Polizeipräsident Thomas Züfle wünscht sich, dass der S-21-Konflikt "dauerhaft und unaufgeregt" beigelegt werden kann. Wenn er die Wahl hätte, würde er am liebsten "keinen Demonstranten und Blockierer anfassen", sagt er im Interview mit der Kontext:Wochenzeitung. An diesen Worten wird er sich messen lassen müssen, wenn der Südflügel in den nächsten Tagen fällt. Davon unberührt bleibt sein Verhältnis zur Deutschen Bahn: "Es ist nervig."
Kontext: Herr Züfle, wir hören, Stuttgart 21 liege Ihnen schwer im Magen. Tut's arg weh?
Züfle: Nein, wenn Sie damit Bauchweh meinen. Schmerz ist etwas Qualitatives. Ich rede von Quantität, von Gewicht, vom Umfang des Themas. Und da mache ich keinen Hehl daraus: Stuttgart 21 beschäftigt mich überdimensional, mehr, als mir lieb ist.
Ist doch ein aufregendes Leben.
Wir haben hier ja auch noch etwas anderes zu tun. Das Stuttgarter Polizeipräsidium hat mehr als 2500 Beschäftigte, die zwischen 160 und 180 Straftaten am Tag zu bearbeiten haben, die täglich zwischen 450 und 500 Einsätze zu fahren haben. Das wird durch Stuttgart 21 völlig überlagert.
Das dürften Sie geahnt haben, als Sie Ihren Job im Sommer 2011 angetreten haben.
Stimmt. Das bedurfte keiner besonderen prognostischen Fähigkeiten, zu erkennen, dass es so kommen würde. Es wäre allerdings vermessen, zu behaupten, ich hätte mich auf das Dauerthema S 21 gefreut. Andererseits laufe ich auch nicht den ganzen Tag mit sorgenvoller Miene herum oder träume gar vom Bahnhof.
Sie haben sich stark genug gefühlt, den Sack zu wuppen. Spricht für hohe Zuversicht.
Das ist jetzt zu hoch gegriffen. Natürlich glaube ich an mich und meine Fähigkeiten. Aber alleine richten Sie hier nichts aus. Ich halte mich hier an die Stuttgarter Linie der Deeskalation, und die wird von allen Mitarbeitern getragen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir das alle zusammen hinkriegen werden.
Die "Süddeutsche Zeitung" hat zu Ihrem Amtsantritt geschrieben, das sei der schwierigste Job, den die Polizei zu vergeben habe.
Das weiß ich nicht, das mögen andere beurteilen. Vielleicht hilft mir die Fähigkeit, auf Menschen zugehen, ihnen zuhören und andere Meinungen akzeptieren zu können. Dass man darüber miteinander spricht, halte ich für das Normalste der Welt.
Möglicherweise hat da Ihre Zeit als Leiter der Polizeidirektion in Tübingen geholfen. Die Stadt des Weltgeistes sozialisiert auf ihre ganze eigene Weise.
Gerade Tübingen ist für die Polizei kein einfaches Pflaster. Hier kommen die Menschen schon fast als Gelehrte beziehungsweise Besserwisser auf die Welt.
Denken Sie jetzt an Boris Palmer und Winfried Hermann, die beide das Hohelied auf Sie gesungen haben?
Beide habe ich nicht als Grüne erlebt, sondern als Politiker, die unideologisch an der Lösung von Problemen gearbeitet haben. Palmers Klimamotto "Tübingen macht blau" deckt sich mit der Farbe der Polizei.
Haben Sie eigentlich eine persönliche Meinung zu Stuttgart 21?
Selbstverständlich.
Ach ja, und?
Darüber können wir uns unterhalten, wenn alles vorbei ist. Ich rück damit nicht raus, weil das mein Handeln schwer belasten würde. Jede Seite würde es nach ihrem Gusto auslegen, und dann könnten Sie hier einpacken. Sie erzählen doch auch nicht jedem, dass Sie für Stuttgart 21 sind.
Sehr lustig.
Also, Spaß beiseite: als Polizist sind Sie zur politischen Mäßigung verpflichtet. Das gilt nicht nur für den Präsidenten, sondern für alle Beamte. Selbstverständlich haben wir in unseren Reihen Befürworter und Kritiker, vielleicht sogar glühende Befürworter und glühende Kritiker. Hier wird das Denken nicht verboten.
Aber Buttons an der Uniform tragen geht nicht.
Nein, das verlangt die politische Mäßigung. Wenn ich einen Polizisten in den Einsatz schicke, kann ich nicht erst fragen, ob er dafür oder dagegen ist.
Die Demonstranten denken auch.
Ich bin durchaus in der Lage zu differenzieren, und ich bin mir im Klaren darüber, dass ein solches komplexes Projekt auch Kritik hervorruft. Ich würde die Polizei in keinem Staatswesen vertreten wollen, das solche Kritik nicht zulässt. Für mich ist die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein hohes Gut, das es aktiv zu schützen gilt.
Spricht jetzt der Politiker Züfle?
Hier spricht der Fachbeamte und nicht der Politiker. Ich bin nicht für eine Legislaturperiode gewählt.
Gehören zum Rechtsstaat die Container auf dem Wasen, die vielen Überwachungskameras am Hauptbahnhof, die vielen Strafverfahren gegen S-21-Gegner, die fortlaufenden Ermittlungen gegen Demonstranten vom 20. 6. 2011?
