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Verzweifelter Weckruf

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Dramen gibt es nicht nur bei der Südwest-CDU. In der SPD auch. Aber während der Fokus auf Wolf & Co. liegt, kümmert sich um die 13-Prozent-Partei kaum einer. Dabei begehrt, wie schon so oft, der linke Flügel auf, und will erreichen, dass nichts so bleibt wie es ist.

Es soll Genossen geben, in deren Keller sich die Analysen der Pleiten bis zur Decke stapeln. Seit 1976 geht es – mit einer einzigen Ausnahme 2001, als Kandidatin Ute Vogt 33,3 Prozent erreichte – nur bergab. Und regelmäßig wurde die Schuld bei misslichen äußeren Umständen gesucht und gefunden. Anfang der Achtziger waren es die eben gegründeten Grünen und Lothar Späth mit seinem Ansehen bis tief in die Arbeiterschaft hinein. Dann lag's an den Flüchtlingen vor den Jugoslawien-Kriegen und der Änderung des Asylrechts. 2006 trugen bundespolitische Einflüsse die Hauptverantwortung, weil die SPD sich trotz einer links-links-grünen Mehrheit in die Große Koalition unter Angela Merkel fügte. 2011 lag's ganz allein an Fukushima und Stuttgart 21. Und diesmal hatten die Grünen einen Überlandesvater Kretschmann, und in der Tat, so eine Figur haben die hiesigen Sozialdemokraten noch nicht hervorgebracht.

Nur der Besen für die Kehrwoche, auf dem Trottoir vorm eigenen Haus, der steht traditionell nicht griffbereit. Dabei könnte ihn Katja Mast jetzt so gut gebrauchen. Die glücklose Generalsekretärin, die auf Parteitagen immer die schlechten Ergebnisse einfährt, ist in die Rolle der Niederlagen-Erklärerin geschlüpft. Sie könnte über viel reden, über Hartz IV oder das Ja der SPD zu Steuersenkungen im Geiste des Neoliberalismus, über den immer noch nachwirkenden Schröder-Kurs und den diesbezüglichen Frust in vielen Ortsvereinen. Oder auch darüber, wie die AfD und die bedenkliche Bereitschaft roter Stammwähler, rechts zu wählen, unterschätzt wurde.

Mit sozialer Gerechtigkeit hätte die SPD punkten können

Wird aber nicht. Mast, früher mal Referentin beim Personalvorstand der Deutschen Bahn AG, betont stattdessen die Bedeutung der Flüchtlingsproblematik. Dies allerdings wider besseres Wissen. Denn es liegt eine 26-seitige Analyse des Ergebnisses vor, gezeichnet vom Willy-Brandt-Haus, Abteilung II, die das traditionelle Anliegen "soziale Gerechtigkeit" (61 Prozent) als wichtigstes Thema für die eigene Wählerschaft identifiziert. Das Stichwort "Flüchtlinge" nennen dagegen nur 21 Prozent. Womit das Argument entzaubert ist, das die Verlierer wie eine Monstranz vor sich hertragen: Der grüne Ministerpräsident habe dem Koalitionspartner einfach zu wenig Platz zur Entfaltung der eigenen Stärken gelassen.

Tagtäglich hätten Nils Schmid und seine Ministerriege, allen voran Katrin Altpeter, zuständig für Soziales und Arbeit, also punkten können, und zwar auch so, dass das Publikum etwas merkt. Was aber so wenig gelang, dass sich Genossin Altpeter im Februar vom Landesvorsitzenden abwatschen lassen musste mit dem Satz, es habe wenig Sinn, im Wahlkampf ein weitgehend unbekanntes Regierungsteam zu plakatieren.

Die seit Jahren geschwächte Linke im Landesverband hat umgehend ein Positionspapier verfasst, das die "inhaltliche, strukturelle und personelle Erneuerung" samt einem Parteitag noch vor der Sommerpause verlangt. Eine Mehrheit im Landesvorstand, angeführt von Schmid und Mast, will die unbotmäßige Initiative mit einem "Konvent" unterlaufen, der an einem Datum stattfinden soll, das sinnbildlich steht für den massivsten Absturz in der Geschichte der Landespartei: Am 30. April hätte ursprünglich der zweite Koalitionsvertrag mit den Grünen abgesegnet werden sollen. Stattdessen soll sich die Basis jetzt mit der neuen Lage als viert(!)stärkste Kraft auseinandersetzen – in einem Format, das keine verbindlichen Beschlüsse fassen kann.

"Die Zahl unserer Mandate hat sich von 35 auf 19 verringert", so die Linken, angeführt von der Bundestagsabgeordneten Hilde Mattheis. "Eine Katastrophe für die Partei", die in allen Wählergruppen massiv verloren hat, laut Infratest dimap in mittleren Bildungsschichten, bei Männern und vor allem Frauen. Kein Wunder: Immer wieder hatten die Parteitagsdelegierten mit großen Mehrheiten eine Änderung des Wahlrechts verlangt, unter anderem mit der Absicht, über die sogenannte kleine Landesliste den notorischen Männerüberhang im Landtag abzuschmelzen. Die roten Platzhirsche dachten aber nicht im Entferntesten daran, so etwas umzusetzen. Dass Schmid dies jetzt vor die Tür des nicht mehr gewählten Fraktionschefs Claus Schmiedel kehren will, ist ein weiterer Ausdruck von Hilflosigkeit auf höchster Ebene. Denn vom selbst ernannten Superminister ist kein einziger Vorstoß bekannt, der Partei mit ihren Vorstellungen zum Durchbruch zu verhelfen. Eher im Gegenteil: "Mit seinen Plänen zur betrieblichen Erbschaftssteuer hat er an unserem Profil gesägt", nennt einer der vielen abgewählten Landtagsabgeordneten ein anderes Beispiel, "statt es zu schärfen."

