Der Briefwechsel von Mundlos, den die Ermittler rekonstruieren konnten, endet 1996. Zeugen geben jedoch an, einzelne oder alle drei NSU-Mitglieder auch nach Ende der 90er in Baden-Württemberg gesehen zu haben.
Ludwigsburg, das beliebte Reiseziel des späteren NSU, <link http: www.kontextwochenzeitung.de ueberm-kesselrand ludwigsburg-connection-389.html _blank>stellt einen Schwerpunkt der Ermittlungen dar. In der Kreisstadt nördlich von Stuttgart gründeten sich etwa die "Kreuzritter für Deutschland", einer der ersten Gruppierungen, die zu Beginn der 90er-Jahre die Strategien des militanten Neonazinetzwerks Blood & Honour (B & H) aus England in die Bundesrepublik importierten. Auch der NSU gruppierte sich nach dem Vorbild des "führerlosen Widerstands" ("leaderless resistance"), wie ihn B-&-H-Zellen weltweit betreiben. Mit seiner Mordserie ohne Bekennerschreiben erfüllte der NSU auch die B-&-H-Parole "Taten statt Worte".
In und um Ludwigsburg jedenfalls kamen ab 1991 eine ganze Reihe einflussreicher Personen aus der B-&-H-Szene zusammen. Dazu gehört zum Beispiel Andreas Graupner. Der Bericht der EG Umfeld greift eine Beobachtung des LfV Thüringen aus dem Januar 2000 auf, also gut zwei Jahre nach dem Abtauchen des NSU. Graupner sagte demnach auf einer Schulungsveranstaltung der NPD im thüringischen Eisenberg, dass "man sich keine Gedanken machen" bräuchte, "den dreien geht es gut." Graupner unterhielt nachweislich gute Kontakte zum Umfeld des NSU, bevor dieser von der Bildfläche verschwand.
2001 zog Graupner dann in die Nähe von Ludwigsburg, wo er bis heute mit seiner Familie lebt. Dort wurde er Mitglied der Neonaziband "Noie Werte" und gehörte der Band bis zu deren Auflösung 2010 an. Zwei Lieder der Band verwendete der NSU für den Soundtrack in einem der beiden Videos, mit denen er seine Mordserie verherrlichte.
Graupners Wohnung wurde im Februar 2012 wegen mutmaßlicher Unterstützung des NSU von der Polizei durchsucht. Anlass gab eine Auswertung des Handys von André Eminger, der in München als mutmaßlicher NSU-Unterstützer angeklagt ist. In Emingers Kontaktliste fanden die Ermittler auch Graupners Handynummer. Der Bericht der EG Umfeld hält fest, es seien keine Hinweise auf Kontakte Graupners zum Umfeld des NSU erkennbar.
Später zog auch Jan Werner, ehemaliger Sektionsleiter von B & H in Sachsen, nach Besigheim bei Ludwigsburg zu seiner damaligen Freundin Steffi G., die wie er aus Chemnitz stammt. Die Wohnung von Jan Werner und seiner Lebensgefährtin in Besigheim wurde ebenfalls im Januar 2012 im Rahmen der NSU-Ermittlungen durchsucht. Bereits 2000 behauptete ein aufgeflogener V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes, Werner habe Waffen für die flüchtigen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe besorgt.
Werner produzierte zudem einige Zeit beim rechten Szenelabel "Movement Records" Platten für einschlägig bekannte Neonazibands, darunter ein Album der inzwischen aufgelösten B-&-H-Kultband "Landser". Bei Werners Musikproduktion war auch Thomas Starke beteiligt, der ebenfalls von Sachsen nach Ludwigsburg zog und der im Münchener Prozess mitangeklagt ist, weil er dem NSU nach eigener Aussage Sprengstoff besorgte. Inzwischen ist bekannt, dass Starke Mitte der 90er-Jahre mit Zschäpe liiert war und von Ende 2000 bis Anfang 2011 als V-Mann für das Berliner LKA tätig war.
Ferner kaufte Tino Brandt, Anführer des "Thüringer Heimatschutzes" (THS), aus dem später der NSU hervorging, 2004 ein Haus in Hardthausen am Kocher (Stadtteil Kochersteinfeld), keine halbe Stunde Autofahrt von Heilbronn entfernt. Ein gutes Jahr nach dem Mord an Michèle Kiesewetter verkaufte er das Haus wieder. Im Bericht der EG Umfeld heißt es, Brandt habe nie in dem Haus gewohnt, sondern "lediglich als Strohmann für den Geldgeber" gedient. Brandt, der von 1994 bis 2001 unter dem Decknamen "Otto" für den Thüringer Verfassungsschutz tätig war, soll Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach deren Untertauchen unterstützt haben.