Die Polizei bewegt sich hier auf der rechtlich sicheren Seite, bis hin zu den Filmaufnahmen, die mit dem Datenschutzbeauftragten abgestimmt sind. Selbstverständlich denke ich immer wieder über richtig oder falsch nach. Aber bis jetzt bin ich von unserer Linie überzeugt. Sie ist nicht auf Eskalation angelegt. Wir suchen nicht die Konfrontation, sondern bauen auf ein vernünftiges Miteinander mit der Gegenseite.
Also alles richtig gemacht?
Ich wähle die Gangart nicht aus. Sie ist uns durch Recht und Gesetz vorgegeben. Wenn wir die Wahl hätten, würden wir am liebsten keinen Demonstranten beziehungsweise "Blockierer" anfassen.
Sie haben jetzt die Einsatzplanungen für den Schlossgarten gestoppt. Das hat überrascht.
Das ist nicht überraschend, sondern notwendig. Wie Sie wissen, planen wir den Einsatz seit Monaten. Die Planungswerkstatt haben Sie ja selbst inspiziert. Wir waren damit fertig, sind in die Umsetzung gegangen und haben noch einmal routinemäßig die Rechtmäßigkeit der Maßnahme abgefragt. Und dabei haben wir festgestellt, dass das Baumfällverbot, das vom Eisenbahnbundesamt am 5. 10. 2010 erlassen wurde, immer noch Bestand hat. Ich kann aber nichts Unrechtmäßiges schützen. Das verbietet schon die Landeshaushaltsordnung. Wenn der Einsatz juristisch auf wackligen Beinen steht, darf ich ihn allein aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht anordnen. Ich bin zum wirtschaftlichen Umgang mit Steuergeldern verpflichtet.
Das heißt, der Innenminister kann Ihnen das Geld für den Einsatz nicht gefahrlos rüberschieben. Die Rede ist immerhin von vier Millionen.
Wir reden von einigen Millionen allein für die Hotelunterbringung und die Verpflegung der Einsatzkräfte. Wenn der Einsatz nicht stattfinden sollte, sind Stornierungskosten für die Hotels zu bezahlen, die sich ebenfalls im Millionenbereich bewegen. Und wie Sie wissen, brauchen wir viele Einsatzkräfte. Sie sagen doch immer 9000.
Stimmt's etwa nicht?
Das ist immer noch falsch. Es sind keine 9000. Die genaue Zahl kann ich einfach deshalb nicht nennen, weil sich der Einsatz nach dem Verlauf der Proteste richten wird. Unser Kräftemanagement sieht vor, dass wir vor allem am Anfang ausreichend Beamte vor Ort haben, wenn wir eine hohe Emotionalität zu erwarten haben. Wenn die Demonstrationen abflachen, schicken wir Beamte nach Hause. Wichtig ist, dass die Polizisten ihre Arbeit frisch, besonnen und ruhig machen können. Das erreicht man nicht, wenn sie physisch und psychisch bis an die Leistungsgrenze gehen müssen.
Das Planen ist das eine, das Umsetzen das andere, die Verlässlichkeit der Bahn das Dritte. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Das muss Sie doch auf die Palme bringen.
Sagen wir es so: Es erfordert von uns ein hohes Maß an Flexibilität und ist nicht vergnügungssteuerpflichtig.
Das war jetzt nett gesagt.
Ich könnte auch sagen: Es ist nervig. Aber ich will damit niemanden anklagen.
Wird jetzt in der Einsatzzentrale, zur Entspannung, geflippert?
Unsere Finanzlage ist leider derart angespannt, dass wir uns keinen Flipper leisten können. Aber im Ernst: der Abriss des Südflügels steht noch zur Disposition, hier haben wir eine andere rechtliche Grundlage. Die Arbeiten im Mittleren Schlossgarten sind nur vorläufig gestoppt. Es kann immer noch sein, dass das Eisenbahnbundesamt rasch mit der Genehmigung kommt, und dann müssen wir das Baurecht der Bahn schützen.
Etwa am 12. Januar im Schloßgarten?
Wenn das Eisenbahnbundesamt seine Entscheidung bekannt gibt, sind wir mit Sicherheit nicht in der Lage, am nächsten Tag präsent zu sein. Wir brauchen dazu die Unterstützung aus ganz Baden-Württemberg, aus anderen Bundesländern, und die warten nicht darauf, bis Stuttgart ihre Beamten anfordert. Die können ihre Termine nicht nach Belieben hin- und herschieben. Wir warten jetzt auf ein belastbares Ergebnis vom Eisenbahnbundesamt, und dann sehen wir weiter.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten – wie sähe er aus?
Da wünsche ich mir, dass dieser Konflikt um einen Bahnhof dauerhaft und unaufgeregt beigelegt werden kann. Damit meine ich, dass alle Seiten ihre teilweise ideologisch verbrämten Höhenflüge einstellen und sich mit Bodenhaftung aufgrund von Fakten darum bemühen, eine Lösung zu finden. Es ist für uns alle nur das zweitbeste Ergebnis, wenn diese Auseinandersetzung mit polizeilichen Mitteln entschieden werden muss.
Das Gespräch führte Josef-Otto Freudenreich.
Thomas Züfle leitet das Stuttgarter Polizeipräsidium seit Sommer 2011. Der 56-Jährige hat bei seinem Amtsantritt erklärt, er wolle um Vertrauen für die Polizei werben, das nach dem 30. 9. 2010 stark gelitten hat. Dafür hat er viel Lob erhalten, aber die Einschläge kommen näher.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!