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Merci, Wallonie!

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Zwei Wochen lang lenkten die Belgier noch einmal den Blick auf die Schwächen von CETA. Dann unterschrieben sie doch, um TTIP in der bisher vorliegenden Form zu schlachten. Und um Europa eine Blamage zu ersparen, die allein den rechten Nationalisten in die Hand gespielt hätte. Eine Betrachtung verwirrender Handelsverhältnisse.

"TTIP ist tot und begraben", sagte Paul Magnette, als klar war, dass die Wallonie das Abkommen mit den Kanadiern nach neuerlichen Zugeständnissen nicht mehr aufhalten wird. Tot in der Erwartung, dass ein modifiziertes CETA-Abkommen das gesamte Anforderungsniveau anhebt und die Gespräche mit den Amerikanern zurückmüssen auf Los. Der widerständige Ministerpräsident ist in den 14 Tagen des zähen Ringens zum Star der CETA-Kritiker dies- und jenseits des Atlantiks avanciert. Er könnte, wenn er recht behält mit seiner Prophezeiung, die Symbolfigur eines veränderten Welthandels werden. Denn auch andere Regierungen, die aus Luxemburg und aus Österreich, vor allem die französische, haben ihre Zufriedenheit über die Einigung mit der Forderung nach einem Neustart aller TTIP-Gespräche verbunden.

Magnette ist Politiker, Buchautor und Hochschullehrer mit großem wissenschaftlichen Renommee. In den 1990ern spezialisierte er sich in Cambridge auf die Geschichte des politischen Denkens. Er bezeichnet sich als "Sozialisten und überzeugten Sozialdemokraten", als jemanden, der Welthandel will, "aber zum Wohle der Menschen". Viele Globalisierungskritiker, die das gesamte System vom Kopf auf die Füße stellen wollen, weiß er da durchaus an seiner Seite. Attac hat gemeinsam mit rund 50 Organisationen an einer komplett veränderten Grundsatzmandatierung gearbeitet. Die inzwischen 90 000 Mitglieder zählende Vereinigung hat vier Jahre lang <link http: www.attac.de kampagnen freihandelsfalle-ttip hintergrund alt-handelsmandat external-link-new-window>eine völlig neue Herangehensweise an den Freihandel diskutiert, die sich "an den Bedürfnissen der Menschen orientiert". Demokratie, Selbstbestimmungsrecht von Gemeinschaften und flache Hierarchien müssten "als Grundlage einer selbstbestimmten Gesellschaft festgeschrieben" werden, Menschenrechte, menschenwürdige Arbeit, soziale und ökologische Ziele seien "nicht verhandelbar".

Diesen Zielen ist der Welthandel in den Augen der CETA-Befürworter jetzt ein Stück näher gerückt. Jedenfalls verspricht EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dass mit der Unterzeichnung Standards für die nächsten Jahrzehnte gesetzt worden seien, die nicht mehr unterschritten werden. "Wir wurden gehört", freut sich Magnette und hebt vor allem die Überprüfung der künftigen Gerichtsbarkeit samt Berufungsinstanz durch den Europäischen Gerichtshof hervor. Das zumindest sieht die "Auslegungs-Hilfe" vor, die dem Abkommen zwischen der EU und Kanada nun angehängt wurde.

Regierungen feiern sich selbst

Ohnehin wollen jetzt viele nationale Regierungen für ihren Anteil an den Veränderungen gelobt werden: die Griechen, die für ihren Feta kämpften, oder die Franzosen, die sich das Recht auf Champagner und Camembert eintragen ließen. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel will ein Stück vom Kuchen, weil er sich mit den Schiedsgerichten in der ursprünglichen Form nicht abfinden konnte. Österreichs Bundeskanzler Christian Kern erstritt eine mehrseitige Zusatzerklärung für die Gewährleistung öffentlicher Dienstleistungen und gesicherte Arbeitnehmer- und Umweltstandards.

Allein die zahllosen Initiativen und Vereinigungen, die Millionen von Unterschriften gesammelt haben und dafür sorgten, dass der 2014 schon ausverhandelte Vertrag derart kontrovers und mit weitreichenden Folgen noch einmal durchleuchtet wurde, tun sich schwer damit, die eigenen Erfolge angemessen zu würdigen. "Wir wollen TTIP und CETA verhindern", hieß es in einem Schreiben, das Attac im Juli 2015 zur Versendung an die örtlichen Europaabgeordneten empfahl. Beide Texte enthielten "diverse kritische Punkte wie Investor-Staat-Schiedsverfahren und Regelungen zur regulatorischen Kooperation, die Demokratie und Rechtsstaat aushöhlen".

Attac wollte verhindern, dass in "intransparenten Verhandlungen Arbeits-, Sozial-, Umwelt-, Datenschutz- und Verbraucherschutzstandards gesenkt sowie öffentliche Dienstleistungen und Kulturgüter dereguliert werden". 15 Monate später bekennt Sarah Händel von "Mehr Demokratie", dass "etwa 50 oder 60 Prozent unserer Forderungen zur Verbesserung von CETA in den Nachverhandlungen durchgesetzt worden sind". Dennoch versucht ihre Organisation seit vergangener Woche, gemeinsam mit Campact und Foodwatch, das vorläufige Inkrafttreten des Abkommens noch einmal per Eilantrag in Karlsruhe zu stoppen.

