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Kick it like Steffi

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Der Ball ist weiblich. Das weiß Steffi Biester schon lange. Zur Fußball-WM der Frauen hat die Straßenfußballerin und Kickfair-Aktivistin junge Kickerinnen aus aller Welt nach Stuttgart geholt.

Fußball gibt den jungen Frauen Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein – hier ein Projekt in Kenia.
Manchmal ist Steffi Biester genervt. Manchmal kann sie die mäßig witzigen Anspielungen nicht mehr hören, mit denen der Deutsche Fußballbund seine Frauen medial verheizt. Wenn die "schwarz-rot-goldigen Mädels" gepriesen werden oder wenn im "Playboy" fünf National-Spielerinnen blank ziehen und – zwinker, zwinker – von "echtemSteffi Biester fühlt sich immer noch als Straßenfußballerin. Foto: privat Ballgefühl" geschwärmt wird, rollt sie gefährlich mit den Augen. "Es ist schwierig, sich durch die Klischees zu graben", sagt die 41-Jährige dann erstaunlich diplomatisch. Zu mehr lässt sich die leidenschaftliche Straßenfußballerin nicht hinreißen, schließlich wird <link http: www.kickfair.org external-link-new-window>Kickfair von drei Bundesministerien unterstützt. Und Steffi Biester will, dass das so bleibt. Fußball ist ihr Leben, der Sport hat ihr das Leben gerettet. "Ich hab mir dieses diplomatisches Geschick hart erarbeitet", sagt sie und grinst, "das soll so bleiben."

Kickfair ist ein gemeinnütziger Verein, den Steffi Biester vor vier Jahren gemeinsam mit Jochen Föll gegründet hat. Sie teilen die Hoffnung, dass man mit Fußball nicht nur Spaß haben und selbstbewusst werden, sondern auch die Welt verändern kann. Ihre internationalen Straßenfußball-Initiativen sind Bildungsprojekte, mit denen sie die Jugendlichen von der Straße holen wollen. Die Kickfairler glauben fest an die Integration durch Sport und haben schon manchen Preis mit ihren Initiativen nach Hause auf die Fildern getragen, etwa den Schülerbildungspreis des Landes Baden-Württemberg. Außerdem wurden sie als "Ausgewählter Ort im Land der Ideen 2010" ausgezeichnet.

Wer Mannschaftssport treibt, nimmt an der Gesellschaft teil

Nun, da der Ball wenigstens für kurze Zeit weiblich ist, haben die weltverbessernden Vereinskicker einen Frauenschwerpunkt geschaffen. "Mit dem Ball durchs Leben" heißt das aktuelle Projekt. Fußballprojekte für Mädchen werden vorgestellt, Frauenporträts aus aller Welt sollen einen Einblick in andere Länder geben und die Rolle der Frauen dort hinterfragen. "Wir können alle voneinander lernen", sagt die Sportpädagogin Biester. Die Aktivisten von Kickfair sind unverbesserliche Optimisten.

Die Frauenfußball-Werberin sitzt im Café Stella in Stuttgart und erzählt ruhig, fast bedächtig. Die blauen Augen blicken konzentriert, ab und an streicht sie sich die blonden Locken aus dem Gesicht. Steffi Biester ist eine, die gelernt hat, sich und ihre Gefühle zu kontrollieren. Das liegt nicht nur am Umgang mit drei Ministerien, sondern auch an ihrer eigenen Geschichte, über die sie nicht mehr sagen will, als dass sie aus schwierigen Verhältnissen komme. Sie war die älteste von drei Schwestern, und sie wollte immer, dass es den Schwestern gut geht. Das war auch in der Schule so, wo sie lange Klassensprecherin war. Und weil sie selbst den Sport als etwas erfahren hat, was ihr Selbstbewusstsein und Wichtigkeit gab, "das Gefühl, dass ich gebraucht werde", wollte sie das weitergeben. Die studierte Sportwissenschaftlerin ist überzeugt davon, dass Sport die Antwort ist auf die Frage, die sie seit ihrer Jugend umtreibt: "Was brauchen wir, damit die Menschen an dieser Gesellschaft partizipieren können?"

