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Gosch halten

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Wenn Berliner Exilschwaben ihre Kinder nach Opaland schicken, kann es zu schweren Kultur- und Familienkrisen kommen. Davon weiß unser Autor Peter Unfried zu berichten.

Berliner Hipstervater spricht Englisch.Peter Unfried und seine Frau – genannt "die Macht" – wollen Penelope, 13, und Adorno, 11, "zeitgemäß modern" erziehen. Also möglichst weit weg von den Schwaben. Der Grund: sie waren früher selber mal welche. Wie seine Kinder dann wunschgemäß zu Schwabenskeptikern werden, aber er leider plötzlich die Liebe zu seiner alten Heimat entdeckt, beschreibt er in seinem neuen Buch "Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen".

Ich habe noch gar nicht erwähnt, dass die Macht und ich in unserer Geburtssprache miteinander reden – auch nach fast zwei Jahrzehnten in Berlin. Allerdings in einem elaborierten Dialekt. Weit entfernt von den Ureinwohnern. Das merkt die Macht erst wieder so richtig, wenn sie mal mit einer früheren Klassenkameradin telefoniert hat. "Du, des isch bruddal, wie broit die Schwäbisch schwätzt. Des verstosch du kaum", sagt sie dann zu mir.

Ein normales Gespräch zwischen uns läuft ungefähr so.

"Hosch du was?", sagt die Macht.

"Ha, wie kommsch du jetzt do drauf?", sage ich. 

"Du gucksch so komisch."

Das war jetzt nur ein Beispiel, aber nach all der Zeit könnte sie wirklich langsam wissen, dass ich glänzend gelaunt sein kann, auch wenn ich nicht so aussehe. Mit dem Metzgermeister sprechen wir auch Schwäbisch, das ist ja klar. Außer am Telefon. Aber sonst wechseln wir sofort ins Hochdeutsche, wenn noch jemand dabei ist. Oder was wir so für Hochdeutsch halten. Ist ja lustig, dass die Leute immer sagen, Schwaben könnten kein Hochdeutsch. Und die Macht dann immer denkt, sie sei nicht gemeint.

Sie denkt tatsächlich, sie spreche so perfekt wie Minki.

Minki will ja, dass Carolin mit Leo tagsüber Englisch spricht. Jetzt nicht den ganzen Tag, aber stundenweise. Er sagt auch gern mal so Zeug wie: "Put it in the garbage bin, Leo, put it in the garbage bin." Also, der hat es auch nicht leicht, der Leo. Wir sprachen mit Penelope und Adorno immerhin von Beginn an Hochdeutsch, das war uns schon wichtig. Wir wollten schließlich, dass ihnen das Schicksal ihrer Eltern erspart blieb, die das verständliche Sprechen im Erwachsenenalter mühsam erlernen mussten. 

Schwäbischer Student, halt dei Gosch.Bei uns hatte ja früher keiner Hochdeutsch gesprochen. Hochdeutsch war komplett lächerlich, wir hätten auch Goethes "Fauscht" nicht auf Hochdeutsch interpretiert. Das konnte ja auch keiner. Nicht einmal der Deutschlehrer. In unserem Faschismus-gefährdeten Gymnasium gab es manchmal einen Zugezogenen in der Klasse, der nicht Schwäbisch konnte. Der war ein totaler Außenseiter. Er tat gut daran, sich schnell anzupassen, was in der Regel dazu führte, dass er öfter "schwätzen" sagte als wir. Schlimm. Weil wenn ein Fischkopf "schwätzen" sagte, dann war das noch schlimmer, wie wenn er Hochdeutsch schwätzte.

An der Uni schwätzten dann aber nur noch die Fischköpfe. Wir hielten beschämt die Gosch. Was sollten wir sonst machen? Wir sprachen die benötigte Sprachvariante ja nicht.

Damit so etwas den Kindern nicht passieren konnte, mussten sie möglichst weit weg von diesen hobbylosen Schwaben und ihrer noch hobbyloseren Sprache sein. Ich war mir sicher, dass das in den Schulen dort immer noch so war. Musste ja so sein: selbst der Ministerpräsident der Schwaben konnte im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts immer noch kein Hochdeutsch. Und sonst auch nichts. Wahnsinn.

