das Kulturleben dieser Stadt – und für manchen Künstler darüber hinaus – eminent wichtige Männer aus dem ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts eine angemessene Würdigung. Für die unmittelbare Nachkriegszeit gilt das auch für Ottomar Domnik, den Nervenarzt und Kunstsammler. In Sachen abgelehnter Moderne eine unermüdlicher "Rufer in der Wüste".
Dass freischaffende Künstler die Stadt als reizvollen Resonanzraum ihres Schaffens wahrnehmen, jedenfalls als "Homebase", zeigen 15 kurze Porträts. Und durchaus einer Kunststadt würdig befindet das Buch die institutionelle Kunstlandschaft: mit Museen, Akademien, Künstlerhäusern und Kunstvereinen, deren Historie facettenreich gezeichnet wird. Noch spannender ist die wechselvolle Geschichte der privaten Galerien, die oft eine Leidenschaft für neue Positionen zeigen, die etablierten Institutionen abgeht. Ein absoluter Pflichtteil des Buches: das lange Interview mit dem Galeristen Klaus Gerrit Friese. Eine scharfsinnige, kritische Standortbestimmung in Sachen Kunst und Kunstmarkt – und zu dem, was "Kunst in Stuttgart" ist. Oder eben nicht ist.
Neuzeitliche Bauten in der Kritik
Etwas steif geraten die standardisierten Interviews mit Sammlern, überaus spannend dagegen die "Traditionslinien". Luzide argumentierend, wird mit Theodor Fischer und Paul Bonatz die "Stuttgarter Schule der Architektur" ins Licht gerückt: Bau-Kunst als Stadt-Bau-Kunst. Evident, wie hier die historische Methode zum Kontrastmittel in der Analyse der Gegenwart wird: "Was insbesondere im letzten Jahrzehnt in der Innenstadt, aber auch an zentralen Punkten einzelner Stadtteile, ja sogar am Killesberg geschieht, wirkt wie ein Schlag ins Gesicht der Stadtbaukunst der 'Stuttgarter Schule', wenn neuerdings, ohne Rücksicht auf stadtbildprägende Bauten, ganze Planquadrate abgetragen und durch nichtssagende Shoppingmalls ersetzt" werden. Herausragende Bestandsbauten wie die Liederhalle, der Fernsehturm oder die Landesbibliothek "wirken wie übrig gebliebene Solitäre aus einer Zeit, in der Stadtplanung noch mehr war als maximale Ausnutzung von Grundstücksfläche und Traufhöhe." Ein Text, an den man diesen Leselink pflanzen möchte: die "Civitas" des Stadtsoziologen Richard Sennett mit seinen elementaren Erkenntnissen zu einer humanen Stadt mit integralem Raum zur Entstehung multipler Öffentlichkeiten versus rasterhafter Gewinnmaximierungsmuster – als Ausdruck sehr spezifischer Herrschaftsausübung!
Den Bogen dazu spannt das Schlusskapitel – nach zwei Texten über die Konkreten, die eine elektrisierende Intellektualität in die Stadt gebracht hatten, sowie die erstmals zusammenhängend und in faszinierenden personellen Konstellationen und Kontinuitäten dargestellte "Geschichte des Leicht- und Ingenieursbaus in Stuttgart". Als grandioser Wurf, dem historischen Druck zu neuer Legitimierung von Herrschaft geschuldet, zeigen sich die königlichen Schlossanlagen: eine "von aufgeklärter Vernunft geleitete Entscheidung, auf dem bis dahin verwahrlosten alten Lustgartengelände und im Nesenbachtal bis hin zum Neckar einen Volksgarten zum Nutzen und Gebrauch der Bevölkerung einrichten zu lassen".
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!