Bis 1970 war Frauenfußball in Deutschland verboten

Der DFB hat "Damenfußball" als "unfrauliche" Sportart 1955 verboten. Erst 1970, als Steffi Biester geboren wurde, hob der Verband dieses Verbot auf. Als sie 1976 eingeschult wurde, spielte sie als einziges Mädchen auf dem Pausenhof mit den Jungs Fußball und arbeitete sich beharrlich vom Tor raus in die Abwehr. Das kann Steffie Biester gut, Bälle rausholen und nach vorne bringen. "Ich bin eine Straßenfußballerin", sagt sie stolz und nippt an ihrem Milchkaffee. Bis zu diesem Jahr 1976 konnten deutsche Männer ihren Frauen übrigens die Berufstätigkeit verbieten. Das sollte man nicht vergessen, wen man in andere Länder schaut, etwa nach Kenia.

Dass Frauen in Kenia Fußball spielen, ist überhaupt nicht selbstverständlich.

Fatuma Abdulkadir Adan ist eine dieser Frauen, die Fußball einsetzen, um Mädchen Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl zu vermitteln. In Marsabit, im Norden Kenias, veranstaltet die studierte Juristin Fußballturniere, um für Frieden zwischen den verfeindeten Stämmen zu einzutreten. Und um den Mädchen eine Möglichkeit zu geben, den engen muslimischen Fesseln zu entkommen. Ein besonders fanatischer Imam beschimpfte die Mädchen beim Freitagsgebet als verdorbene Luder, weil man durch die schlabbrigen Trikots dennoch ihren Körper sehen könne, und wetterte, dass sie ihre Jungfräulichkeit verlören und schlechte Mädchen seien, Hexen.

Die Geschichte von Fatuma Abdulkadir Adan und ihrer Fußballmädchen ist eines von 13 Frauen- und Mädchenporträts, mit denen Steffi Biester und ihre Mitstreiter zu Diskussionen an Schulen und in ihren Straßenfußballprojekten anregen wollen. "Sie stehen für das, was ich selbst erlebt habe: Sport kann dir Mut machen, und die Erfolgserlebnisse dort geben dir Selbstbewusstsein fürs Leben", sagt Steffi Biester.

Mit Straßenfußball die Welt besser machen

Sport hat ihr immer mehr bedeutet als Bewegung. Und so hat die gelernte Physiotherapeutin nach einem Intermezzo am Olympiastützpunkt Stuttgart umgesattelt. Sport und Pädagogik hat sie studiert, um zunächst im Landessportbund, später bei Kickfair zu versuchen, "mit Straßenfußball die Welt besser zu machen". Das mag naiv klingen, aber so engagiert und ernsthaft, wie die drahtige Frau in den Jeans dies vertritt, kann man sich gut vorstellen, dass sie andere mitreißt: sei es auf dem Bolzplatz in Brasilien, bei der Friedenskarawane in Ruanda oder demnächst beim Workshop im Stuttgarter Theaterhaus.

Kickfair unterstützt Projekte nicht nur in Kenia, sondern auf der ganzen Welt.

Beim WM-Auftaktspiel am Sonntag hat das deutsche Team bewiesen, dass Kickerinnen mehr können als Lippenstift auftragen, beim Jubeln den Bauchnabel zeigen oder im Trenchcoat vor dem Brandenburger Tor posieren. Die große Klischee-Keule, mit der der DFB sie im Vorfeld vermarktet hat, war vergessen. Die deutschen Fußballerinnen haben einfach – gewonnen. Und Steffi Biester hat sich einfach – gefreut.

Im Stuttgarter Theaterhaus veranstalten die fairen Kicker von Ostfildern am 1. und 2. Juli eine <link http: www.theaterhaus.com theaterhaus external-link-new-window>Podiumsdiskussion mit jungen Kickerinnen aus aller Welt und ein internationales Straßenfußballturnier am Parkplatz hinterm Theaterhaus. Vom 30. bis zum 6. Juli lädt Kickfair zu einer Austauschwoche mit Israel und Palästina nach Ostfildern.


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