Also war klar: wer auch nur einen Funken Verantwortungsbewusstsein seinen Kindern gegenüber hatte, der hielt sie auf Distanz zu Schwaben und zum Schwäbischen. Zur Provinz und ihrer Verlogenheit, dem üblen Tratsch, der faden Bushaltestellenromantik, der religiös-ideologisch unterwanderten "Jugendgruppe", der Vulgarität der Fußballklubsaufkultur, dem Gymnasium in der sogenannten "Stadt", die ja aber auch keine echte Stadt ist, sondern ein Kaff mit Basilika. Selbstverständlich war ich trotzdem froh, wenn wir die Kinder bei jeder passenden Gelegenheit nach Opaland abschieben konnten, um unseren Paar-Interessen nachgehen zu können. Aber wenn sie zurückkamen, prüfte ich sehr genau, wie ihnen das Landleben bekommen war. Und wenn ihre Berichte zu positiv klangen, versuchte ich sie mit ein paar fiesen Bemerkungen wieder in die richtige Gesinnungsspur zu bringen. Das war eine sehr anspruchsvolle Arbeit, denn sie sollten ja beim nächsten Mal wieder aufs Land fahren wollen und zugleich ein Bewusstsein für die Problematik dieses Lebens dort entwickeln.

Schwäbische Rassistenschule."Na, was war denn so los in Opaland?"

""Drei Leute sind gestorben", sagte Adorno.

"Oh je. Und sonst ist nichts passiert?"

"Doch", sagte er, "einmal ist der Krankenwagen gefahren."

"Und der Opa?"

"Wollte, dass wir Würschtle essen."

Die Kinder sind Vegetarier, der Metzger hält es im Kopf nicht aus.

"Die Oma?"

"Läuft immer ans Fenster und schaut, ob jemand vorbeifährt."

"Ja, wer soll da schon vorbeifahren!", sagte ich.

Manchmal fahre ein Auto vorbei. Und manchmal halte sogar ein Auto. Und manchmal fahre ein Auto wieder weg. 

Maximale Action, also.

"Und die Landjugend, Penelope?"

"Die Jungs sind alle durchgeknallt."

"Inwiefern?"

"Einer wird Bauer genannt, weil er die ganze Zeit auf einem Bauernhof rumhängt. Der fährt da immer mit dem Bulldog, was immer das ist."

"Ein Traktor."

"Ach?"

Die anderen seien um sie rumgeschlichen, und einer habe gesagt: "Ich will mit dir zusammen sein." Jedenfalls denke sie, dass er das gesagt habe. Die könnten ja nur Schwäbisch. Am besten verstanden hätte sie den, der immer "ficken" geschrien habe. "Na ja, die Jungs", sagte ich, "vermutlich war das eine Art Mutprobe."

Penelope nickte. Das größte Problem auf dem Land sei aber schon der "Style". "Wie die angezogen sind." Es schüttelte sie allein beim Gedanken daran. Ob ich als Landjunge etwa auch so schlecht angezogen gewesen sei.

Sicher.

"Das gehört da einfach dazu", sagte ich.

Landleben-Nachteil: Fußballprolls.Jetzt hat sogar noch der Bäcker zugemacht. Und die Kneipe vom Junior auch, in der wir nach dem Fußballtraining Wurstsalat aßen und wo die halbe Bier damals 1,60 Mark kostete und zum Schluss doch wohl sicher auch nicht viel mehr. Ich war mal vor ein paar Jahren bei einem Leichenschmaus dort und fragte den Junior, wie es denn sonst so gehe und wie er mit der ganzen Arbeit rumkomme. Er heißt immer noch "dr Junior". Dabei gibt es seit 30 Jahren keinen Senior mehr – außer ihm. "Ha, woisch, 's isch nemme wie früher", sagte der Junior.

Ich hatte mein Leben lang gedacht, dass das eine sehr, sehr gute Nachricht sein müsste. Sah aber an seinem Gesicht, dass er das anders sah. 

Jedenfalls war es seltsam: Als Penelope sagte, sie habe eine Schwaben-Krise, antwortete ich spontan: "Ha komm, Mädle, des koasch doch net brenga." Als die Macht abends nach Hause kam, zeigte ich mit dem Finger auf Penelope und sagte: "Du, die mog ons net."

Doch dass etwas Fundamentales mit mir nicht stimmte, merkte ich erst an dem Tag, an dem ich mir zu meinem eigenen Erstaunen bei iTunes "Reggae di uf" von Wolle Kriwanek runterlud.

 

 

Peter Unfried ist Chefreporter der taz. Diesen Abdruck entnehmen wir seinem soeben erschienenen Buch: "Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen", Ludwig, 14,99 €.


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1 Kommentar verfügbar

  • pfackelmann
    am 10.10.2012
    Antworten
    Wann lernt ihr das endlich?
    In Sueddeutschland wird hochdeutsch gesprochen im Ggs. zu niederdeutsch. Was ihr meint, ist schriftdeutsch.

    Gruesse

    Peter Fackelmann
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