Projektsprecher Wolfgang Dietrich und sein Mitarbeiterstab im Kommunikationsbüro des Bahnprojekts gaben sich alle Mühe, erst gar nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, dass es bei dem milliardenteuren Jahrhundertvorhaben stockt. Fast täglich ließ der Lautsprecher der Deutschen Bahn seit Jahresbeginn neue Pressemitteilungen und Bekanntmachungen publizieren. Bis Ende April kamen so 45 Meldungen über "erfolgreichen Brückeneinschub" bis zu "weiterer Lockerungssprengung" zusammen, die alle zweifellos den Baufortschritt beim geplanten Stuttgarter Tiefbahnhof und der angeschlossenen Schnellfahrstrecke nach Ulm belegen sollen. Doch seit Mai ebbte der Informationsfluss merklich ab. Gerade vier neue Meldungen veröffentlichte das Büro bis dato, wobei sich nur eine ("Baulogistik: erster Güterzug beladen") auf tatsächliche Baufortschritte im Stuttgarter Talkessel bezieht. Die drei übrigen widmen sich Nebensächlichkeiten ("Neuer Standort für Schließfächer"), Irreführungen ("Erneut gefälschte Flugblätter im Umlauf") sowie dem jüngsten Treffen der Projektpartner Anfang Mai ("Intensiver und sachlicher Informationsaustausch im Lenkungskreis").
Ist die Nachrichtenflaute ein Indiz dafür, dass es bei größten Bahnprojekt der Republik derzeit klemmt? Nicht unbedingt. Denn zumindest an der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm wird fleißig gearbeitet, wie sich unter anderem im Vorbeifahren auf der Autobahn 8 beobachten lässt. Riesige Abraumberge auf der Albhochfläche bei Hohenstadt zeugen davon, dass sich die Tunnelmineure immer weiter ins Karstgestein der Alb vorarbeiten.
Anders sei die Situation beim Tiefbahnhofprojekt Stuttgart 21, betonen die Parkschützer. Klaus Gebhard, Ingenieur und Gründer der S-21-Gegner, macht dies an den Tunnelbauwerken fest, die für die unterirdische Zugstation unter der Landeshauptstadt hindurchzubohren sind. Und da bestehe Bedarf, mit der gewöhnlich an politischen und sonstigen Stammtischen verbreiteten Mär vom zügigen Baufortschritt mit absehbarer Fertigstellung aufzuräumen.
Demnach benötigt der neue Tiefbahnhof insgesamt 61,8 Kilometer unterirdischer meist eingleisiger Zulauftunnel, hat Gebhard akribisch auf der offiziellen Online-Beweissicherungskarte des Bahnprojekts www.biss21.de nachgemessen. "Zwei Mal eigenhändig in hoher Vergrößerungsstufe mit dem auf dieser Seite dankenswerterweise verfügbaren elektronischen Maßband", versichert er im Parkschützer-Forum. Gegenübergestellt hat er die bislang tatsächlich gebohrten Tunnelabschnitte: Nach offiziell vier Jahren Bauzeit und über 20 Jahren Planungszeitraum sind es insgesamt 400 Meter Tunnel, die Stand Mitte Mai mittlerweile ausgebaggert sind.
Die "gewaltige Diskrepanz des 'gefühlten' und tatsächlichen S-21-Baufortschritts" ließ Gebhard nicht ruhen. Am Computer entwarf er eine Tunnelpegel-Grafik, die die Abweichung zwischen Plan und Tun anschaulich verdeutlicht. "Stuttgart 21 ist eben kein Bahnhofsprojekt, sondern in allererster Linie ein monströses, alle Dimensionen sprengendes Tunnelprojekt, an dem ein vergleichsweise kleiner Bahnhofs-Appendix dranhängt", erwartet Gebhard, dass sich das inzwischen auf bis zu 6,8 Milliarden Euro taxierte Bauvorhaben weiter verteuern und nicht planmäßig bis Ende 2021 in Betrieb gehen wird. Da der überwiegende Teil der Baukosten erst beim Tunnelbau anfalle, sei ein Ausstieg auch zum jetzigen Zeitpunkt noch immer möglich und sinnvoll. Zahlreiche Beiträge verweisen im Parkschützer-Forum darauf, dass die Bahn enorme Schwierigkeiten habe, Unterfahrgenehmigungen für ihre Tunnelbauwerke zu bekommen. Bislang hätte nur ein Bruchteil von über 5000 betroffenen Grundstückseigentümern den notwendigen Vertrag unterschrieben. Beim Zwischenangriff im Stuttgarter Stadtbezirk Wangen ruhten aus diesem Grund deshalb seit Wochen die Tunnelarbeiten.
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dichtbert
am 08.06.2014