Der Bericht erwähnt auch Alexander Heinig, Mitglied der Neonaziband "Ultima Ratio", die offen mit der Ideologie von Blood & Honour sympathisierte. Als Frontmann der Gruppe war Heinig bei einem gemeinsamen Auftritt am einzigen Konzert der Band "Landser" beteiligt. Später wurde Heinig Szeneanwalt. Er arbeitete einige Jahre zusammen in einer Kanzlei mit Steffen Hammer, dem Sänger der Band "Noie Werte", und <link http: www.kontextwochenzeitung.de pulsschlag rechte-juristin-gekuendigt-1601.html _blank>Nicole Schneiders, die zusammen mit dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben in ihrer Jenaer Studienzeit in der NPD aktiv war.
Heute vertritt Schneiders ihren ehemaligen Parteikollegen Wohlleben als Anwältin im Münchener NSU-Prozess. Immer wieder gab es in Antifa-Kreisen und verschiedenen Medienberichten Vermutungen, Schneiders sei als V-Person tätig geworden. Dies dementiert der Bericht. Es sei im November 2003 versucht worden, sie als V-Frau für das LfV Baden-Württemberg anzuwerben, was Schneiders jedoch abgelehnt haben soll.
Zum ehemaligen Divisionsleiter von Blood & Honour Deutschland, Stephan Lange, liegen laut Bericht keine Erkenntnisse über Beziehungen zum NSU vor. Lange zog um den Jahrtausendwechsel von Berlin in den Südwesten, genauer nach Kirchheim am Neckar, zwischen Ludwigsburg und Heilbronn, wo er noch heute lebt. Die Aufgabe seines B-&-H-Netzwerks sah Lange darin, "Patrioten verschiedener Stilrichtung zu sammeln und zu einen, nicht nur in der Musik, sondern im Kampf". Antifa-Gruppen berichten bis heute, Lange habe in Baden-Württemberg Kontakt zum mutmaßlichen NSU-Unterstützer Thomas Starke gehalten.
Laut Bericht gilt jedoch ein anderer Kontakt Langes als gesichert: Dabei handelt es sich um Marcus Frntic, ebenfalls wohnhaft in Kirchheim. Der Deutschkroate diente 1993 für mehrere Monate als Söldner im Kroatienkrieg. Zur gleichen Zeit kämpfte auch der aktuelle Landesgeschäftsführer der baden-württembergischen NPD, Alexander Neidlein, auf kroatischer Seite im heutigen Bosnien. Frntic gründete 1999 die militante Skinhead-Kameradschaft "Furchtlos & Treu", die nach dem Verbot von B & H in Deutschland deren Strukturen im Südwesten für einige Zeit aufrechterhielt.
Ein Viertel der Befragten verweigerte die Aussage
Wie lange diese und weitere Verbindungen zwischen Baden-Württemberg und Ostdeutschland bestanden und wie viel von all dem die hiesigen Behörden gewusst haben, bleibt weiterhin unklar. Anhaltspunkte für direkte Kontakte der genannten Personen zum NSU gebe es laut Bericht der EG Umfeld nicht. Innenminister Gall erwähnte allerdings, dass die Generalbundesanwaltschaft nach wie vor etwa 30 Spuren in Baden-Württemberg verfolge. Insgesamt ermittelte die EG Umfeld bislang mögliche NSU-Kontakte von 87 Personen.
Dabei verschweigt der Bericht jedoch, dass die EG Umfeld lediglich mit polizeidienstlichen Befugnissen ausgestattet war. Dies hatte zur Folge, dass etwa ein Viertel der Befragten es bevorzugten, jegliche Aussage zu verweigern. Den Ermittlern blieb in diesen Fällen nichts anders übrig, als unverrichteter Dinge abzuziehen, wie die Referenten des LKA im Anschluss an die Pressekonferenz des Innenausschusses vom 12. Februar zugeben mussten.
Grüne und SPD über Aufarbeitung uneinig
In der öffentlichen Diskussion gab es immer wieder Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex, wie es ihn bereits in Bayern, Sachsen, Thüringen und auf Bundesebene gab. Dieser könnte – ähnlich wie ein Gericht – Zeugen laden. Auch könnten die Abgeordneten Akten von Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden zur Einsicht anfordern. Für die Einsetzung bedarf es nach dem geltenden Untersuchungsausschussgesetz der Zustimmung von einem Viertel der Abgeordneten (ein sogenannter Minderheitsantrag) oder zweier Landtagsfraktionen.
Nach Vorstellung des Umfeld-Berichts erteilten die Sozialdemokraten einem U-Ausschuss jedoch eine klare Absage. Der SPD-Abgeordnete Nikolaos Sakellariou meinte: "Wo Polizisten scheitern, werden Parlamentarier erst recht scheitern." Auch Innenminster Gall war sich sicher: "Ein tiefer gehendes Ergebnis werden wir durch einen Untersuchungsausschuss nicht erhalten."
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Rolf Steiner
am 01.03.2014