Thomas Ducks presst das Handy ans Ohr und redet auf seinen Gesprächspartner ein. Vor einem Lokal in Oberndorf am Neckar haben sich Grüppchen gebildet, man raucht, redet. Auf den roten Poloshirts, die viele tragen, steht "Schwarzwälder Bote – im Streik". Thomas Ducks ist Betriebsratsvorsitzender beim "Schwarzwälder Boten", einer von der kämpferischen Sorte. Vor wenigen Wochen haben die Mitarbeiter den Wirtschaftsredakteur mit großer Mehrheit wiedergewählt, was die Geschäftsleitung über das Arbeitsgericht anzufechten versucht. Ducks klappt das Handy zu und sagt: "Die Nerven liegen grade ziemlich blank."
Kein Wunder, beim Schwabo ist man jetzt 50 Tage im Streik. Und immer noch bewegt sich nichts. Ein vereinbartes Vorgespräch hat die Arbeitgeberseite Knall auf Fall abgesagt, ein zweiter Termin blieb ohne Ergebnis.
In der Wirtschaft Zum Alten Rathaus, keine Minute Fußweg von der Verlagszentrale in Oberndorf entfernt, haben sich die Widerständler an diesem Herbsttag zur Streikversammlung eingefunden. Sie kommen aus dem gesamten Verbreitungsgebiet der Zeitung. In manchen Lokalredaktionen arbeiten seit Wochen nur die örtlichen Redaktionsleiter und die Volontäre, in anderen läuft der Streik nicht so gut. Da schaffen die Zurückgebliebenen für die Streikenden mit. Es gibt aber auch Redaktionen, in denen nur noch Pressemitteilungen und Geschichten von Freien die mageren Seiten füllen.
Mit den Stuttgarter Zeitungen wirtschaftlich verwoben
Bei der gut 175 Jahre alten Regionalzeitung ist nichts mehr, wie es früher war. Altgediente Redakteure, früher 150-prozentige Schwabo-Leute, wandeln sich zu frustrierten Achselzuckern oder zornigen Anklägern. Am 19. Januar hatte der Verlag verkündet, man wolle zwei neue Gesellschaften gründen, eine für die Redaktionen, eine für die Anzeigenabteilung und die Geschäftsstellen. Schon vor einigen Jahren hat der Verlag die Grafik-Bote GmbH gegründet und die Technik dorthin ausgelagert. Zweck der Übung: Tarifflucht. "Dem Betriebsratsvorsitzenden wurde mündlich mitgeteilt, dass ein Großteil der circa 430 Beschäftigten auf zwei rechtlich eigenständige Gesellschaften zum 1. März 2011 ausgelagert werden. Als Motiv für die Zerschlagung wird eine 'marktgerechte Positionierung' genannt", urteilte die Gewerkschaft Verdi.
Was immer das ist, klar ist, dass Rebmann sparen will. Zu Lasten der Mitarbeiter und der Leser, die mit einem immer dünneren Produkt abgespeist werden. Mit einer Auflage von noch 125 000 Exemplaren ist der "Schwarzwälder Bote" eine klassische Regionalzeitung. Er erscheint im Schwarzwald zwischen Calw im Norden und Lörrach im Süden, vom Kinzigtal bis Balingen im Osten. Um das Traditionsblatt so billig wie möglich zu machen, werden die Inhalte für den Manteilteil von den "Stuttgarter Nachrichten" (StN) bezogen, mit denen Rebmann über die SWMH verbandelt ist. Die StN erscheint wie die "Stuttgarter Zeitung", die "Süddeutsche Zeitung" und eben auch der Schwabo unter dem Dach der Südwestdeutschen Medienholding. Als deren Geschäftsführer fungiert Rebmann, daneben als Verleger der Oberndorfer Gazette. So fügt sich das eine zum andern.
Die Verlagsleitung hat ihr Sparkonzept zum 1. März durchgezogen. Klagen des Betriebsrats, nicht rechtzeitig informiert worden zu sein, wurden vom Tisch gewischt. Was Ducks besonders empört: seit mehr als einem Jahr habe die Geschäftsleitung die Umstrukturierung geplant, ohne dem Betriebsrat ein Sterbenswörtchen darüber zu verraten. Dies sei ein klarer Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz, sagt Ducks und verweist darauf, dass die Arbeitnehmervertreter "im Moment der Planung" einbezogen werden müssten und nicht erst, "wenn ein fertiger Plan exekutiert wird". Entsprechend bestürzt seien Betriebsräte und Belegschaft.
