KONTEXT:Wochenzeitung
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Der lange Weg zurück an die Macht

Der lange Weg zurück an die Macht
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Wer die Bundes-Grünen in Berlin anruft, wird in der Warteschleife mit dem Monty-Python-Hit "Always Look On The Bright Side Of Life" unterhalten. Auch Cem Özdemir ist gut ein Jahr nach der schmerzlichen Niederlage bei der Bundestagswahl demonstrativ gut drauf. Und er streicht den alten Markenkern neu heraus. "Wir stehen für das Jahrhundertthema Ökologie", sagt er im Kontext-Interview.

Die Grünen haben sich gerade per Parteitagsbeschluss vom Veggie-Day verabschiedet. Was war falsch an der Idee? 

An der Idee ist gar nichts falsch. Bei mir ist sieben Tage die Woche Veggie-Day, seit meinem 17. Lebensjahr. Das war hart erkämpft gegen meine Eltern, aber es war meine eigene Entscheidung und kein Vorschlag von einer Partei, von der Regierung oder dem Staat. Das ist der Unterschied. Der Bürger Cem Özdemir kann sich dafür einsetzen, dass es einen Veggie-Day gibt. Der Politiker Cem Özdemir muss dafür sorgen, dass die Strukturen so verändert werden, dass die Bürger und Bürgerinnen bei ihrer Kaufentscheidung Produkte bekommen können, aus artgerechter Tierhaltung, von Böden, die nicht mit Nitrat verseucht sind und deren Grundwasser nicht belastet ist. Man sollte das eine mit dem anderen nicht verwechseln.

Dieser Unterschied war den Grünen nicht klar, als die Kampagne beschlossen wurde?

Wir haben ja nie eine Kampagne dazu beschlossen, sondern einen Satz im Wahlprogramm. Nach manchen Parteitagen fährt man nach Hause und trifft schon im Zug Menschen, die sofort verstehen, was man will. Es gibt aber manchmal auch Beschlüsse, die holen einem am Montagmorgen ein, da sie so geschrieben sind, dass bei gegnerischen Parteien die Sektkorken knallen.

Und die, die damals aus Überzeugung mitgemacht haben, die Leute in Kantinen und Kindergärten, die sitzen jetzt in einem Zug, aus dem die Grünen wieder ausgestiegen sind.

Ganz im Gegenteil. Wir sitzen im Fahrerhaus, wir geben die Richtung an. Aber wir servieren im Bord-Bistro nicht mehr nur ein Gericht, sondern haben eine vielfältige Speisekarte. Und die Leute können selber entscheiden. Gerade in der Frage von gutem Essen, von regionaler Produktion ohne Massentierhaltung oder ohne Gentechnik hat sich die Republik doch mit Siebenmeilenstiefeln in unsere Richtung bewegt. Ich will die Trauerarbeit jetzt nicht über Gebühr ausdehnen, aber selbst im Konrad-Adenauer-Haus der CDU gibt es seit Jahren einen fleisch-freien Tag und der CSU-Landwirtschaftsminister fordert sogar drei davon in Schulkantinen.

Bei einem fleischfreien Freitag wären wenigstens die Kirchen ganz sicher an der Seite der Grünen gewesen.

Genau, da geht es immerhin um 2000 Jahre Geschichte. Im Nachhinein kann man schmunzeln. Aber wir haben es unseren Leuten an den Ständen wirklich nicht leicht gemacht. Ich bin da sehr altmodisch. Wenn wir nicht verstanden werden, können wir nicht sagen: 80 Millionen Deutsche sind zu blöd, unser Grundanliegen zu verstehen.

Das hat aber weitreichende Konsequenzen, weil sich so Nachgeben und Einknicken immer begründen lässt. Verhetzungspotenzial steckt in vielen Fragen, gerade wenn die Interessen großer Lobbys im Energie- oder im Agrarbereich tangiert sind oder wenn es um Steuergerechtigkeit geht.

