KONTEXT:Wochenzeitung
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Ein wortgewaltiges Buch rechnet mit mächtigen Bankern ab. Hinter der Finanzkrise stecken Systemkriminalität und eine "Finanzmafia" aus Bankern und Banditen. Das schreibt nicht etwa ein durchgeknallter Kapitalismuskritiker, sondern ein EU-Spitzenbeamter für Korruptionsbekämpfung. Freunde macht sich Wolfgang Hetzer vom Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) in Brüssel damit nicht unbedingt.

Das Beste kam, als es zu spät und das Manuskript schon im Druck gewesen war. Vergangenen April legte der US-Senat nach zweijähriger Untersuchung die "Anatomie eines finanziellen Kollapses" vor. Wenn der 59-jährige Korruptionsbekämpfer Wolfgang Hetzer denn überhaupt noch eine Bestätigung für seine eigene Analyse der größten Geldvernichtung aller Zeiten gebraucht hätte, hier war sie. Noch dazu aus erster Hand.

Auf 650 Seiten nahm der Untersuchungsausschuss des Senats die mächtigsten Banker auf dem Globus und das, was sie getan oder zu tun unterlassen hatten, unter die Lupe (<link http: hsgac.senate.gov public _files financial_crisis financialcrisisreport.pdf external-link-new-window>Financial Crisis Report). Der Deutschen Bank widmeten sie gleich ein eigenes Kapitel. Sie zitierten aus internen Papieren der US-Niederlassung dieses größten deutschen Geldhauses und machten tausende von Korrespondenzen im Internet Wolfgang Hetzer arbeitet beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung Olaf in Brüssel.öffentlich. Und dort stand, dass manche der Investments, mit denen das Institut seit Jahren auf dem Weg zur selbst vorgegebenen 25-Prozent-Rendite blendende Geschäfte auch auf Kosten anderer gemacht hatte, eigentlich nichts anderes als "Müll" gewesen waren.

Diese Deutsche Bank und vor allem ihr Vorstandsvorsitzender Josef Ackermann dürfen sich seit Jahren auch einer besonderen Aufmerksamkeit aus Brüssel sicher sein. Diese Aufmerksamkeit hatte und hat nicht den offiziellen Charakter einer behördlichen Untersuchung, wie sie etwa in jenem Dokument des US-Senats zum Ausdruck kam. Wolfgang Hetzers Job beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung ist der eines Analytikers und Beraters. Und wenn er, was angesichts seiner messerscharfen Analysen durchaus häufig vorkommt, auf internationaler Bühne zu Fachkongressen eingeladen wird, serviert er seine Vorträge, aus denen jetzt jenes wortgewaltige Buch von der "Finanzmafia" geworden ist, gerne mit einer Portion feinster Ironie.

"Gelegentlich eine eigene Meinung"

"Meine dienstliche Hierarchie", so pflegt er dann zu formulieren, "lebt in der ständigen Sorge, dass ich gelegentlich eine eigene Meinung habe und sie auch äußere. Diese Sorge ist begründet." Weswegen er vorsorglich darauf hinweist, dass er nur seine persönlichen Auffassungen vortrage und - sicherheitshalber muss auch das gesagt sein - die Europäische Kommission in keiner Weise verpflichtet werde.

Solche persönlichen Auffassungen wären ihm schon einmal beruflich beinahe zum Verhängnis geworden. 2002 war er noch als Ministerialrat im Bundeskanzleramt zuständig für die Kontrolle der Geheimdienste gewesen. Und eher nebenbei hatte er sich in einem Aufsatz für eine Fachzeitschrift mit dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) beschäftigt. Er hatte ein paar Quellen studiert und über Schily seinerzeit im Fachblatt "Der Kriminalist" geschrieben:

"Hier ist nicht der Raum, um über Existenz und Umfang der juristischen Brillanz des gegenwärtigen Bundesministers des Innern zu diskutieren, der von einem Biografen immerhin als 'Bummelstudent' bezeichnet wird, der beim ersten juristischen Staatsexamen zunächst 'gestrauchelt' sei (...). Es spricht indes für die Souveränität Schilys, dass er eingeräumt haben soll, die Prüfungshausarbeit 'unter Qualen' geschrieben zu haben. Auch nach Einschätzung ehemaliger Kommilitonen sei Schily in der juristischen Ausbildung immer 'am unteren Rande seiner Möglichkeiten' geblieben. Diese Befunde sind angesichts der weiteren beruflichen Entwicklung möglicherweise völlig bedeutungslos geworden."

Im Bundeskanzleramt fand man den Aufsatz gar nicht komisch, in Schilys Innenministerium schon gar nicht, also wurde der damals 51-jährige Spitzenbeamte Wolfgang Hetzer erst einmal suspendiert und ins Wissenschaftsministerium versetzt. Seine Berufung zu Olaf nach Brüssel schien auf Eis gelegt, bis Hetzer gegen die Schritte des Kanzleramtes klagte und in einem außergerichtlichen Vergleich Erfolg hatte, wie der "Spiegel" seinerzeit vermeldete.

