Das Gericht meint, Kontext habe nicht zuverlässig genug dargelegt, woher die Informationen über den ehemaligen Mitarbeiter stammen. Das ist eine herbe Niederlage im bereits fast sieben Jahre dauernden Rechtsstreit für Kontext. Und wirft Fragen auf: Welche Bedeutung hat der Quellenschutz im Journalismus? Müssen Whistleblower künftig genannt werden? Die Kosten des Verfahrens muss nun Kontext tragen und die haben sich verdoppelt. Denn das OLG hat in seinem Urteil den Streitwert von 260.000 Euro kurzerhand auf 480.000 Euro hochgesetzt. Zudem spricht das Oberlandesgericht dem Neonazi Geldentschädigungen und Schadenersatz in Höhe von etwa 25.000 Euro plus Zinsen zu.
Seit sieben Jahren beschäftigt uns, Kontext, dieser Streit vor diversen Gerichten. Im Mai 2018 hatten wir einen Artikel veröffentlicht, der Auszüge aus Facebook-Chats enthielt, die der damalige Mitarbeiter mit AfD- und NPD-Funktionären, rechtsextremen Burschenschaftlern und europäischen Neonazis geführt hatte, teils über konkrete politische Vorgehen. Insgesamt geht es um Material, das ausgedruckt zehn Aktenordner füllt und das von Kontext mehrere Monate intensiv auf Plausibilität geprüft worden ist. Wir entschieden uns dafür, die menschenverachtenden und massiv rassistischen Chat-Inhalte auszugsweise zu veröffentlichen, weil wir genau darin die Aufgabe der Presse sehen: zu enthüllen, was im Verborgenen passiert und wie Mitarbeitende der AfD ticken, wenn sie nicht unter Beobachtung der Öffentlichkeit stehen – noch dazu Mitarbeitende, die Zugang zum Landesparlament und damit zu sensiblen Daten und Informationen haben.
Chats gelöscht
Der damalige Mitarbeiter wollte uns schon kurz nach der Veröffentlichung des Artikels die Berichterstattung juristisch untersagen lassen. Vor Gericht ging es – erst im einstweiligen Verfügungsverfahren, dann im Hauptsacheverfahren – zunächst um die Rechtmäßigkeit der Namensnennung. Und darum, dass dieser letztlich zwar die Authentizität der Chats generell einräumte, nicht aber die der rund 40 rassistischen Äußerungen, die wir in Kontext zitiert hatten. Diese seien manipuliert worden, behauptet der Mann, der dem Gericht, ebenso wie seine Chatpartner, die angeblich unmanipulierten Chats nicht zeigen wollte. Sie alle hätten die Chats gelöscht, hieß es vor Gericht.
Im einstweiligen Verfügungsverfahren hatte uns das Oberlandesgericht Karlsruhe im Februar 2019 vollumfänglich Recht gegeben. "Das Gericht sieht es als hinreichend glaubhaft gemacht an, dass die im Rechtsstreit vorgelegten Chat-Protokolle authentisch sind", stand im Urteil. Und weiter: "Mit Rücksicht auf die Diskussion um rechtsextreme Bestrebungen im Umfeld der AfD leisten die beanstandeten Presseartikel einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage." Und weil es "eine die Öffentlichkeit beschäftigende Angelegenheit" sei, ob die AfD extreme Positionen vertrete, so das OLG, dürfe "in diesem Zusammenhang auch identifizierend über den Kläger berichtet werden". Und es urteilte 2019, es spreche eine "deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Echtheit der Chat-Protokolle".
Der ehemalige Mitarbeiter, der von der Kölner Kanzlei Höcker vertreten wird, die auch Alice Weidel verteidigt und in diversen Fällen die AfD, klagte dann im sogenannten Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Frankfurt, wo er sich mehr Erfolg versprach. Aber auch das Landgericht Frankfurt gab uns im Dezember 2022 im Hauptsacheverfahren und nach Vernehmung dreier Zeugen aus der rechtsextremen Szene und eines IT-Sachverständigen vollumfänglich Recht. Es ging wie schon Karlsruhe "von der Authentizität der vorgelegten Facebook-Protokolle aus", heißt es in der Urteilsschrift. Außerdem war die Kammer "überzeugt, dass die Beklagte zu 2. (Kontext-Autorin Anna Hunger) ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nachgekommen ist und die Authentizität der Chat-Protokolle mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln überprüft hat. Die Beklagte zu 2. war nachvollziehbar in der Lage darzulegen, dass die so gewonnenen Informationen zuverlässig sind. Die Beklagten handelten auch in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Mit ihrer Berichterstattung nehmen sie die klassische Aufgabe als Presseorgan im Sinne eines 'Wachhunds der Öffentlichkeit' wahr."
Das OLG sieht die Sache ganz anders
Auch gegen dieses Urteil legte die Gegenseite Einspruch ein. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat nun zugunsten des ehemaligen Mitarbeiters zweier AfD-Abgeordneter entschieden und bewertet die Frage der Authentizität der Chatprotokolle anders als die vorigen Instanzen. Das verstört uns. Auch dass das Gericht den Gegenstandswert ohne größere Begründung und ohne Ankündigung auf für das Presserecht astronomische 480.000 Euro hochgesetzt hat. Drei Instanzen haben dies – inklusive Kläger – zuvor anders gesehen.
In einem Hinweisbeschluss vom Dezember hieß es bereits, Anna Hunger, die Autorin des Artikels, habe "im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung vor dem Senat trotz intensiver Nachfrage nicht hinreichend darzulegen vermocht, dass sie die Informanten auf ihre Zuverlässigkeit überprüft hat. Insoweit waren aber erhöhte Anforderungen geboten, da diese die die in Rede stehende Information (Datei) durch eine Straftat erlangt hatten, welche ein gewisses Maß an krimineller Energie erforderte."
Das heißt im Grunde: Wir haben unseren Job gut gemacht. Denn wir haben geschützt, was für investigativen Journalismus am wichtigsten ist: die Quelle von Informationen. "Wir würden lieber ein Verfahren verlieren, als dass wir den Quellenschutz aufgeben", sagt Kontext-Chefredakteurin Anna Hunger. "Auch, wenn es uns teuer zu stehen kommt. Der Informantenschutz ist die Grundlage unserer Arbeit und wichtiger Bestandteil der im Grundgesetz garantierten Pressefreiheit. Zudem sind Whistleblower, die Informationen nur selten auf juristisch lupenreinem Weg erlangen, per Gesetzt geschützt. Wir sind irritiert, dass ein Gericht dies offenbar anders sieht." In Zeiten zunehmend rechter Einschüchterungsversuche in Deutschland und europaweit, sehe Kontext dieses Urteil als bedenkliches Signal, sagt Hunger weiter.
Der Senat hat die Revision vor dem BGH – gegen den Antrag von Kontext – nicht zugelassen. Dagegen kann Kontext innerhalb eines Monats Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. Kontext prüft derzeit die Erfolgsaussichten.
1 Kommentar verfügbar
Pape
vor 1 Woche