Andreas Müller von der "Stuttgarter Zeitung" hat den angesehenen Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus erhalten. Und das ist gut so. Kein anderer Journalist hat zuletzt die Mappus/EnBW-Affäre so sauber aufgearbeitet wie er. Kontext gratuliert und hofft, dass Müller kein Einzelfall im Pressehaus bleibt. Die Laudatio von Harald Schumann, gehalten am 30. Oktober in Berlin, im Wortlaut.
Manchmal gibt es Geschichten, die sind so verrückt, dass man sie zunächst überhaupt nicht glauben mag. So jedenfalls ging es mir, als ich vor knapp zwei Jahren las, wie der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den Stromversorger EnBW vom französischen Staatskonzern EdF zurückkaufte. Da hatte eine Landesregierung mal eben mehr als vier Milliarden Euro aus Steuergeldern ausgegeben, ohne das Parlament auch nur zu fragen, geschweige denn eine öffentliche Debatte darüber zu führen. 4,7 Milliarden Euro ohne Parlamentsbeschluss – einen solch dreisten Verfassungsbruch muss man erst mal bringen.
Das eigentlich Verblüffende aber war, was unmittelbar danach geschah: nämlich nichts. Die Opposition nahm die Ausschaltung des Landtags zunächst einfach hin, um dann erst Tage später ein paar Zweifel an der Preisfindung und dem Geheimverfahren anzumelden. Aber das war's dann. Die Staatsanwaltschaft weigerte sich, den Vorgang auch nur zu ermitteln. Der Rechnungshof, der doch unabhängig über den Einsatz der Steuergelder wachen soll, verweigerte die Prüfung eines Vorgangs, der immerhin fast zehn Prozent eines ganzen Jahresbudgets des Landes umfasste. Und dann folgte die größte Überraschung: Die Regierung wurde abgewählt, aber die neue Regierung wollte auch nicht mehr so genau wissen, wie es zu dem Milliardendeal kam, angeblich weil es an Unterlagen fehlte.
Es sind genau solche Momente, in denen wir wirklich froh sein können, dass es hierzulande eine Presse gibt, die sich – zumindest bei schweren Verfehlungen und Gesetzesbrüchen der Mächtigen – an ihre Unabhängigkeit erinnert und ihr Wächteramt wahrnimmt. Und im konkreten Fall müssen wir dankbar sein, dass Andreas Müller und mit ihm die "Stuttgarter Zeitung" diese Aufgabe vorbildlich erfüllt haben.
Was kann ein Journalist tun, wenn die Institutionen versagen und die Gewaltenteilung nicht mehr funktioniert? Er kann fragen und nachbohren, oder – wie ich es nenne – baggern und wühlen. Und genau das hat Müller gemacht: Er hat kritische Stimmen gesucht und publiziert, zum Beispiel eine bayerische Staatsanwältin, die den Kollegen in Stuttgart Strafvereitelung im Amt vorwarf. Er hat Parlamentarier gesucht und gefunden, die doch einen Untersuchungsausschuss wollten. Und er hat aufgedeckt, dass die Tatenlosigkeit der Rechnungshof-Prüfer ein in der Behörde höchst umstrittener Vorgang und Ergebnis des über Jahrzehnte gepflegten CDU-Netzwerks war. Eine solche Arbeit kann ausgesprochen nervig sein, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Journalisten. Einige Kollegen, so erzählte mir Müller, fragten ihn seinerzeit sogar, ob er da womöglich persönliche Motive oder sonst einen Fimmel habe, weil er einfach nicht lockerließ.
Tatsächlich aber haben Müller und seine Kollegen nur genau die Art von kritischem Journalismus betrieben, wie sie die Demokratie zum Atmen braucht, wenn Filz und Größenwahn sie zu ersticken drohen.
Denn nur deshalb, und das ist keine Übertreibung, nur deshalb kam am Ende doch in Gang, was doch eigentlich selbstverständlich gewesen wäre: Das Parlament, der Rechnungshof und nun zuallerletzt auch die Staatsanwaltschaft ermittelten die Umstände eines Vorgangs, der doch offenkundig von Anfang nicht mit den Gesetzen vereinbar war.
Was seitdem herauskam, ist wiederum so hanebüchen, dass es einem zuweilen die Sprache verschlägt. Da lenkte der Manager Dirk Notheis von der Investmentbank Morgan Stanley einen deutschen Ministerpräsidenten wie eine Marionette durch einen Deal, der vor allem der Bank selbst nutzte und der zugleich über den Zwillingsbruder des Chefs der EdF gespielt wurde, der praktischerweise auch ein Topmanager bei Morgan Stanley war, nur eben in Paris. Beispielhaft ist etwa folgende Passage aus einem der vielen Artikel von Müller:
"Notheis' Rolle, das zeigen die Mails, ging weit über die des Investmentbankers hinaus. Er war der Regisseur des Deals, er schrieb das Drehbuch, er kümmerte sich auch um die politische Strategie. Mappus hingegen erscheint als williger Lehrling des großen Meisters, ja sogar fast als Sprechpuppe, die vorformulierte Sätze aufsagen darf. (...) Im Flugzeug nach New York, zum Beispiel, entwirft Notheis schon früh das 'Skript' für die Pressekonferenz. 'Sie werden mir recht geben, den Deal hätte auch die ,schwäbische Hausfrau' gemacht, wenn sie es denn könnte', soll Mappus sagen. Fast wortgleich kommt die Passage später in einem Interview. Detailliert wird dem Ministerpräsidenten vorgegeben, wen er wann und wie einbinden soll. Als Lockmittel für die FDP empfiehlt der Banker einen Aufsichtsratsposten für Wirtschaftsminister Ernst Pfister. 'Das nimmt er bestimmt gerne an, zumal er aus der Politik ausscheidet.' Dann nämlich muss er die etwa 50 000 Euro Vergütung nicht mehr ans Land abliefern."
Diese und die vielen anderen Unglaublichkeiten, die sich da abspielten, hätten wir aber nie erfahren, wenn Andreas Müller nicht über jene Eigenschaften verfügt hätte, die einen guten Journalisten auszeichnen: Skepsis und Hartnäckigkeit. Lieber Andreas Müller, diesen Preis haben Sie sich wahrlich mehr als verdient.
Laudator Harald Schumann ist Redakteur beim Berliner "Tagesspiegel", war früher bei der taz und beim "Spiegel". Besonders hervorgetreten ist er durch das Buch "Die Globalisierungsfalle".
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