Und auch in seinem neuen Job als Antikorruptionsberater in Brüssel war er seinem Credo treu geblieben, erzählt er in einem Gespräch mit der Kontext:Wochenzeitung. Nämlich dem sportlichen Ehrgeiz, "zu sehen, wie frei dieses Land wirklich ist". Frei genug, sich mit einem der mächtigsten Banker auf diesem Globus anzulegen. Mit Josef Ackermann und der Frage, welche persönliche Schuld dieser Spitzenmanager am größten Finanzdesaster der Geschichte trägt.

Außerhalb der intellektuellen Reichweite

Immerhin hatte Ackermann eines Tages außerordentlich selbstbewusst erklärt, er würde sich "schämen", zur Rettung seiner Bank - wie andere es getan haben - milliardenschwere Staatshilfe in Anspruch zu nehmen. Jenseits des Großen Teichs wurde seine Dependance jedoch sehr wohl mit Staatshilfe gestützt. Die Deutsche Bank war beim US-Versicherungsriesen AIG engagiert; und dieser Riese, der "to big to fail", zu groß war, um fallengelassen zu werden, wurde mit Milliarden aus dem US-Haushalt reanimiert. Zwölf Milliarden Dollar hat AIG an die Deutsche Bank weitergereicht.

Die Einsicht, schreibt Hetzer in seinem Buch über die "Finanzmafia", dass auch die Deutsche Bank ohne die staatliche Unterstützung für andere Institute zusammengebrochen wäre, liege für Josef Ackermann "entweder außerhalb seiner intellektuellen Reichweite oder wird absichtsvoll verdrängt". So viel Freiheit für das geschriebene Wort muss sein.

Vor allem, wenn ein veritabler US-Senat bezüglich des größten deutschen Geldhauses und seiner Geschäftspraktiken während der sogenannten Finanzkrise zu ähnlichen, wenn nicht gar noch heftigeren Schlussfolgerungen kommt. Denn immerhin hatten die US-Senatoren sich Zugriff auf die interne Korrespondenz der Deutschen Bank an der Wall Street besorgt und die Deals mit jenen Risikopapieren unter die Lupe genommen, die neben anderem verantwortlich für den Kollaps gewesen waren.

Leitbild der Deutschbanker: Wir müssen Geld machen

Im Giftschrank des Instituts fanden die Ermittler den vollständigen E-Mail-Verkehr von außergewöhnlich gut bezahlten Händlern der Deutschen Bank, worin sie in schöner Offenheit erklärten, dass das, womit sie handelten und was sie ihren Kunden andrehten, eigentlich "Müll" und demnächst wertlos sei - was es dann tatsächlich auch war.

Und sie fanden im inneren Zirkel eine sehr spezielle Interpretation des hübschen Werbespruchs dieses Instituts, der da lautet "Leistung aus Leidenschaft". Mit besagter Leidenschaft hatte einer der Trader in einer Konversation mit einem Kollegen ohne Wenn und Aber erklärt, worum es wirklich geht: "Wir müssen Geld machen. Die Zufriedenheit des Kunden ist zweitrangig."

Ausriss aus dem E-Mail-Verkehr der Deutschen Bank, veröffentlicht vom US-Senat.

In solchen Kreisen, wenn Verantwortungslosigkeit Kultstatus genießt, warnt der EU-Korruptionsbekämpfer, "geht es nicht mehr darum, was du verdienst, sondern darum, was du dir holen kannst, und wie du am einfachsten reich wirst". Und das "ist soziales Dynamit". Hetzer spricht ausdrücklich von einer sogenannten Finanzkrise, von einer "Systemkriminalität" und von "Systemkorruption". Weil eine der Definitionen von Korruption eben nicht nur das gängige Klischee beinhaltet, wonach einer die Hand aufhält, um an einen Auftrag zu kommen, sondern die Erkenntnis, dass "Korruption alle Formen des Missbrauchs von Macht zur Erlangung unzulässiger Vorteile" umfasst.

Die globalen Finanzmärkte haben sich seiner Analyse zufolge "anscheinend in Tatorte verwandelt", wo sich "hochintelligente Individuen tummeln, die mit überlegenem Fachwissen und krimineller Energie eine unübersehbare Vielzahl von Menschen schädigen und die Vernichtung ganzer Unternehmen organisieren". Der EU-Korruptionsexperte bezweifelt, dass die nationale, geschweige denn die internationale Staatengemeinschaft auch nur im Ansatz über ein Sanktionssystem verfügt, das die Täter beeindrucken kann, "die sich mafiös verbunden haben".

Die kreativen Spielräume im Bilanzrecht

Wenn es in diesen Kreisen zu einer "konspirativen Kooperation" kommt, dann seien Schäden zu beklagen, die weit über das in den "idyllischen Zeiten der historischen Mafia Übliche hinausgehen". Mit dem Wort Mafia sind laut Hetzer "reflexartig" und fast ausschließlich Reizworte wie Rauschgift, Rotlicht, Menschenhandel oder Gewalt verbunden. Es allein darauf zu reduzieren sei "ein schwerer Fehler", meint der Korruptionsexperte.