Ein Testlauf für die anderen Zeitungen des Konzerns?
Die Gewerkschaften Verdi und DJV warnten von Beginn an: Beim "Schwarzwälder Boten" wolle Rebmann die Tarifflucht testen, um diese dann bei den anderen zur Holding gehörenden Blättern zu wiederholen. Als Blaupause sozusagen. Die Schwabo-Mitarbeiter, so hoffe man wohl in Stuttgart, leisteten weniger Widerstand als die der beiden Stuttgarter Blätter oder jene der Ludwigshafener "Rheinpfalz", die ebenfalls zum Konzern gehört.
Doch die Redakteure und Verlagsmitarbeiter knicken nicht ein. Gewerkschaften und Betriebsrat organisieren Protestveranstaltungen, informieren die Öffentlichkeit und mobilisieren die Beschäftigten. Denn diesen drohen durch die Tarifflucht niedrigere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen. Zu einer außerordentlichen Betriebsversammlung Ende Januar kommen 200 von 270 Mitarbeitern, ungewohnt viele Redakteure, Angestellte der Geschäftsstellen, Anzeigenakquisiteure. Manche Geschäftsstellen bleiben ganz geschlossen.
Der Betriebsrat will verhandeln, um das Schlimmste zu verhindern. Wenn schon die Ausgliederung unvermeidbar ist, dann will er wenigstens regeln, wie die ausgegliederten Beschäftigten künftig bezahlt werden. Das wäre ein Vorgehen, wie es in der Branche üblich ist. Nicht in Oberndorf. In der Chefetage will niemand mit den Betroffenen reden. Der Betriebsratsvorsitzende Ducks schreibt an den Arbeitgeber und bekommt zur Antwort, dass die Geschäftsführer nicht über einen sogenannten Interessenausgleich reden wollen.
Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft abgelehnt
Neuer Leiter der Redaktions-GmbH ist der Chefredakteur Klaus Siegmeier. Mit dem Hinweis, "derzeit" seien keine Veränderungen bei den Arbeitsbedingungen und den Löhnen geplant, können Siegmeier und seine Geschäftsführerkollegen Hans-Carsten Steensen und Hans Dieter Meng die Belegschaften nicht beruhigen. Im Gegenteil: zusammen mit Verdi stellen sie eine Tarifkommission zusammen, die mit dem Arbeitgeber verhandeln soll. Auch das wäre üblich. Doch nicht beim Schwabo in Oberndorf. Da verlaufen erste Gespräche schnell im Sande, da wird eine Überleitungsvereinbarung dann doch nicht geschlossen. Da will der Verlag offenbar mehr. Der Betriebsrat soll weg, vermutet Verdi. "Insbesondere der freigestellte Betriebsratsvorsitzende ist der Geschäftsführung ein Dorn im Auge", heißt es in einem Flugblatt.
Und wenig später berichtet Annegret Kaiser vom Verdi-Landesverband, alle drei ausgegliederten Unternehmen lehnten Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft ab. Ihr Kommentar fällt entsprechend geharnischt aus: "Unsere Kolleginnen und Kollegen wehren sich dagegen, schlechter bezahlt und behandelt zu werden als ihre Kolleginnen und Kollegen in Stuttgart oder München. Sie wollen nicht die 'Deppen der Provinz' im Konzern der Südwestdeutschen Medienholding sein."
Im Mai rufen Verdi und DJV zum Warnstreik auf. 140 Mitarbeiter legen die Arbeit nieder, versammeln sich morgens früh um sieben in Oberndorf. Uwe Kreft von Verdi beklagt, es sei "bitter, dass die Geschäftsführer es nicht für notwendig erachten, mit uns über die Arbeitsbedingungen zu reden". Das sei ein Skandal und zeige "fehlenden Respekt und Anstand". Ducks appelliert: "Wir fordern Wertschätzung, aber wir bekommen den Eindruck, die Mitarbeiter spielen keine Rolle, die sind ein Steinbruch, um die Renditeerwartungen zu erfüllen." Verleger Rebmann "schenkt" man den Streiktag zu seinem Geburtstag.
