Der geistige Diebstahl in Form von Plagiaten wird durch führende Politiker unseres Landes bagatellisiert. Wie Konrad Adenauer im Jahre 1957 glaube auch ich jetzt, "verpflichtet zu sein, Ihnen zu sagen, wie ernst die Lage [...] ist"[1]. Ein Erfahrungsbericht aus Sicht eines Betroffenen mit geisteswissenschaftlichem Fachgebiet.
Ein kleiner, schlecht durchlüfteter, stickiger Raum. An einer der Wände hängt ein Bild des Exbundesministers für Technologie und Wirtschaft sowie Exbundesministers der Verteidigung. Es ist ein Ausdruck einer Seite seiner Homepage. Unterschrieben ist das fesche Porträt ironischerweise mit dem Hinweis, dass das digitale Abbild rechtlich geschützt und Eigentum der Betreiber der Internetseite sei. Man möchte fast fragen: materielles Eigentum oder nur geistiges? Die Stelle ist rot umrandet und hebt zuweilen durch ihr humoristisches Potenzial die Stimmung in dieser gnadenlos überbesetzten Doktorandenbesenkammer an einer deutschen Universität.
In diesem Zimmerchen verbringen die internen Doktoranden des Lehrstuhls ihre Tage, Freitagabende, wenn nötig Nächte, teilweise gar Samstage oder Sonntage damit, aus dicken Wälzern passende Zitate zu sammeln (um sie später richtig zitiert in ihre Doktorarbeit einzubauen), für neue Probleme neue Strategien zu erarbeiten oder einfach nur 20 000 Wörter eines antiken Textes abzutippen, um ihn anständig bearbeiten zu können.
Hat man das alles bewältigt, kann schon einmal ein halbes bis Dreivierteljahr vorbei sein und die Arbeit im eigentlichen Fachbereich kann beginnen – zuvor hat man sich ja eher als Informatiker, Organisator, Projektleiter und Sekretärin betätigt.
Kurse halten, Aufsätze korrigieren, Plagiate finden
Dabei darf man sich übrigens glücklich schätzen, wenn man eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter bekommt. Das heißt: Kurse halten, Aufsätze der Kollegen oder Betreuer Korrektur lesen, Publikationen formal vorbereiten, die Homepage gestalten und pflegen etc. Diese Vielzahl an Zusatzaufgaben allein beansprucht gelegentlich schon einmal mehr als die (im Glücksfall bezahlten) offiziellen 20 Stunden pro Woche Arbeitszeit. Doch der Kampf um die rar gesäten Stellen und die Abhängigkeit vom Betreuer lassen keine Alternativen zu.
Neben den oben exemplarisch angeführten Beispieltätigkeiten zählt auch die Kontrolle von studentischen Seminararbeiten nach Plagiaten zu den möglichen Zusatzaufgaben. Dabei ist es, seit diese Praxis wieder salonfähig gemacht wurde, keine Seltenheit, dass man aus den elektronisch eingereichten Arbeiten einzelne Sätze in Google kopiert und auf wundersame Weise zu dem identischen Abbild des betreffenden Kapitels aus der vorliegenden Arbeit eines Studenten im vierten Semester geführt wird. Die Anhänger der Copy-Paste-Bewegung nehmen rapide zu.
Einer der großen Vorteile, aber auch eine Gefahr der Promotion liegt darin, dass man bei der Arbeit größtenteils sein eigener Chef ist. Eine Gefahr stellt die Freiheit dahingehend dar, dass erbrachte Arbeitsleistung vom jeweiligen Betreuer nur in etwa vierteljährlich anberaumten bzw. von Seiten der Promovenden erzwungenen halbstündigen Treffen "kontrolliert" wird. Wenn man später, nach Vollendung der Dissertation, Pech hat (oder Glück, je nachdem), wird das Endergebnis der jahrelangen Arbeit gar nicht wirklich gelesen.
Für die Erweiterung des Weltwissens!
Betreuer von Doktorarbeiten sind meist bildungssystembedingt gnadenlos überlastet und froh, wenn sie am Ende Zeit finden, die entstandene Arbeit auszugsweise lesen zu können. Das Problem: einerseits müssen die Lehrstühle so viele Promotionen wie möglich hervorbringen, um auf hohes Ansehen unter den Kollegen und eine bessere Finanzierung hoffen zu können. Andererseits sind die Professoren durch Aufgaben in Lehre, Verwaltung, Universitätsgremien und Forschung kaum in der Lage, interne Promovenden optimal zu betreuen, geschweige denn die Fülle von externen Promovenden.