Nicht nur die baden-württembergischen Linken nehmen den Betriff Steuererhöhung, das Unwort seit der Niederlage 2013 im Bund, in den Mund. Vor allem das Papier der neun Bundestagsabgeordneten mit dem Titel "Profil schärfen – sozialdemokratischen Aufbruch gestalten", das derzeit in der Republik vor und hinter den Kulissen herumgereicht wird, spart die heiklen Fragen nicht aus: "Obwohl SPD-Themen wie Mindestlohn und Rente mit 63 die Regierungsarbeit des ersten Jahres bestimmten, blieben die Umfragewerte für die SPD im Schnitt unter dem Bundestagswahlergebnis von 2013." Der Vorwurf an die Führung: Es reiche nicht, "vor Wahlen die soziale Karte für einen Sozialpakt zu ziehen".

Leni Breymaier könnte die Genossen aus der Depression holen

Die Netzwerker, eine innerparteiliche Allianz, deren Ideologie im Wesentlichen aus Verzicht auf ursozialdemokratische Ideologie besteht, haben den Landesverband fest im Griff. Positionen links der Mitte stigmatisieren sie üblicherweise als vorgestrig. Mast spricht sogar von Folklore, und auch diejenigen, die Nils Schmid lieber heute als morgen stürzen würden – Noch-Kultusminister Andreas Stoch zum Beispiel –, lassen nur äußerst selten mit Beiträgen aufhorchen, denen Restbestände linker Leidenschaft anzumerken wären.

Gerade deshalb lohnt es sich, die Namen jener genau anzuschauen, die den Sechs-Seiten-Weckruf zur Resozialdemokratisierung ("Die SPD muss Orientierung bieten gegen politische Resignation und Spaltung der Gesellschaft") unterschrieben haben: Mattheis natürlich, aber vor allem – als einzige Nicht-MdB - die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende und Verdi-Chefin Leni Breymaier. Der 55-jährigen Ulmerin, mit dem Herzen auf dem linken Fleck, trauen viele zu, die Genossen und Genossinnen im Land aus jener Depression zu holen, in der Parteimitglieder erst betreten ihre Schuhspitzen inspizieren, bevor sie sich zu ihrer Gesinnung bekennen. "Wir müssen als Allererstes unsere Leute erreichen und emotionalisieren", verlangt einer, der den Niedergang seit vielen Jahren miterlebt.

Das Rezept stammt aus einer Zeit, in der die Sozialdemokraten im Südwesten noch auf 30 zählen konnten, dafür aber die Liberalen darniederlagen. Ein überraschend zum Parteichef gewählter Oberstudienrat aus Schwäbisch Hall namens Walter Döring schwang sich Mitte der Achtziger Abend für Abend in seinen Kleinwagen und klapperte Ortsgruppe für Ortsgruppe ab. Er wurde zum Strahlemann, der die FDP zuerst sicher und später mit einem Plus von vier Prozent in den Landtag führte. Dass gerade Breymaier den Ton der Basis trifft, hat sie schon oft bewiesen, zuletzt im Januar in Stuttgart zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase mit dem viel zitierten, viel gesendeten und vor allem bejubelten Satz: "15 Prozent in den Umfragen sind einfach Scheiße."

Offen ist, ob die profilierte Gewerkschafterin und Frauenpolitikerin genügend Unterstützer und -innen zu sammeln vermag, in einer Zeit, in der schon wieder die Abwiegler das Sagen haben. Die geschrumpfte Fraktion gab sich, nur 48 Stunden nach der Wahlniederlage und trotz heftiger interner Beben, eine rein männliche Übergangsfraktionsführung, ein Triumvirat. Einer der drei ist Stefan Fulst-Blei. Dem hat seine Partei die Schmach zu verdanken, in Mannheim das allerletzte Direktmandat an die Rechtspopulisten von der AfD verloren zu haben. Mit zwölf Prozentpunkten auch noch überdurchschnittlich.

Macht nichts, das neue Spitzenamt hat der Dynamiker schon, der immer gut ist für flotte Sprüche der Sorte, dass Schönwetterwahlkampf jeder kann. Das und vor allem solche Einlassungen stehen für den Grad der Realitätsverweigerung, der weite Teile der Führungsspitze im Landesverband prägt. Er sei völlig vom Ausgang überrascht und fassungslos, sagte Fulst-Blei. Was er sich und seinem Kreisverband damit für ein Zeugnis ausstellt, hat der promovierte Wirtschaftswissenschaftler gar nicht gemerkt.


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27 Kommentare verfügbar

  • Claus Stroheker
    am 29.03.2016
    Antworten
    @Dr. D. Schulze (29.03.2016, 11.32 Uhr):
    Was heisst denn, dass sich die ba-wü SPD "unter Inpflichtnahme" der SPD-MdL's und der SPD-MdB's aktiv in die alternative politische Bewegung einklinken soll?

    Mindestens die dem eher rechten Teil der SPD-Fraktion im Bund und im Land Ba-Wü erinnert sich…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 8 Stunden
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