"Le Monde", jene französische Tageszeitung, die mit einem Leitartikel zur Tobin-Steuer Ende der Neunzigerjahre die Gründung von Attac auslöste, hat gemeinsam mit dem Recherchezentrum Correctiv eine Schnellanalyse des rund 1600 Seiten umfassenden CETA-Vertrags vorgelegt. "Die Last-Minute-Verbesserungen lassen CETA deutlich besser aussehen als noch vor einem Jahr befürchtet", steht darin zu lesen. Aber sie seien "auch eine ziemliche Flickschusterei", unter anderem, weil grundsätzliche Garantien nicht im Vertrag selber "deutlich festgeschrieben sind". Allerdings wird die Stellung der Zusatzerklärungen anerkannt und die Frage, ob CETA zur Privatisierung kommunaler Dienstleistungen zwingt, mit einem vorsichtigen Nein beantwortet. Denn eine entsprechende Formulierung sei "offenbar ziemlich bindend".

Campact will CETA nach wie vor verhindern

Dennoch will Campact, die "größte Bürgerbewegung für eine progressive Politik", das Abkommen mit "über 1 800 000 Aktiven" weiter komplett blockiert wissen. Entweder durchs Europaparlament, wo ein Erfolg aber unwahrscheinlich ist, weil Teile der Sozialisten und Sozialdemokraten genauso zustimmen wie Konservative und Liberale. Oder über Bürgerentscheide in Bayern und Schleswig-Holstein. Oder durch besonderen Druck auf die Grünen, weil die nach den Vorstellungen der Campact-Verantwortlichen CETA über den Bundesrat stoppen können und müssen. Das Vorgehen belegt allerdings, dass in der Konzentration des politischen Engagements auf bestimmte, herausragende Themen auch Scheuklappen wachsen können. Denn im Bundestagswahlkampf wird die Kritik an jenen Grünen und Sozialdemokraten, die das Abkommen am Ende mittragen, vor allem die Rechten von der Alternative für Deutschland stärken.

Überhaupt hat Campact seinen Mitstreitern kürzlich verschiedene Ideen zur Auswahl vorgelegt, wie die Gegenkampagne weiterverfolgt werden sollte. An der Umfrage, deren Rahmenbedingungen übrigens im Dunkeln bleiben, haben sich allerdings nur ein gutes Zehntel beteiligt. Und strategisch könnte die Uneinigkeit größer kaum sein: 46 Prozent verlangen, CETA im Europaparlament zu stoppen – ohne eine Antwort auf die Frage nach dem Wie. 43 Prozent sind für den Stopp "mithilfe der Grünen im Bundesrat", 32 Prozent für die Unterstützung "von Referenden in anderen EU-Ländern". Weitere 28 Prozent stimmten für Volksbegehren in Bayern und 21 Prozent für einen "Marsch nach Brüssel".

Hier offenbaren sich die Schnittmengen zwischen linken Faktenskeptikern und rechten Faktenleugnern: Auch Rechte erwägen, nach Brüssel zu marschieren. Dort aufzuräumen oder für Ordnung zu sorgen sind die Geringsten ihrer Drohungen. Besonders schmerzlich wird es, wenn sich Populisten und Nationalisten, von Le Pen über Wilders bis Strache, dreist auf die Zivilgesellschaft berufen. "Volksbewegungen", schreibt einer auf der Facebook-Seite der AfD, "waren schon immer klüger." Das zeige sich am Widerstand gegen "das Merkel" oder gegen "Killery".

Paul Magnette will den Spagat: für CETA sein, gegen TTIP kämpfen und sich als Sozialist und Regionalist zugleich absetzen von den Nationalisten, von den "Contempteurs du système", den Systemverächtern. Die Linke, nicht die Rechte, sagt er in einem seiner zahlreichen Interviews seit dem Einlenken, habe "die entscheidenden Verbesserungen erkämpft". In diesem Punkt hat er Jean-Claude Juncker an seiner Seite, der zugleich davor warnt, dass Populisten die "Vereinfachungs- und Verführungsmaschine" anwerfen: "Wenn man europäische Geschichte kennt, weiß man, was daraus entsteht."

Von TTIP möchte der EU-Kommissionspräsident weiter nicht lassen. Er erinnerte daran, dass die Staats- und Regierungschefs erst im Juli ihr Mandat für Verhandlungen bestätigt haben. Aber es werde "maximal informiert werden, wobei ich die Informationslust der Menschen nicht überbewerte, denn schon jetzt gibt es viele Zugänge zu Informationen, die werden aber keineswegs maximal genutzt, weder von NGOs noch von anderen". Wenn es nach dem Wallonen geht, soll sich auch das ändern. Und Magnette ruft den vernünftigen Widerstand in der Zivilbevölkerung dazu auf, einen Unterschied zwischen Kanada – "das sind unsere Freunde" – und Amerika zu machen. Denn TTIP zu verhindern, als "eigentliches Ziel", das sei nur mit "dem richtigen Maß an Differenzierung" zu erreichen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Schwabe
    am 03.11.2016
    Antworten
    Der Kampf um Ceta geht weiter
    Nach tagelangem Hin und Her unterzeichnen EU und Kanada das Abkommen. Der Streit um Ceta ist damit noch lange nicht vorbei. […]
    Ceta bleibt damit im Kern das neoliberale Abkommen, als das es konzipiert worden war. Mit mehr als 1.500 Seiten greift es tief in die…
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