Da sitzen sie am Beckenrand, fünf Mädchen, blondbezopft, Polly-Pocket-Fans, Pferdeliebhaberinnen und immer sonntags – Meerjungfrauen. Freizeit-Fabelwesen sozusagen. Von der Hüfte abwärts sind sie in Polyamid-Schwanzflossen gehüllt, sie tragen die Bikinioberteile farblich passend in goldfischgelb, die Füße stecken in Mono-Flossen, eine große Schwimmflosse statt zweier kleiner.
Normalerweise verwenden die nur Apnoetaucher, weil man damit schnell tief tauchen kann. Als Meerjungfrau kann man damit schwimmen – geradeaus, Loopings, Rollen, Kurven, vorwärts und bestenfalls mit dem Gesicht nach oben in Richtung Wasseroberfläche rückwärts. Das aber nur im fortgeschrittenen Meerjungfrauenstadium, weil es einem da nämlich ziemlich schnell ziemlich schlecht wird. Es ist Sonntagvormittag im Hallenbad von Schorndorf, einer großen Kreisstadt rund 30 Kilometer östlich von Stuttgart. Zeit für den Meerjungfrauenschwimmkurs.
"Flossen hoch!", ruft Katharina Hegemann. Sie steht in Badeshorts am Rand eines Schwimmbeckens, 25 Jahre alt, die Finger und Fußnägel grün und lilafarben lackiert mit Glitzer drauf. Die Mädchen schaufeln die Schwänze aus dem Wasser, bis die Tropfen von den Spitzen rinnen. "Flossen runter!" Es macht ein fünffaches Geräusch, das sich wie "schlürp" anhört. "Noch dreimal!" ruft Katharina Hegemann. Das Ganze sieht sehr anstrengend aus.
Wer Katharina Hegemann begegnet, lernt recht schnell, dass zu einer echten Meerjungfrau mehr gehört als ein bisschen planschen. Seit November 2012 betreibt sie eine Meerjungfrauenschwimmschule, noch nicht ganz so lang den "Meerjungfrauenclub Deutschland". Seitdem wird sie durch die Fernsehsender gereicht, von KIKA, SWR, RTL bis zu Stefan Raabs "TV-Total"-Turmspringen. Sie ist die Chefmeerjungfrau aus dem Remstal.
Meerjungfrauen bevölkern deutsche Schwimmbäder
Die Meerjungfrau ist in. Offenbar ist sie nach Jahrhunderten zwischen tätowierten Ankern und Schiffsrümpfen von den Armen sehnsüchtiger Seeleute herabgestiegen und hat sich nach diversen Stationen in Mythen, Sagen, Filmen und Serien wieder in ihr gewohntes Element begeben, nämlich ins Wasser. Herübergeschwappt im wahrsten Wortsinne aus den USA, wo die Meerjungfrauen in Lagunen schwimmen, in Deutschland – in Ermangelung selbiger – eben im gechlorten Wasser mitteleuropäischer Frei- und Hallenbäder. Und das nicht mal mehr vereinzelt.
In immer größerer Masse bevölkern sie gekachelte Beckenränder deutscher Schwimmeinrichtungen, schlängeln sich grazil durch Sprungbecken unter Fünfmetertürmen oder liegen wie hingegossen in warmen Nichtschwimmerbecken zum Ausruhen. Erst im März dieses Jahres bevölkerten 300 von ihnen das große Meerjungfrauentreffen in Freiburg, sie reisten aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Zürich und Kärnten an, schwammen Show und Probe, das Freiburger Westbad platzte fast aus seinen Nähten.
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Sabine
am 13.12.2013