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Weg damit!

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Von jedem Laternenpfahl grinst ein(e) Kandidat(in). Und wenn das Gesicht als Botschaft noch nicht reicht, muss auch noch getextet werden. Alles nur Schrott, sagt Dietmar Henneka, der sich in der Werbefuzzerei auskennt.

Gesicht (meistens) und Text: kein Laternenpfahl bleibt verschont. Collage: Martin StorzVon jedem Laternenpfahl grinst ein(e) Kandidat(in). Und wenn das Gesicht als Botschaft noch nicht reicht, muss auch noch getextet werden. Alles nur Schrott, sagt Dietmar Henneka, der sich in der Werbefuzzerei auskennt.

Irgendein hochmögender Prof of the Visual Arts postulierte, dass Wahlplakate vergebene Liebesmüh seien. Dem kann ich nur zustimmen. Dann lese ich, dass ein wahrer Kampf, schon vor dem Startschuss, um die besten Laternenpfähle entbrannt ist. Nun ist Stuttgart vollgepflastert, mal Großfläche, mal DIN A0, mal kleiner. Die sogenannten Botschaften im Vorbeifahren kaum zu entziffern, es sei denn, Stau oder rote Ampel gibt mir die Chance dazu.

Da ich mich bis dato selbst in der Werbefuzzerei getummelt habe, bin ich enttäuscht. Alle Bewerber reden von Aufbruch, auf zu neuen Ufern – und was glotzt mich an? Mehr oder weniger gehübschte Porträts, zusammengebastelt von meinen Berufskollegen, die unsere Kandidaten menschlich rüberbringen mussten. Mit oder ohne Volk, mit oder ohne Photoshop. Die Lohnschreiber durften mit Allerweltsheadlines auch noch ran. Es wird versprochen auf Teufel komm raus, was man eh nicht halten kann. Keines der Plakate funzt, keine der Botschaften reißt mich vom Hocker. Es ist das übliche "Ich bin da und will niemandem wehtun".

Wozu also dieser Verschandelungsaufwand? Weil's zum Wahlkampf dazugehört? Jeder von uns hat doch seine Tageszeitung, sein Internet, seinen Briefkasten, um sich schlau zu machen. Wenn schon Plakate, dann erwarte ich visuelle Verschönerungspappen, die mir Laune und Spaß beim täglichen Roll-in von Sonnenberg in die Mörikestraße machen.

Die toteste aller Hosen

Vom Augustinum via Theaterhaus bis zur letzten Hundsverlochete tingeln unsere OB-Kandidaten und posten diese Gala-Bildle auf ihren Weberseiten. Diese Kärrnerarbeit bringt Stimmen, die Wahlplakate mit Sicherheit nicht. Also, weg damit! Okay, wenden wir uns dem Internet zu, das ja angeblich das Papier ersetzen soll. Bloggen ist die Message. Ergo semmle, halt, poste ich meinem SebTurn was, in Erwartung giftiger Follower-Antworten seiner I-like-it-Fans: Pantalone morte, die toteste aller Hosen. Was mache ich falsch? Findet dieser Wahlkampf tatsächlich nur in den analogen Hinterzimmern statt?

Mir gefällt André Hellers Schmäh: In Wien kann man es als Lippizzaner bis zum Bürgermeister bringen. Ich erinnere mich noch gut an den SPD-Kandidaten Rainer Brechtken, An(t)ritt zur Wahl 1996: Er ließ sich auf der Reiterstatute im Schlossgarten ablichten und aus die Maus. Schlossgarten? War das was? Kuhn will die Röhre wieder, Turner Rosenstein-Wohnungen für unter acht Öre Mietpreis, Hanneskannes die Twen-Aufbruchzeiten wieder, Dame Wilhelm ist mir immer noch nicht präsent, außer dass sie sich schwarzweiß auf den Plakaten präsentiert.

Verliere ich jetzt den Faden? Wirkt mein Souvignier gris von der Insel Reichenau schon? Immerhin ein Biowein neuesten Anbaus! Kellermeister Sätteles Tochter Daniela ist ja immerhin die derzeit badische Weinprinzessin. Doch zurück zum Thema: wer kann/soll Oberbürgermeister werden respektive wer hatte die emphatischste Plakatmessage? Keiner, leider! Eine Binsenweisheit: Nur wer heute Krach macht, wird gehört. Besser mit Stanislaw Jerzy Lec: Woher Mut nehmen? Die Mutigen geben ihn ja nicht her!

Der Pietismus feiert unfröhliche Urständ

Jetzt sind alle Stuttgarter wieder aus den Ferien zurück. Ich kann nur hoffen, dass dieser Wahlkampf endlich Fahrt aufnimmt. Wer nicht wählt, hat für acht Jahre zu schweigen. Ich unterstelle mal, das Zwingli und Calvin diesen Satz speziell für uns Stuttgarter unterschreiben würden, feiert hier doch ab und an der Pietismus eher unfröhliche Urständ. Mein Glück: Ich bin ein elsässischer Südbadener, sonst würde ich wohl nicht so in die Tasten hauen.

Damit meinerseits nicht nur gemeckert wird, hier ein Beispiel für Wahlplakate, die Stuttgart nicht verschandeln würden und was ich vor 16 Rezzo-Jahren angezettelt habe.

Mit diesen Kleinanzeigen hat Henneka vor 16 Jahren für Rezzo Schlauch geworben – und dafür böse Post bekommen.

Tags darauf, mein Beitrag war schon gemailt, Anruf von der Kontext-Redaktion: "Henneka, das sind zu wenig Zeilen!" Ja, wie denn? Bin ich hier der Zeilenschinder? Jetzt hocke ich wieder am Mac, um einen ursprünglichen Espresso zur Latte macchiato zu verlängern.

