Die Halle tobt. 4500 junge Menschen kommen nach Angaben des Gospel Forums am vergangenen Samstag zur Holy Spirit Night. Charismatische Erweckung für 22 Euro den Abend, Stehplatz. Die Show ist grandios gemacht: Videoinstallationen flimmern über die beiden Bildschirme über der Bühne, die Lightshow taucht die Menschen in Rosa, in Lila oder lässt Schneeflocken über die Ränge fliegen. Drei junge Mädchen tanzen und schweben auf Zehenspitzen wie Ballerinas am Rande des Stehplatzbereichs. Ein junger Mann ist schon nach dem zweiten Song komplett fertig, steht da mit ausgebreiteten Händen, reibt sich gequält das Gesicht, sinkt auf die Knie, bricht zusammen und weint. Mit erhobenen Händen ruft eine Frau von der Bühne: "Heiliger Geist, komm, wir brauchen dich! Wir können diesen Raum nicht ohne dich verlassen!" Eine junge Frau mit langen bunten Fingernägeln betet mit gefalteten Händen, dann hebt sie sie gen Hallendecke und zittert, vermutlich, weil der Heiligen Geist gerade in sie fährt. Halleluja.
Alarmstufe Rot: Who's who der charismatischen Übermenschen
Die Holy Spirit Night ist die Abschlussveranstaltung einer zweitägigen Konferenz mit dem bezeichnenden Namen "Code Red" – Alarmstufe Rot, eine Art europäischer Endzeitvision, in der die Zeit Jesu und seiner passionierten Nachfolger gekommen sein soll. Christliche Pop-Mission at its best mit prominenten Gästen aus der internationalen Erweckungsszene. Todd White ist da, der Mann mit den Dreadlocks, Atheist, bis er Jesus gefunden hat und seitdem einen "24/7-Reich-Gottes-Lebensstil" pflegt. Dan Blythe von der Hillsong Church London, Ben Fitzgerald, der Ende 2002 eine "tief greifende Begegnung mit Jesus" hatte, "als er noch als Drogendealer tätig war", heute ist er Pastor in der Bethel Church in Redding, Kalifornien, Fachrichtung unter anderem "übernatürlicher Dienst". Über die Gemeinde gibt es Videos, in denen sich Gläubige auf die Gräber anderer Christen legen, um deren Energie in sich aufzusaugen. Deren Chef: Bill Johnson, Senior Pastor, verzeichnet eine halbe Million "Gefällt mir" auf Facebook. Auf der Facebookseite seiner Frau findet sich ein Video über die "korrupten Clintons" und eines, in dem Donald Trump mit ein paar Männern Pakete aus einem Lkw auslädt. Ihr Kommentar: "Er hilft. Egal, ob er es nur für Wählerstimmen tut, er hilft."
Alles in allem ist an diesem Wochenende das Who's who der charismatischen und neocharismatischen Glaubensbewegungen in der Stuttgarter Schleyerhalle, untermalt von den Superstars der Lobpreis-Szene: Guvna B., Gospel-Rap aus London, die Christen-Pop-Band Jesus Culture, die Gospel Youth Band, der "Lobpreisbereich der Jugendarbeit des Gospel Forums", für das Markus Wenz, Sohn des Gospel-Forum-Chefdenkers Peter Wenz, später an diesem ekstatischen Abend die Hauptpredigt halten wird. Das Gospel Forum, Deutschlands erste Megachurch nach US-Vorbild, ist der Veranstalter des Jugendgottesdiensts, der seit 20 Jahren zwei Mal im Jahr stattfindet und als "Movement" in sechs Ländern und 16 Städten vertreten ist. Markus Wenz, "ein Nachfolger von Jesus, Ehemann, Jugendpastor, Freund, Medienbegeisterter", ist der Leiter des Holy Spirit Night Movement in Europa. "Sein Herz brennt für eine Transformation in dieser Generation durch die Liebe Gottes." Momentan ist er auf Tour: Fearless, das ist der Titel. In Paris waren sie gerade, in Lausanne, Amsterdam, Bologna.
Das Programm: eine Reformation in Bewegung zu bringen. "Wir brauchen die Vision einer mächtigen Armee von Betern, die sich erhebt und für die geistliche Erneuerung ihrer Gemeinde und ihrer Gesellschaft kämpft." So steht es im Holy-Spirit-Night-Magazin, das auf den Gängen rund um den Veranstaltungsbereich der Schleyerhalle ausliegt und in dem viel von "herrschen und regieren", von "geistlichem Kampf" oder vom "Feind" die Rede ist, "der versucht, die Gemeinden von der erlebbaren Kraft Gottes abzuschneiden". Das Cover des Magazins ist in Hooligan-Ästhetik gehalten: ein Vermummter, der einen blutroten Farbnebel versprüht. Innen sind mehrere Seiten "Fearless – The Collection" abgedruckt: weiße und schwarze T-Shirts mit dem stilisierten Löwen-Emblem, Jutetaschen, Turnbeutel, präsentiert von jungen Frauen und Männern mit Sonnenbrillen, Skateboards, Sneakers und geföhnten Haartollen. Der junge Christ von heute ist Hipster.