Wolfgang Hetzer weiß, wovon er schreibt und spricht. Er gehört zu den wenigen brillanten Autoren, die immer nur einen kleinen Teil ihres Wissens abrufen (dürfen). Hetzer hatte als Ministerialrat im Bundeskanzleramt unter Rot-Grün Einblick in die Arbeit der Geheimdienste. Rüstungskontrolle gehörte zu einem seiner Spezialgebiete. Fast überflüssig zu erwähnen, aber aus seiner Sicht war im Vorwort zum Buch die Erklärung nötig, dass er in seinen Analysen ausdrücklich "keine klassifizierten Dokumente" verwendet hat.

Organisierte Kriminalität (OK) findet in der öffentlichen Wahrnehmung vermeintlich weitab von den Zentren bürgerlichen Daseins irgendwo in der Unterwelt statt. Tatsächlich spielt sich eine Mutation dieser OK eben auch und immer mehr in den Chefetagen ab, wo angesehene Persönlichkeiten hoch bezahlt in der Regel brav ihre Steuern entrichten und selbstverständlich den Armen dieser Welt ein paar Almosen zukommen lassen.

Das Versagen des Wirtschaftsjournalismus

Mit dem aktuellen Strafrecht lässt sich dieser Finanzkrise und ihren Protagonisten nur schwer beikommen. Denn bei Bilanzierungsregeln gibt es immer neue kreative Spielräume, vor allem seit sie internationalisiert wurden. Und was dieses Bilanzrecht zulässt, so die gängige Entschuldigung, könne nicht strafbar sein. Damit, so Hetzer, "wird dem Strafrecht das Schwert aus der Hand geschlagen". So wie führende Manager in der sogenannten Finanzkrise versagt haben, gilt dieses Versagen auch in weiten Teilen der Medien. Die beiden Journalisten Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz haben in einer Studie "Wirtschaftsjournalismus in der Krise" für die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung schon im Jahr 2010 festgestellt, dass selbst sogenannte Qualitätsmedien wie "Tagesschau" oder große Nachrichtenagenturen "allzu oft über eine Berichterstattung in Form ereignisbezogener Zitatensammlungen nicht hinauskommen", Zitate, die zudem "für das Laienpublikum weitgehend unverständlich bleiben".

Der größte Teil des Wirtschaftsjournalismus habe Hand in Hand und Mund an Mund mit Wirtschaftsexperten und Politprominenz "Leugnungs- und Beruhigungsrhetorik produziert". Die Redaktionen haben dieser Desorientierung viel Raum gegeben, "fast immer, ohne ihr zu widersprechen". Damit hätten sie "faktisch die Öffentlichkeitsarbeit der Finanzbranche als Expertenurteil verbreitet".

Die beiden Autoren kommen in einer Kurzfassung ihrer Studie, die von genau den Medien, die sie betraf, öffentlich ignoriert wurde, zu dem Schluss:

"Der Schließmechanismus von Organisationen, die externe Störungen wittern, funktioniert. Mehr Angst vor Öffentlichkeit als die Redaktionen, die die massenmediale Öffentlichkeit produzieren, haben auch Organisationen nicht, die Autos herstellen, Lebensmittel verkaufen oder Geld verleihen. Sobald sie selbst zum öffentlichen Thema werden, wenden die Redaktionen bzw. ihre Verlage genau die PR-Praktiken an, über die sie sich als Journalisten aufregen. Darüber könnte man zur Tagesordnung übergehen, wenn es nicht ein Indiz dafür wäre, dass der 'organisierte Journalismus' hinter modernen Anforderungen ähnlich weit zurückbleibt wie die von ihm gerne als verkrustet und betonköpfig beschriebenen Organisationen. Die in manchen großen Verlagen nachgerade höfische Organisationskultur produziert ein Weltbild einfachster Ordnung, in dem oben und unten sowie Freund und Feind die zentralen Orientierungslinien bilden."

Also auch in Zeiten verbreiteter Wirtschafts- und Aufschwungeuphorie ist das kein Grund zur Freude. Korruptionsexperte Wolfgang Hetzer bemüht manchmal noch das Prinzip Hoffnung: "Irgendetwas zwischen Wall Street und Wladiwostok muss es noch geben."

Wolfgang Hetzers Buch "<link http: westendverlag.de westend external-link-new-window>Finanzmafia - Wieso Banker und Banditen ohne Strafe davonkommen" ist im Westend-Verlag Frankfurt erschienen. Die Studie der Journalisten Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz gibt es als <link http: www.otto-brenner-shop.de old.kontext-wochenzeitung.de uploads tx_mplightshop ah63.pdf external-link-new-window>Download bei der Otto-Brenner-Stiftung.


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1 Kommentar verfügbar

  • andreassolar
    am 21.04.2012
    Antworten
    Herzlichen Dank, Herr Heck, für den klaren und sachlichen Artikel.
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