Herr Schlauch, Winfried Kretschmann bekommt Feuer. Nicht nur vom SPD-Koalitionspartner, sondern auch von der eigenen Partei, Stichwort Finanzierung Filderbahnhof, Stichwort Wahlkampfthema. Fliegt dem grünen Ministerpräsidenten bald die Partei um die Ohren?
Das sind doch bisher nur namenlose Heckenschützen.
Dann haben Sie nicht gelesen, was Renate Künast gesagt hat. Oder die grüne Vize-Landtagspräsidentin Brigitte Lösch.
Kein Einziger sagt doch, du gehst den falschen Weg. Es wird zu viel geplappert und zu wenig geredet.
Die Kritiker sagen, es geht um die Glaubwürdigkeit der Grünen, auch und gerade beim Thema Stuttgart 21, womit die Grünen die Wahl gewonnen haben. Und um die Rolle des Ministerpräsidenten bei diesem Koalitions-Streitthema.
Das sind doch allgemeine Vorwürfe, die für alles gelten können und für nichts. Das Berliner Spitzenpersonal ist aus meiner Sicht noch nie durch besonders kluge Kommentare zu S 21 aufgefallen. Das alles mag ja richtig sein aus der Außenperspektive, aber Regieren ist etwas völlig anderes. Von einem Ministerpräsidenten, der Chef einer Koalition ist, in der der Partner noch die andere Position vertritt und er außerdem ein klares Ergebnis eines Volksentscheids im Rucksack hat, kann man nicht erwarten, dass er eine Position in profilierter Klarheit vertritt. Da kann man nicht den Zampano spielen, sonst fliegt einem die Koalition um die Ohren.
Kretschmanns Nachgiebigkeit wird vor allem als Einknicken vor dem Koalitionspartner wahrgenommen. Drohend steht über allem die Angst vor dem Koalitionsbruch. Was sagen Sie denen, die sagen: Na und?
Eine Koalition um jeden Preis mit Händchen halten unterm Tisch und Schunkeln, das ist nicht meine Vorstellung von Demokratie. Aber ich wünsche mir, dass Kretschmann Ministerpräsident bleibt. Diese Opposition in der Koalition ist übrigens eine alte SPD-Strategie, auch unter Dieter Spöri haben die Sozialdemokraten in der großen Koalition Opposition gespielt. Ich kenne die Spekulationen der baden-württembergischen Sozis: Wenn es im Herbst zu einer schwarz-roten Koalition im Bund kommt, ist das ein guter Zeitpunkt für die Landes-SPD, um abzuspringen. Sollen sie! Ich denke, die Grünen haben eine sehr starke Position und sollten mit solch billigem und unpolitischem Rumgehampel gelassen umgehen.
Das bedeutet aber auch, beim Streitthema Bahnhof eine klare Position zu vertreten. Und die hieß nun mal: keine Sprengung des Kostendeckels. Das war im Übrigen die Grundlage der Volksbefragung und ist in der Koalition so festgelegt.
Verantwortliche Regierungspolitik kann nicht heißen: Ich habe seit 20 Jahren eine Position, an der halte ich fest und schlag anderen den Schädel ein, auch wenn sich die Welt um mich herum vollkommen verändert. Was passiert denn, wenn die Bahn das Ding wie eine heiße Kartoffel fallen lässt? Dann muss sich Stuttgart, eine der produktivsten Industrieregionen der Welt, überlegen, ob sie verkehrstechnisch und infrastrukturmäßig nicht in eine höchst problematische Situation gerät. Die Frage ist dann, ob die Folgen eines Ausstiegs nicht gravierend negativer sind als die Folgen eines Weiterbaus.
Der Schlossgarten ist gerodet, Teile des Bahnhofs sind abgerissen, Baugruben ausgehoben – die Politik beugt sich der normativen Kraft des Faktischen?
Das ist halt Politik, sich mit den Fakten auseinanderzusetzen und nicht mit dem Weihnachtswunschzettel, den ich unterm Christbaum habe. Das Schlimmste ist doch, bis zum Schluss an einer Position festzuhalten, von der man weiß, dass man damit nicht durchkommt, und dann zu sagen: Das haben wir so nicht gewollt.
Hier spricht der Realpolitiker, der als Fraktionsvorsitzender seine Partei vom Einsatz der Bundeswehr im Kosovo überzeugt hat.
Realpolitik wird immer diskreditiert. Es geht dabei doch um Transparenz der Entscheidung und Willensbildung. Ich will den Kosovo nicht mit S 21 vergleichen, das verbietet sich. Damals waren wir kaum in der Regierung, und wir sind jeden Abend in jeden Kreisverband gegangen und haben diskutiert. Der Prozess ist wichtig, und man muss auch mal unangenehme Fragen stellen wie: Warum ist es sakrosankt, das deutsche Militär einzusetzen? Ich hab sicher nicht jeden überzeugt, aber das Ziel ist der Prozess, der Diskurs. Offensiv und offen, innerhalb und außerhalb der Partei. Und das braucht es auch in Baden-Württemberg.