Die Erweckung klingt martialisch
Die Erweckungsrhetorik von Pfingstgemeinden sei "laut, selbstbewusst und bestimmt von der Erwartung bald eintretender Massenerweckungen", schreibt Reinhard Hempelmann, Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. "Sie kann sich militanter Metaphorik bedienen, wenn etwa gesagt wird, es gehe darum, Deutschland und Europa 'einzunehmen'." Im Juli des vergangenen Jahres hat Hempelmann den Kongress "Awakening Europe" besucht. 25 000 pfingstlich-charismatisch geprägte ChristInnen waren dort. Initiatoren des Kongresses waren Todd White und Ben Fitzgerald, die am Samstag auch in Stuttgart zu Gast waren. Der Kongress fand in Nürnberg statt. Hempelmann schreibt dazu: "Sie begründeten ihr Engagement mit göttlichen Eingebungen im Zusammenhang eines Besuches des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes. 70 Jahre nach Kriegsende soll Vergangenes korrigiert und eine neue Heils- und Errettungsgeschichte mit Nürnberg als Ausgangspunkt geschrieben werden können: 'Europe will be saved'." Der Kongress sei als "Startpunkt" gedacht "für eine neue Jesusbewegung, die das Gesicht Europas verändern werde". Und das tun sie, in wechselnder Besetzung, unter wechselnden Überbegriffen für Konferenzen und im Schulterschluss mit Gemeinden ähnlicher Art vor Ort. Meistens dabei auch das Personal vom Samstag: Ben Fitzgerald, Markus Wenz, Peter Wenz, Jean Luc Trachsel.
In Lausanne, sagt Trachsel um Viertel vor neun von der Stuttgarter Bühne herunter, seien Hunderte Menschen mitten in der Stadt gestanden und hätten geschrieen: "Jesus, Jesus! Hunderte Menschen wurden das erste Mal errettet!" Jean Luc Trachsel kommt aus der Schweiz: "Nach seinem Studium hat Gott ihn umgehend in leitender Position in einer Schweizer Bank platziert", steht auf der Homepage des Gospel Forums. Heute ist er Geschäftsführer einer Schweizer Kosmetikfirma, die Nagellack, Shea-Butter und Peeling verkauft, Marketingfachmann und Direktor der International Assosiation of Healing Ministries, selbst übrigens auch Heiler, auch in Stuttgart: "Viele (seiner Zuhörer) werden übernatürlich geheilt und errettet", schreibt das Gospel Forum über ihn.
An diesem Abend ist er weniger für Übernatürliches denn für Weltliches zuständig, der Kassenwart des Herrn sozusagen. Die Schleyerhalle im Rohzustand koste schon 120 000 Euro, "so you can make the calculation", was das für die gesamte Tour koste. "Ich weiß, dass ihr nicht viel habt, aber das, was ihr habt, könnt ihr geben", sagt er. Die Holy Spirit Night sei ein Schlüssel für Europa, um Erweckung zu säen. "Und heute Abend geben wir dir die Gelegenheit, Teil dieser Bewegung zu sein. Ich weiß, dass ihr Tickets gekauft habt, aber die Karten decken nicht die Gesamtkosten", sagt er. Außerdem, da sei er nahezu sicher, seien im Raum auch Leute wie er selbst, vielleicht sogar welche, die noch mehr Geld haben. "Dann kannst du ein besonderes Opfer geben. Seid großzügig. Es ist etwas, das direkt aus dem Himmel kommt." Und dann sagt er: "Gott segne euch alle. Gott segne euer Geschäft."
Her mit dem Mammon!
Draußen werden Devotionalien verkauft, Kreuze, Anhänger, gepresste Handtücher in Fischform. An einem Stand wird ein Jahr Selbstfindungs-Vollzeitkurs in Konstanz bei Hillsong Germany angeboten, einem Ableger der Hillsong Church, Australien. An den Wänden hängen große Poster, auf denen die Gäste ihre Gebetsanliegen notieren können: Segenswünsche für Schwerkranke, Abhängige, für einen guten Arbeitsplatz, "für unsere Ehe, dass der Herr uns einigt und wir seinen Dienst tun können", oder auch, "dass Gott mich davon freisetzt, dass ich immer alle Männer abchecke". Fairliebt nennt sich die Organisation, die über "Körper, Freundschaft, Sexualität" aufklären will. Am Fairliebt-Stand gibt es ein Kreuzworträtsel-Gewinnspiel: 8. Weibliches Geschlechtshormon, 9. Männliches Geschlechtshormon, 13. Bund fürs Leben.
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Frank M
am 28.01.2019