Doping – wer mag es noch hören? Ein Thema, das müde macht. Ein Thema, das einem täglich die Verlogenheit des Spitzensports zeigt, aber auch ein Thema, an dem man journalistisch dranbleiben muss. So lange der Sport noch als Staatsziel gefördert wird, so lange man noch öffentlich Talente sucht und junge Menschen zum Leistungssport animiert, darf auch der Oberbau nicht machen, was er will, sondern muss wenigstens bedingt als Vorbild taugen.
Bisher droht Dopern allerdings nicht allzu viel Ungemach in diesem Land. Wer erwischt wird, bekommt eine Sperre, das war es dann. Das Risiko, ins Netz zu gehen, ist aber gering, weil zu wenig kontrolliert wird und zu viele Präparate aus der Giftküche überhaupt nicht getestet werden können. Aber es scheint langsam ein wenig Licht in den Kühlschränken der Pharmathleten anzugehen. In Stuttgart steht vom 10. April an der Radprofi Stefan Schumacher vor einer Strafkammer des Landgerichts. Und das in einem Verfahren, das es so noch nicht gegeben hat in Deutschland. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 31-jährigen Profisportler aus Nürtingen Betrug durch Doping vor.
Doping als Betrug am Arbeitgeber – das ist neu
Was daran neu ist? Betrug meint dabei nicht das Hintergehen von Gegnern und Fans durch die Einnahme chemischer Schnellmacher, sondern Betrug am Arbeitgeber, der seine Gehaltszahlungen an die Bedingung geknüpft hat, dass der Angestellte seinen Job dopingfrei erledigt. Sollte Schumacher verurteilt werden, gäbe es den Präzedenzfall, dass ein dopender Profiathlet nicht nur von einem Sportgericht gesperrt wird, sondern auch vorbestraft aus einer Strafkammer tritt und im schlimmsten Fall sogar ins Gefängnis wandert.
Die Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen Stefan Schumacher begannen 2008, nachdem der Profi während der Tour de France positiv auf das Epo-Präparat CERA getestet worden war und von der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) angezeigt wurde. Ein nicht übliches Verfahren, die Nada beschränkt sich sonst darauf, positive Dopingtests den Fachverbänden zu melden und auf deren Sportgerichtsbarkeit zu hoffen. Den Radprofi Schumacher zeigte die Nada aber an. Schumachers Anwalt Michael Lehner (Heidelberg) vermutet hinter diesem unüblichen Schritt nicht zuletzt den Druck der Verbände, bis hin zum Deutschen Olympischen Sportbund, die zeigen wollen, dass kein eigenes Anti-Doping-Gesetz, wie es zum Beispiel Lehner fordert, nötig sei, um Doper auch strafrechtlich zu belangen.
Und das wird jetzt bei Schumacher exemplarisch versucht. Im Frühjahr 2009 wurde der mehrfache Etappensieger der Tour de France in einem von den Stuttgarter Ermittlungen unabhängigen Sportgerichtsverfahren für zwei Jahre gesperrt. Parallel dazu verlangte damals die Staatsanwaltschaft bei Hans-Michael Holczer Einblick in Schumachers Arbeitsvertrag. Holczer war damals nicht nur Manager des Teams Gerolsteiner, sondern über die "Holczer Radsport Marketing GmbH" auch Schumachers Arbeitgeber. Im August 2010 wurde dann auch der Herrenberger Radsportmanager "mehr als neun Stunden vernommen" (Holczer).
Am Ende ihrer Ermittlungen war die Staatsanwaltschaft in Stuttgart davon überzeugt, dass Schumacher sich etwa 150 000 Euro an Gehalt betrügerisch erschlichen hat, weil er mehrfach gegenüber Holczer versicherte, niemals mit CERA gedopt zu haben. Es geht also jetzt darum, ob sich der Athlet durch das Abstreiten des Betrugs schuldig gemacht hat.