Nur gut, dass die Mehrheit der Doktoranden für ihr Thema brennt und die Forschung basierend auf intrinsischer Motivation, wissenschaftlichem Geist und dem Wunsch nach Erweiterung des Weltwissens voranbringen möchte. Nur gut, dass die Mehrheit der Doktoranden die Jahre der Arbeit an der Dissertation nicht investiert, um danach "Dr." vor den Namen schreiben zu dürfen. Natürlich verbunden mit dem Gesamtpaket an mystischen Vorstellungen, die Otto Normalverbraucher mit diesem Titel verbindet: Expertentum, Gelehrsamkeit, Weisheit, Autorität, ja sogar hohe Intelligenz.
Dass man von den Menschen in Deutschland durch das Führen eines akademischen Titels anders wahrgenommen wird als zuvor, ist eine Tatsache – und in unserer Gesellschaft ein Teil des Problems. Immer mehr Politiker versuchten und versuchen offensichtlich durch dieses Mittel ihre Karriere zu beschleunigen und die Stimmenausbeute in die Höhe zu treiben. Oder glauben Sie, dass man nach dem Verfassen einer über 300 Seiten schweren Abhandlung zum Thema "Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung" besser geeignet ist, das Bildungsministerium eines Landes zu führen, als ein Bildungspolitiker, der keine Doktorarbeit verfasst hat?
"Leistung muss sich lohnen" – oder?
Viele Menschen haben keine Vorstellung davon, was genau dazu berechtigt, einen Doktortitel führen zu dürfen. Dass den Menschen außerhalb des universitären Betriebes dadurch das Ausmaß des Schadens, den die Plagiatsaffären der jüngsten Zeit anrichten, nicht bewusst ist, ließen einige der Umfragen nach der Guttenberg-Affäre durchblicken, in denen teilweise bis zu 87 Prozent gegen einen Rücktritt Guttenbergs stimmten. Als dann auch noch die Rückendeckung von ganz oben auf dem Rücken der Doktoranden ausgetragen wurde, meldeten sich diese in einem offenen Brief zu Wort.
Der Ausspruch der Kanzlerin, "Leistung muss sich lohnen", wirkt für jemanden, der die höchsten Hürden des deutschen Bildungssystems genommen hat und nach Abitur, abgeschlossenem Studium und abgeschlossener Promotion auf der Spitze des Bildungswesens steht, nach dem harten Sturz auf die Straße der beruflichen Bedeutungslosigkeit wie blanker Hohn. Nun ja, man hätte eben eine Leistung erbringen sollen, die honoriert wird, da sie einen unmittelbaren Nutzen für Wirtschaft und somit Politik hat.
Wenn man sich dann aufgrund von Stellensperren und Stellenkürzungen an den Universitäten – und das trotz zunehmender Studentenzahlen – nach seiner abgeschlossenen Promotion aus dem universitären Betrieb verabschiedet, seine vielen Ideen für weitere Forschungsfragen und -projekte begräbt und doch den Gang in das Schulwesen antritt, so wird man auch hier recht schnell mit der Problematik um das Konzept des geistigen Eigentums konfrontiert.
Meisterleistungen der Work-Life-Balance
Behandelt man in der neunten Klasse Jugendsprache, nennen die Schüler als Beispielwort etwa "guttenbergen" und erklären, dass es sich dabei um das geschickte Kopieren und Einfügen von fremden Textteilen in eigene Aufsätze handelt. Wem dies gelingt, ohne dass es der Lehrer merkt, dem ist natürlich ein Platz in den Annalen der Klasse gesichert.
Ob in Probeaufsätzen, Prüfungen oder Hausaufgaben, überall begegnen einem Plagiate. Da tut es gut, wenn man die Schüler der fünften Klasse dabei erwischt, wie sie mit ihrem untrüglich scharfen Gerechtigkeitssinn einen "Nachmacher" geißeln, der eine gute Idee eines Mitschülers für ein neues Pausenhofspiel als seine eigene ausgegeben hatte.
