Herr Kretschmann, hat Sie das Regieren verändert?
Ich hoffe, in der Substanz nicht. Das wäre ja schlimm nach zweieinhalb Jahren. Ich hoffe, dass ich noch nicht verbogen bin. Nicht verändert hat sich meine innere Orientierung, die sich bei mir seit meiner linksradikalen Zeit herausgebildet und weiterentwickelt hat. Aber richtig ist, dass ich durch das Regieren eine andere Rolle habe. Ich versuche diese Rolle auszufüllen, ohne mich habituell groß zu wandeln, außer natürlich, dass ich älter werde. Aber dieses Schicksal teile ich mit dem ganzen Universum.
Würden Sie nicht manchmal lieber in Laiz im Wald spazieren gehen, als von einem Termin zum anderen zu hetzen?
Eine schöne Vorstellung. Aber der politische Alltag produziert Erwartungen, die ich erfüllen muss. Jede andere Sichtweise hebe ich mir besser für die Pensionierung auf. Solange man in der Vita activa ist, muss es schon das Leben sein, das man möchte. Ich bin ein politischer Mensch und mache Politik aus Überzeugung und Leidenschaft. Es vergeht zwar fast kein Tag ohne Ärger. Aber so ist der Zustand der modernen Demokratie.
Das klingt nicht euphorisch.
Realistisch. Wer so lange Politik macht wie ich, den darf das nicht verwundern. Was mich stört, sind diese vielen sterilen Aufgeregtheiten, die die Mediengesellschaft produziert. Themen, die nur an diesem einen Tag interessant sind, aber da mit aller Macht und Härte durchschlagen, und nach drei Tagen redet keiner mehr darüber. Da darf man sich nicht mitreißen lassen, deshalb versuche ich mir auch so etwas wie Kreativitätszeitfenster zu schaffen.
Wie reagieren Sie auf diese Aufgeregtheiten?
Besonnen. Eines habe ich in der Regierung sehr schnell gelernt. Das Wichtigste ist, keine Fehler zu machen. Erst danach geht es darum, etwas Gutes zu tun. Und dann gibt es noch Hürden, von denen Oppositionspolitiker wirklich wenig Ahnung haben. Die evidenteste Wahrnehmungsänderung ist die zwischen Können und Wollen. In der Opposition glaubt man immer: Die Regierung will nicht. Jetzt in der Regierungsverantwortung erlebe ich: Man kann nicht. Ich dachte wirklich, weil ich ewig in der Opposition war: Windkraft, erste Landtagssitzung, da stellen wir die Weichen, und das läuft dann. Wir sind zwar auf einem guten Weg, nach zwei Jahren aber dennoch nicht ganz fertig mit den Grundlagen des Ausbaus. Es dauert alles sehr lange.
Das heißt, der Ministerpräsident kann seinem Kabinett keine Beine machen?
Bei der Umsetzung des Windkraftausbaus sind die Regionalverbände und Kommunen zuständig ...
... und grundsätzlich?
Bin ich ein sehr großer Anhänger der Achtung von Zuständigkeiten in der Politik. Das ist zwar ungewohnt. Aber das mache ich, und davon lasse ich mich auch nicht abbringen. Ich mische mich nicht immer ein.
Auch nicht, wenn es darum geht, uralten Forderungen der Grünen zum Durchbruch zu verhelfen, beispielsweise eine Wahlrechtsänderung zugunsten der Frauenbeteiligung im Landtag auf den Weg zu bringen?
Auch dann nicht. Fragen des Wahlrechts sind Sache des Parlaments, nicht der Exekutive. Ich habe mich auch als Wahlkreisabgeordneter nie in kommunale Angelegenheiten eingemischt. Bürger und Bürgerinnen tun sich schwer damit, die haben ein bestimmtes Problem, das wollen sie gelöst haben. Es ist schwierig, wenn mir Menschen ihre großen Sorgen mitteilen. Aber Zuständigkeiten beachten, das gehört zur guten Ordnung der Dinge, ohne die eine Demokratie nicht funktionieren kann.
27 Kommentare verfügbar
Liane
am 31.01.2014haben Sie den HInweis-Artikel auch zu Ende gelesen?
die ganze Institutionen- Gesellschaft ist gen Rechts/konservativ gerutscht worden...
deswegen finde ich diese "Links" Phobie absolut dämlich und verherrend.
(direkt nach der Wahl: SPD und Grün seien ZU links..... ja wo denn?)
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