Wollen Sie jetzt im Land eine Kreisverbands-Offensive zu S 21 starten?
Nach der Vorgeschichte hier reichen vier, fünf Diskussionen in den Kreisverbänden nicht. Wir hatten hier eine politische Mehrheit, die nach dem Motto vorging: Das Ding ist beschlossen, Augen zu und durch. Als man gemerkt hat, dass das nicht mehr ging, hatten wir die Schlichtung. Nun würde sich eine ähnliche Plattform oder ein Forum anbieten, das unter dem Motto steht: Wie weiter?
Stellt sich für Sie die Frage denn überhaupt noch?
Sicher, ich bin nicht vom Gegner zum Befürworter mutiert. In diesem Forum, mit Bahn und Vertragspartnern an einem Tisch, müsste man klären: Wie hoch sind die Kosten wirklich, was ist der Nutzen? Hat es Sinn, S 21 durchzuziehen und durchzubauen? Aber auch, ob es nach einer neueren Planfeststellung, die dann zehn Jahre weiter Verzögerung bringt, ökonomisch noch vertretbar ist, anders zu bauen. Ich bin sicher, dass wir eine solche Plattform, nennen Sie es Schlichtung II oder Forum, brauchen. Und dass es Akteure gibt, aus Politik oder Wirtschaft oder Wissenschaft, politische Akteure, die einen solchen Prozess steuern können.
Man muss spüren, dass die Grünen dran sind in Baden-Württemberg, sagten Sie kürzlich. Wo spürt man es denn oder vielmehr: Wo sieht man es?
In aller Vorsicht würde ich sagen: Man sieht es noch zu wenig. Natürlich ist der Kulturwechsel von Mappus zu Kretschmann allgegenwärtig und wird positiv zur Kenntnis genommen. Übrigens auch überregional, in Kreisen, wo man das nicht vermutet, etwa in der Wirtschaft. Dieser atmosphärische Unterschied im Politikstil, der muss in den kommenden drei Jahren auch inhaltlich unterfüttert werden. Sicher sind das mühsame Prozesse, aufgrund einer uralten, verkarsteten Vergangenheit. Wir haben sanfte Pflänzchen wie den Nationalpark, den Aufbruch in der Bildung. Aber beim Ausbau der Windkraft wäre es dringend nötig, dass das Landwirtschaftsministerium und seine nachgeschalteten Behörden den Schneckengang etwas beschleunigen würden. Da muss Grün-Rot noch nachlegen.
Bei Polizei und Justiz jedenfalls spürt man keinen Aufbruch. Nach wie vor bespitzeln Landeskriminalamt, Verfassungsschutz und Polizei den Protest gegen den Bahnhof. Grundlage ist ein Rahmenbefehl, vom CDU-Innenminister Rech initiiert, vom SPD-Innenminister Gall verlängert.
Das halte ich für vollkommen daneben. Solange nicht erkennbar ist, dass hier eine gewalthafte Entwicklung absehbar ist, halte ich eine solche Protokollierung von Verfassungsschutz, Landeskriminalamt und Polizei für unverhältnismäßig. Und noch mehr halte ich für daneben, was die Staatsanwaltschaft macht. Dass nämlich jeder Hühnerfurz, der auf einer Demo gelassen wird, mit den härtesten Mitteln verfolgt wird.
Sie sprechen die juristische Aufarbeitung des Schwarzen Donnerstags an. Verantwortlich dafür ist Bernhard Häußler, der auch dadurch aufgefallen ist, dass er einerseits das Tragen durchgestrichene Hakenkreuze ahndet, andrerseits die Ermittlungen gegen Täter des <link https: www.kontextwochenzeitung.de internal-link>SS-Massakers in Sant'Anna in Italien nach zehn Jahren ergebnislos einstellt ...
... und beim EnBW-Deal die Hände in den Schoß gelegt hat, obwohl die Spatzen den Anfangsverdacht von allen Dächern gepfiffen haben. Was in diesem Bereich läuft oder nicht läuft, das ist für mich, der ich 15 Jahre lang Stuttgarter Polizei- und Justizgeschehen miterlebt habe, nicht nachvollziehbar. Ich kann nachvollziehen, dass sich der Justizminister, den ich übrigens sehr schätze, zurückhält nach dem Motto: Die Staatsanwaltschaft ist autonom. Aber wenn Linien überschritten werden, und Häußler hat das getan, dann sollte sich ein Justizminister nicht scheuen, im Einklang mit der Verfassung zu intervenieren.
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i bo
am 11.05.2013