Rezzo Schlauch liebt die Marktplätze und die Bierzelte. Die letzten Kilometer vor dem Wahlauftritt die Kassette mit den Stones reingeschoben, laut mitgesungen, dann war der Berliner Fraktionsvorsitzende bereit für den Kampf um grüne Stimmen. "Auf dem Marktplatz und im Bierzelt, da ist Feuer drin", sagt der Politpensionär (65) und haut auf den Tisch, als wolle er gleich hier im Café Stella eine Kostprobe hinlegen, zeigen, wie das geht. Wahlkampf hat ihm Spaß gemacht, die Zuhörer begeistern, den Mick Jagger der Grünen zu geben, zu merken, wie der Funke überspringt und seine wilde Rhetorik die Leute von den Bierbänken reißt. Das ist schon ein paar Jahre her, heute verkündet die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, die Zeit der Marktplätze sei vorbei. "Das sagt die nur, weil sie's nicht kann", poltert Schlauch gegen Göring-Eckardt, die parteiintern gerne auch als Mutter Theresa firmiert, "Wahlkampf muss rocken." Das wird schwer für Cem Özdemir, den derzeit auch noch ein Hexenschuss plagt.
Doch von Rock ist im Bundestagswahl 2013 derzeit wenig zu spüren. "Routine und Langeweile ist nicht mein Ding", sagt Schlauch. Statt von Tür zu Tür zu tingeln "wie die Zeugen Jehovas", hat er lieber den Kneipenwahlkampf erfunden und dort seine Argumente und Bierdeckel verteilt: Theke, Antitheke, Syntheke. Auch so kann man ins Gespräch kommen.
Die wenigsten Politiker sind zum Rocker geboren. Für viele ist Wahlkampf eine Quälerei. Für Spitzenkandidaten heißt es: jeden Tag eine neue Stadt. Auf dem Marktplatz stehen, jeden Tag mehrmals die gleiche Rede halten. Jeden Tag ein neues Hotelzimmer. Interviews. Gespräche. Betriebsbesuche. Podien. Abendveranstaltungen. Bis einem schwindlig wird und die Städte und die Versatzstücke der Rede und der Gedanken sich im Kopf zu einem Knoten ballen. So sehr, dass man sich im Radiointerview zu dem Geständnis hinreißen lässt, schon mal einen Orgasmus vorgetäuscht zu haben. Ute Vogt (48) freut sich in der SPD-Zentrale am Wilhelmsplatz, dass sie heute als einfache Kandidatin nicht mehr "jeden Käse" mitmachen und zu allem etwas sagen muss.
Können 20-Stunden-Tage Spaß machen?
Heute fragt sie sich, wie sie das als SPD-Spitzenkandidatin ausgehalten hat, dieses Hamsterrad Wahlkampf, das sie über Wochen am Rennen hielt, 20 Stunden am Tag. Kann das wirklich Spaß machen? Oder ist die Frage nicht vielmehr: Wie hält man das aus? Adrenalin hilft, Nachdenken ist eher schädlich. "Man darf kein grüblerischer Mensch sein", sagt Ute Vogt.
"Man braucht eine Mordskuttel", sagt Herta Däubler-Gmelin (70). Mit großer Sonnenbrille sitzt die Ex-Bundesjustizministerin im Stuttgarter Landtagsrestaurant, zeigt noch schnell die Bilder vom großen Hagelunwetter, das alle Rollläden ihres Dusslinger Hauses zerschossen hat. Sie hat mal zusammengezählt, wie viele Wahlkämpfe sie für die SPD bestritten hat, Europawahl, Bundestagswahl, Landtagswahl, Kommunalwahl. Sie kam auf 160, und schon die Zahl löst beim Gegenüber leichte Erschöpfungserscheinungen aus. "Ein Wahlkämpfer muss die Leute mögen", sagt die Politikerin, die 37 Jahre für die SPD im Bundestag saß.
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am 22.08.2013