Wenn mir schon die Plakate nicht gefallen, wie werden dann in der Endphase die unsäglichen Bekenneranzeigen in den Tageszeitungen ausschauen? Wo in Acht-Punkt-Schrift gedruckt, Telefonbuch-gleich, je nach Kandidatencouleur, die Berufe interessanter sind als die Namen. In diesem Zusammenhang eine kleine Anekdote von/mit Prof. Kurt Weidemann, der mir heute mehr denn je fehlt. Kurt war schon zu Beginn eingetragener S-21-Gegner. Monate später las ich per Zufall in der "Stuttgarter Zeitung" seinen Namen unter einer Pro-S21-Anzeige. In seinem Stellwerk, anlässlich eines ADC-Meetings, packte ich ihn: Weshalb? Kurts verblüffende Antwort: "Ich bin immer für beide Seiten einer Medaille." Kurt, Kurt, das hat mir sehr gefallen.

Schade, dass die Plakate nicht mehr aus Pappe sind

Da fällt mir gerade ein, dass es doch etwas Positives zu den Laternen-Plakaten gibt. Sie sind heute dank digitalem Direktdruck aus PVC und nicht mehr aus Pappe. Das ist doch schade! Bei Starkregen war es doch all die Jahre herrlich anzuschauen, wie sich langsam der Plakatmehlschwitzeleim löste und der Kandidat langsam qua Schwerkraft dahinfloss ...

Da hinter allen Kandidaten politische Absichtsparteien stecken: Herrschaften, bewaffnet in der Nacht nach der Stichwahl eure Hilfskräfte mit einem Seitenschneider und hängt das Zeugs bis Montagfrüh ratzfatz ab. Nicht, dass ich an Weihnachten in der Sackgasse hinterm Marienplatz-Rewe noch den RockTurnKuhn zerknirscht/zerknittert und schäpps am Laternenpfahl hängen sehe. Wir Deutschen sind doch das Land der Überordnung. Kann mir mal einer sagen, weshalb es die Italiener fertig kriegen, alle Wahlplakate fein säuberlich in Reih und Glied an vorgegebene Flächen zu bäppen?

Da ich selbst ein fotografischer Dunstkreiswerbefuzzi bin, ersparen Sie es mir bitte, Einzelkritik an den Plakatauftritten zu postulieren. Inhaltlich sind Wilhelm und Turner aus dem Schneider, Kuhn und Rockenbauch jedoch nicht. Die müssten sich doch in Sachen Kellerbahnhof plakatmäßig beharken. Denn da liegt der Hund begraben. Kannibalismus in Reinkultur. "Gibst du mir, geb ich dir" haut da nicht hin. Der Rotschopf gibt für eine wahrscheinliche Stichwahl keine Wahlempfehlung. Wie auch? Seine Obergrundarmee hat zu lange gekämpft, um die Uniformen freiwillig auszuziehen. Und Fritz Kuhns Werbeagentur müsste sich längst was einfallen lassen, um hier den Spreißel aus dem Daumen zu ziehen. Das wird hoffentlich noch spannend.

Der Exbanker wählt Turner: "Ich kenne seinen Vater"

Und wo stehe ich? Einer meiner Absacker-Konfidenten mosert: "Henneka, bezieh endlich mal Stellung. Du willst doch nur Stunk." Es will einfach nicht in seinen Schädel, dass Wahlkampf per se für mich ACTION bedeutet. Ketzerisch, im Sinne von Stunk, mit dem unvergleichlichen Peter Ustinov: Was nützt mir die hochgejubelte Freiheit der Wahl, wenn nix da ist, was ich wählen möchte? In meinen Bodensee-Ferien traf ich einen ehemaligen Stuttgarter Banker. Meine Pistole auf seine Brust: "Wen wählen Sie?" Seine Antwort: "Turner! Ich kenne seinen Vater."

So isch's denn au wieder, kann ich nur sagen. Dazu passt auch bestens das Handelsblatt-Galadinner in der Alten Reithalle. Stargast: Sebastian Turner. Thema: Brauchen wir eine neue Politiker-Elite? Na, prima. Nur die Leistung, nicht die Geburt, "Bild", "Gala" oder sonst so ein Wichsblättle bestimmt, wer zur Elite zählt. Das Blöde daran ist nur, dass Leistung sich erst im Nachhinein herausstellt, siehe Berlins neues Flugplätzle. "Versprechen und halten ist zweierlei", sagte der VfB-Keeper nach dem 1:6-Debakel in München. So jetzt ist aber Schluss mit lustig. Zurück zur Arbeit!

PS: Turner hat gerade mal lächerliche 1000 Facebook-Friends, die Mitbewerber noch weniger. Das zeigt doch den ganzen Verhältnisblödsinn, dem sogar ein Kommunikationsprofi im Internet anheimfällt.

 

Dietmar Henneka.

 

 

Der Autor ist ein inzwischen gut abgehangener Werbefotograf, römisch-katholischer Oberministrant i. R., vierfacher Großvater, lebt und arbeitet seit 1968 in Stuttgart.

 

 

 

 


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2 Kommentare verfügbar

  • Anette Ahr
    am 19.09.2012
    Antworten
    Das sehe ich anders. Den Henneka will ich nicht missen. Er ist laut, unbequem, nicht zu zähmen. Er ist farbig und sieht nie schwarz-weiß.
    Ein Kreativer ist er. Ein Original sowieso. Ein "krummer Hund" eben. Einer, der zum
    Glück schon lange in Stuttgart seine Zelte aufgeschlagen hat. Denn so einen…
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