Der Geschäftsführer ruft die Polizei vors Pressehaus
Aus Stuttgart kommen zwei Busse mit Redakteuren, die sich solidarisieren. Auch in vielen anderen Redaktionen gibt es zu der Zeit Streiks, weil die Zeitungsverleger die Löhne senken wollen. Im Sommer schließen die Herren der Presse mit den Gewerkschaften einen Tarifvertrag ab, mager, aber immerhin. Nur beim Schwabo rührt sich nichts. Die Journalisten fertigen eine <link http: www.streikbote.de _blank external-link-new-window>Streikzeitung, sie sind tageweise im Ausstand, fahren in die größeren Orte im Verbreitungsgebiet, halten dort Versammlungen ab und informieren die Leser über die Vorgänge im Blatt.
Schließlich beschließt die Streikversammlung, es nicht mehr bei Nadelstichen zu belassen. Die Belegschaft geht in den unbefristeten Streik. Seit dem 11. September dauert der nun schon. Die Forderung: Sprecht mit uns. Doch die Arbeitgeberseite bleibt stur. Keine Signale. Als die Streikenden sich Mitte September in Stuttgart vor dem Pressesehaus versammeln, um mit Rebmann zu reden, lässt der Verleger die Zufahrt durch Eisengitter absperren und holt die Polizei.
Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske schaut in Oberndorf vorbei und und hält eine flammende Rede. Er fühle sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt, poltert Bsirske, wenn er höre, dass die Geschäftsleitung von "ungewaschenen Gewerkschaftern" rede, gegen die man am liebsten "mit dem Knüppel" vorgehen wolle. Den Kampf gegen die "Gutsherrenart" könne sich seine Organisation "noch lange, lange Zeit" leisten. Und dann verweist der Verdi-Chef auf einen Jahresüberschuss der SWMH im Krisenjahr 2009, der sich auf 45 Millionen Euro belaufe. Auch der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, Michael Konken, findet den Weg ins abgelegene Oberndorf.
Verdi: von einem Dutzend Unter-GmbHs nur noch zwei tarifgebunden
Doch auf der Verlegerseite rührt sich nichts. Ein vereinbartes Sondierungsgespräch des Konzernbetriebsrats mit dem Personalchef und dem Geschäftsführer wird abgesagt. Begründung der Arbeitgeberseite: Man brauche noch mehr Zeit. Das macht die Streikenden wütend. "Wir wissen nicht, wie lange die noch brauchen, um zu kapieren, dass sie es sind, die dem Schwabo großen Schaden zufügen", wettert ein langjähriger Redakteur. Schließlich kommt doch ein sogenanntes Vorgespräch mit Verlagsvertretern zustande, aber ohne jedes konkrete Ergebnis. Die Streikversammlung beschließt darauf, den unbefristeten Streik fortzusetzen.
Markus Klemt von Verdi aus Villingen-Schwenningen geht es ums Prinzip. "Von dem guten Dutzend Untergesellschaften beim Schwabo sind am Ende gerade noch zwei tarifgebunden, wenn die das durchziehen", klagt er. Derweil versucht der Verlag, die Leser bei Laune zu halten. Wer sich über das dünne Blatt beklagt, bekommt eine Gutschrift, mal 15 Euro, mal den ganzen Monat geschenkt.
Die Streikenden wollen durchhalten. "Wenn's sein muss, schenken wir Glühwein aus", sagt ein Betriebsrat. Dabei würden die Kollegen gerne wieder das machen, was sie gelernt haben: eine ordentliche Zeitung, wie Thomas Ducks sagt. "Wir haben beim Schwarzwälder Boten immer hochmotivierte Mitarbeiter gehabt", betont er, "die Identifikation mit dem Unternehmen ist sehr hoch." All das setze die Verlagsleitung mit ihrer Sturheit aufs Spiel. Auf die Anfrage der Kontext:Wochenzeitung, wie das Unternehmen die Vorgänge im eigenen Haus bewerte, hieß es lapidar: kein Kommentar.
2 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 22.01.2019Jener im Bild, der seit Nov. 2000 als Vorsitzender der Gewerkschaft ÖTV -seit März 2001 ver.di- und als Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen in unserer Gesellschaft Akzente setzen kann, ist aufgefordert sich bundesweit Gehör zu verschaffen.
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