Grabenstetten am Nordrand der Alb. 1.700 Einwohner, ein Bäcker, ein Laden ohne Personal, ein Gasthaus und eine Mühle, ein Steinbruch, ein paar Baufirmen und zwei Bushaltestellen, von denen aus man bis Bad Urach oder Erkenbrechtsweiler kommt. Zwischen den Ein- und Zweifamilienhäusern, oft mit glänzender Solaranlage auf dem Dach, ist viel Platz, auf dem unter blauen Planen sehr viel gespaltenes Holz für kalte Winter gelagert wird. Bei der Bundestagswahl 2021 wählten hier 20 Menschen Die Linke, im Gemeinderat sitzen keine Parteien, sondern Freie Wähler (sechs Sitze) und Unabhängige Wähler (vier Sitze). Hier wohnen seit ein paar Jahren Niko Führinger und seine Frau. Vor rund drei Wochen ist er in die Linke eingetreten. "Das war so 'ne abendliche Sofaaktion", sagt der 30-Jährige. Einen besonderen Anlass habe es gar nicht gegeben, nur so die allgemeine politische Situation und Debatte. "Ich habe ein sehr starkes Gerechtigkeitsempfinden."
So oder ähnlich scheint es derzeit vielen zu gehen. Kürzlich meldete die Linke Baden-Württemberg, die 5.000-Mitgliedergrenze geknackt zu haben. Auch bundesweit läuft's. Schon nachdem Sahra Wagenknecht mit neun bis dato Linken-Bundestagsabgeordneten im Oktober 2023 die Partei verlassen hatte, gab es Eintritte. Klar, auch Austritte, doch im Saldo erhöhte sich die Mitgliederzahl. Auch das Ampel-Aus am 6. November brachte neue Leute. Dennoch kam die Partei nicht so richtig in Schwung, in Umfragen dümpelte sie weiterhin bei drei bis vier Prozent. Die Aktion Silberlocke wurde geboren, mit der die Alt-Promis Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch drei Direktmandate holen sollen, damit die Linke in den Bundestag kommt, selbst wenn sie an der Fünfprozenthürde scheitert.
Die Eintrittswelle hält an
Doch dann kam Friedrich Merz. Der CDU-Kanzlerkandidat brachte – warum auch immer – am Mittwoch, 29. Januar im Bundestag seinen Fünf-Punkte-Plan für eine schärfere Migrationspolitik ein und setzte dabei auf die Stimmen der AfD. Das klappte, weil auch die FDP dafür stimmte – und die Aufregung in der Republik war groß.
Als erste Reaktion versammelten sich am Abend danach auf dem Stuttgarter Schlossplatz rund 400 vor allem junge Leute von Jusos und Grüner Jugend, um gegen diesen Bruch der Brandmauer zu demonstrieren, ihre Wut über CDU und FDP loszuwerden. Dabei auch der linke Bundestagskandidat für den Wahlkreis Stuttgart, Luigi Pantisano. Er strahlt übers ganze Gesicht. "Bundesweit fast 1.000 Eintritte in einer Nacht", verkündet er. In der Republik hat die Partei nach eigenen Angaben derzeit etwa 65.400 Mitglieder, der baden-württembergische Landesverband, der es noch nie in den Landtag geschafft hat, zählt mittlerweile mehr als 5.000. Rekord.
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Reinhard Gunst
am 13.02.2025