Schumacher sagt, er habe nicht betrogen, weil der Arbeitgeber alles wusste
Die Staatsanwaltschaft sieht das so, eine Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts war aber zunächst skeptisch und ließ die Klage nicht zu. Erst das Oberlandesgericht tat dies schließlich, verhandelt wird jetzt vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts. Schumacher selbst wähnt sich unschuldig. Vor einigen Tagen gestand der Nürtinger zwar im "Spiegel" jahrelanges Doping mit allem, was die Giftküche so hergibt, betrogen habe er seinen Arbeitgeber damit aber nicht, denn der soll Bescheid gewusst haben. Schumacher im "Spiegel": "Der (Holczer) hat schon mitbekommen, was um ihn herum passiert ist." Diese Mitwisserschaft will Schumacher mit seinem Anwalt Michael Lehner beweisen. "Ein Ziel kann die Einstellung des Verfahrens sein", erklärt Lehner. Aber nicht um jeden Preis. Man werde zumindest keine Geldstrafe akzeptieren. Als Zeugen für Holczers Mitwisserschaft will Lehner den Exprofi Bernhard Kohl und den Teamarzt Mark Schmidt präsentieren. Lehner ist sich sicher, an Holczers "Heiligenschein" kratzen zu können.
Damit rückt also der Mann in den Fokus, der als Manager des Teams Gerolsteiner so etwas wie die Frontfigur im Kampf gegen Doping im Radsport war. Holczer geißelte jahrelang mit Hingabe jede Manipulation, kämpfte national und international für die Einführung des Blutpasses und war Mitgründer der "Vereinigung für einen glaubwürdigen Radsport". Holczer betonte dabei immer wieder, dass es ihm bei diesem Kampf neben Fairness, Gesundheit und Moral auch um die ökonomische Seite gehe. Doping, so sein Credo, entziehe dem Sport systematisch Sponsoren und damit die Basis. So kam es dann auch.
Beim Prozess in Stuttgart steht also auch Holczers Eigenimage als Saubermann auf dem Spiel. Dieses Image hat sich der Mann mit einer unglaublichen Energie aufgebaut. Aber kann es wirklich sein, dass der Chef nicht merkt, was seine Leute so tun? Es war ja nicht nur Schumacher. Danilo Hondo, Davide Rebellin, Bernhard Kohl – allesamt hochdekorierte Profis in Diensten von Holczers Gerolsteiner-Team und allesamt wegen Doping rausgewinkt.
Hans-Michael Holczer hat vor nichts und niemandem Angst
Die Rolle Holczers ist auf jeden Fall zentral. Für den Prozess, weil die Anklage sofort in sich zusammenfällt, sollten Schumacher/Lehner glaubwürdige Zeugen für Holczers Mitwisserschaft präsentieren können. Denn dann wurde niemand betrogen. Wichtig ist seine Rolle aber auch für den Sport allgemein. Sollte der 59-jährige Mathematiklehrer tatsächlich bewusst das Dopingsystem in seinem Team geduldet haben, wäre das wohl der letzte Beweis für ein System, das nur funktioniert, wenn gelogen wird, dass sich die Balken biegen. Und für ein System, vom dem man sich nur angewidert abwenden kann.
Holczer, der jetzt als Berater des russischen Teams Katjuscha arbeitet, gibt sich freilich gelassen. "Ich habe vor nichts und niemanden Angst", sagt er. Und es ist ihm wichtig zu betonen, dass nicht er, sondern die Nada Schumacher angezeigt habe, er also keinerlei finanziellen Vorteil von einer Verurteilung Schumachers hätte. Holczers Arbeitsgerichtsprozess gegen Schumacher ist nämlich schon lange Geschichte und endete 2010 mit einem Vergleich. Schumacher akzeptierte die Kündigung, Holczer behielt etwa 7500 Euro Preisgelder ein, zahlte Schumacher aber im Gegenzug einen Steuereinbehalt aus.
Jürgen Löhle war einmal ein Radsport-Enthusiast. Der 55-jährige Kenner der Szene hat 1988 seine erste Tour de France als Berichterstatter absolviert, danach 22 weitere. Vor drei Jahren hat er dem Radmanager Hans-Michael Holczer die Biografie ("Garantiert positiv: Mein Leben für den Radsport") geschrieben und ihn als Anti-Doping-Kämpfer wahrgenommen. Und Stefan Schumacher hat ihm immer wieder versichert, Doping kotze ihn an, nie würde er zu solchen Mitteln greifen. Inzwischen ist Löhle, der zuletzt Chefredakteur bei "Sonntag Aktuell" war, vom Glauben an das Gute im Radsport abgefallen. Im Gerichtssaal trifft er auf 35 weitere Kollegen, von der ARD bis zum ZDF.
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