KONTEXT:Wochenzeitung
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"Net so dick schälen, Nils!"

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Die Landesregierung traf sich vor Kurzem zum gemeinsamen Spargelkochen. Ein symbolisch hoch aufgeladenes Unterfangen, wie die Kontext-Küchenglosse enthüllt.

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Manch ein Politiker wünscht sich vermutlich ein ähnliches Verhältnis von öffentlicher Präsenz und Wertschätzung wie der Spargel: Nur drei Monate im Jahr vorbeischauen, in dieser Zeit die Wähler respektive Konsumenten verzaubern und verzücken wie kaum ein anderes Gemüse, ohne dass sie seiner auch nur im mindesten überdrüssig werden. Nun muss man einräumen, dass der Genusswert eines Spargelessens in der Regel weit über dem einer durchschnittlichen Parlamentsdebatte liegt, zudem werden dem edlen Stangengemüse, das botanisch zur Gruppe der Bedecktsamer gehört, so manch wundersame Eigenschaften nachgesagt. Aphrodisierend soll es etwa wirken, was zwar von Miesepetern als eher dumpf-pubertäre Deutung der Spargel-Phänomenologie abgetan wird, von kaum einem wahren Gourmet aber bezweifelt wird.

Insofern war es von nicht zu unterschätzendem Symbolwert, als sich die baden-württembergische Landesregierung zu ihrer Kabinettsklausur ausgerechnet ein gemeinsames Spargelkochen und -essen verordnete und vor allem Ersteres von der Boulevardpresse gebührend dokumentiert wünschte. Sollte das Frühlingsgemüse seinen Beitrag leisten, die im Spätsommer der Legislaturperiode bisweilen etwas dürftige Koalitionsharmonie wiederherzustellen? Sollte es das Gefühl wieder herbeizaubern, das Ministerpräsident Winfried Kretschmann schwärmen ließ, es handle sich "fast um eine Liebesheirat"?

Auch für etwas irdischer und weniger leidenschaftlich gelagerte Zeitgenossen barg dabei das Bild, das der Chef und sein Vize und Superminister Schmid in der Küche abgaben, einigen metaphorischen Gehalt: zwei Männer, zwei Sparschäler, eine Mission – vereint und auf Augenhöhe die weißen Stangen für die hungrigen Mäuler der ihnen Anvertrauten vorbereiten. Und wer gemeinsam Spargel schälen kann, kann auch ein Land leiten, gilt doch die Spargelzubereitung nicht zu Unrecht als ähnlich tückisch wie zwischenparteiliche Diplomatie oder Gesetzgebungsprozesse: Schält man ihn in der falschen Richtung, nämlich von Schnittfläche Richtung Kopf, kann er bitter werden, fasst man ihn zu brachial an, ist flugs der Kopf ab. Und wenn man ihn nur ein bisschen zu lange kocht, hängt er labbrig und fad in der Gegend rum, nur noch ein müder Abklatsch seines einstigen Versprechens – Vergleichbares kennt man ja zur Genüge von Koalitionsvereinbarungen. Ganz zu schweigen von unbedachter Sortenwahl (grüner Spargel!), die den Verdacht von Ego-Trips nähren kann.

Zumindest gegenüber den Fotografen erweckten Kretschmann und Schmid den Anschein, all diese Klippen mit höchster Konzentration zu umschiffen, ihre verantwortungsvolle Arbeit nur kurz für ein gewinnendes Lächeln in die Kameras unterbrechend. Man sah die Bilder schon auf den Plakaten für die nächste Landtagswahl, was hätte die Opposition dem schon entgegensetzen können? Nicht zu vergessen der Rest des Kabinetts, der ebenfalls in seltener Harmonie am Zubereitungsprozess partizipierte und sich um die Visualisierung der Koalitionsziele verdient machte: Biertrinkerin Theresia Bauer stieß mit den Weißwein schlotzenden Herren Peter Friedrich, Claus Schmiedel und Franz Untersteller an, wobei Letzterer seine saarländische Herkunft durch eine fragwürdige Schürze (Aufschrift: "Hauptsach gudd gess") unterstrich – gelebte Inklusion.

Allein, die Harmonie hielt nicht lange. Ausgerechnet diese Klausur nutzte Schmid, um ohne Vorwarnung und vorherige Absprache mit Kretschmann das Ziel einer Nullverschuldung schon bis 2016 zu präsentieren und das Ganze auch gleich einer Sonntagszeitung zu stecken. Hatte ihn der Umgang mit dem Sparschäler zu noch ehrgeizigeren Sparzielen angestachelt? Oder war es, wie uns aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zugetragen wurde, eine Retourkutsche für die Bevormundung durch den MP ("Net so dick schälen, Nils!")? Mit Kretschmann jedenfalls kam es zu lautstarker Auseinandersetzung. Schmid hat sich entzogen und ist mit einer Delegation in die Mongolei gereist. Der Ministerpräsident, erbost über den Alleingang, straft ihn seitdem mit Liebesentzug. Was die Zweifler an der aphrodisierenden Wirkung des Spargels eher zu bestätigen scheint.


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2 Kommentare verfügbar

  • Ostheimer
    am 19.06.2014
    Antworten
    Mag die Redaktion Herrn Bonde nicht mehr, dass sie ihn der verdächtigen SPD zuordnet (igitt, S 21-Beführworter!) obwohl er doch ein Grüner ist?
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