Doch zurück in die hohen Sphären der Strippenzieher. Ihre Azubis betreten die Politikbühne heutzutage bevorzugt mit einem vorangestellten Titel in der Namensankündigung. Dabei sind die Wege zu dem Erwerb des Rechts, einen solchen führen zu dürfen, wie schon dargestellt von vielen Hindernissen verstellt (Tag und Nächte in der Besenkammer sitzen, Zitate finden, containerweise Texte lesen ...). Dennoch schafften und schaffen es immer öfter ambitionierte Politikaufsteiger, ihre Parteikarriere, Promotion und Familie unter einen Hut zu bekommen – wahre Meisterleistungen der Work-Life-Balance.
Doktortitel gibt's günstig in der Schweiz
Oder liegt das eher daran, dass es im System Universität einige Möglichkeiten gibt, die Hürden herunterzuschrauben? Sei es durch das Zusammenkopieren einer Arbeit aus Vorgängerarbeiten, sei es durch den käuflichen Erwerb eines Doktortitels an Universitäten wie der Schweizer "Freien Universität Teufen" oder sei es durch das Verfassen einer 20-seitigen medizinhistorischen Abhandlung bei ausgewählten Professoren.
Seit der Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg stürzt sich die Öffentlichkeit vermehrt auf Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe wissenschaftlicher Titel. Ein besonders hervorzuhebendes Problem sind dabei die vielen externen Promotionen, die für das Funktionieren des Systems wichtig sind. Im Gegensatz zu den auf Projekt- oder Mitarbeiterstellen entstehenden internen Promotionen ist bei externen das Betreuungsverhältnis sehr viel lockerer. Die Doktorarbeit wird nicht selten zu Hause, häufig weit entfernt von der Universität und vom Betreuer angefertigt. Auch besteht häufig wenig Kommunikation mit Kollegen über fachliche Inhalte. Bei derartig beschaffener "Kontrolle" ist daher auch ein erhöhtes Maß an Selbstdisziplin vonnöten, um zum Ziel zu kommen. Dass diese unter dem Einfluss von Familie und Politikkarriere schon einmal etwas leiden kann, liegt bei diesen zeitintensiven Lebensaufgaben nahe.
Wo ist denn wohl die Quelle?
Letztlich ist all dies allerdings nicht überzubewerten, da erst jüngst jemand, der in unserem Lande etwas zu sagen hat, dieses zur Bildungsrepublik ausgerufen hat. Es werden demnächst schon nicht mehr Hunderte von Junglehrern auf der Straße stehen, obwohl massive Unterrichtsausfälle beklagt werden. Es werden keine Studienanfänger mehr in Turnhallen untergebracht werden und Vorlesungen auf Fensterbänken, vom Boden aus oder in stickigen Kinosälen über sich ergehen lassen müssen. Es werden in Zukunft alle Doktorarbeiten eingehend betreut werden und im Anschluss bewertet werden, sodass Plagiate als Fossile der Vorzeit in die Mediengeschichte eingehen werden. Es werden ... Oder hat sich die Proklamation der Bundes- zur Bildungsrepublik doch schon vor längerer Zeit ereignet, und es hat sich letztendlich doch nichts verändert?
Ich weiß es leider nicht mehr, in den unzähligen Stapeln von Kopien und Büchern ist mir diese Quelle wohl verloren gegangen. In meinem Karteikasten mit wichtigen Zitaten findet sich auch nichts. Nur gut, dass sich auch andere mit Vorschusslorbeeren hoch dekorierte Personen bereits im Dickicht von Aufsätzen, Monographien und Bibliografien verlaufen haben und im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf dafür hinhalten mussten. Der Kontext, in dem dieses verheißungsvolle Wort genannt wurde, ist mir auch nicht mehr gegenwärtig. Aber es hört sich gut an und macht Hoffnung, daher ist es ja auch egal, von wann, von wem und aus welcher Quelle es stammt. Ich füge es einfach mal hier ein. Ein Hoch auf die Bildungspolitik!
[1] Köhler, Peter (Hrsg.): Die besten Zitate der Politiker. Mehr als 1000 prägnante Sprüche. Geistreich und kurios. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Hannover, Schlütersche Verlagsgesellschaft, 2008. S. 57. – Eine von vielen Möglichkeiten, wie man richtig zitieren könnte. Die Hauptsache ist ja, dass durchgehend formal einheitlich zitiert wird und das Zitat anhand der Angaben in Fußnoten und Literaturverzeichnis in der Quelle auffindbar ist. Ach ja: und dass das Zitat überhaupt gekennzeichnet wird.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!