Aber was lernen wir daraus? Gerade wenn die Thematik komplex ist, müssen unsere Botschaften klar verständlich sein. Das ist nicht zu verwechseln damit, einfache Antworten auf schwierige Fragen zu geben. Die industrielle Landwirtschaft ist einer der größten Umweltkiller, in Deutschland und global sowieso. Meine Frau kommt aus Argentinien. Wenn ich mir dort den gentechnikveränderten Sojaanbau anschaue, damit wir unsere Viecher füttern können, oder wie in unmittelbarer Nachbarschaft von Siedlungen die Pestizide herunterregnen und Kinder im Alter meiner Kinder ihrer Gesundheit beraubt werden, damit wir unsere Art von Landwirtschaft betreiben können, dann ist das in höchstem Maße unappetitlich. Und deshalb haben wir beim Bundesparteitag klar gemacht, dass Landwirtschaftspolitik und gesunde Ernährung zentrale ökologische Themen sind. Wir haben beim Veggie-Day Mittel und Ziel miteinander verwechselt, und das war unser Fehler.

Die Grünen regieren in inzwischen acht Ländern mit, sie sitzen in mehr Landesregierungen als die Union. Da muss es doch gelingen, Anspruch und Wirklichkeit in Deckung zu bringen.

Das tun wir ja auch. Alexander Bonde hat zum Beispiel dafür gesorgt, dass wer Flächen vom Land pachtet, auf Gentechnik verzichten muss. Aber jeder Landwirtschaftsminister in den Ländern kommt an seine Grenzen. Man braucht auch Mehrheiten in Berlin, um in Brüssel Druck zu machen. Und deshalb muss es unser Ziel sein, dass die nächste Landwirtschaftsministerin auf Bundesebene wieder von Bündnis 90/Die Grünen kommt. 

Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf. Die nächsten Bundestagswahlen sind erst 2017, aber die Grünen scheinen sich schon jetzt in Stellung bringen zu wollen. Ist das nicht sehr früh?

Das ist die Konsequenz gerade aus der Tatsache und der Erfahrung, dass wir in acht Länder regieren. Und aus der Erkenntnis, dass wir uns in keine Abwehrschlachten mehr drängen lassen. Die ökologische Modernisierung wird, zum Beispiel, nur mit der Wirtschaft gehen, nicht gegen sie. Deshalb müssen wir mit den Unternehmen genauso arbeiten wie mit den Gewerkschaften. Viele Firmen machen sich ja längst auf den Weg. Sie verlangen selbst mehr Investitionssicherheit. Dazu braucht es politische Leitplanken und keine Feindbilder.

Keine Abwehrschlachten mehr, das ist ein großer Vorsatz. Wie soll das in der Steuerdebatte funktionieren?

Nehmen wir das schöne Thema Ehegatten-Splitting. Das Anliegen ist immer noch richtig und der Umbau längst fällig. Allerdings kann und muss man das kommunikativ geschickter machen. Das ist für mich noch so ein Beispiel dafür, dass der Weg in die Hölle mit guten Absichten gepflastert ist. Davon verstehen wir Grüne übrigens ziemlich viel ...

... spätestens seit 1998 die schrittweise Anhebung des Benzinpreises auf fünf Mark beschlossen wurde.

Auch so ein Elfmeter, der leider ins eigene Tor ging.

Und ausgerechnet beim Dauerbrenner Ehegatten-Splitting passiert das nicht?

Ziel muss es sein, das Leben mit Kindern generell zu fördern. Kinder, die mit Eltern ohne Trauschein oder mit nur einem Elternteil aufwachsen, dürfen dem Staat nicht weniger wert sein. Das ist doch ein von einem tiefen Gerechtigkeitssinn getriebenes Anliegen, das auch viele genau so sehen. Aber das Wichtige ist, diese Ungerechtigkeit zu verändern, ohne dass etwa Verheiratete mit geringem Einkommen schlechter dastehen. Da gibt es verschiedene Modelle, die wir uns zurzeit ansehen: etwa, nur für neugeschlossene Ehen neue Regeln einzuführen, also einen fairen Bestandsschutz zu vereinbaren. Oder die Möglichkeit, die Reform in längeren Zeitzyklen zu strecken. Das Anliegen muss erkennbar bleiben, und die Schritte müssen verkraftbar sein.

Oder es gibt die Möglichkeit, die Finanzierung von jenen zu holen, die nicht unter-, sondern überprivilegiert sind.

Ich glaube nicht, dass wir mit Sparen und Subventionsabbau allein auskommen werden, wenn wir unsere Infrastruktur nicht weiter verrotten lassen wollen. Breitband-Internet, elektrifizierte Eisenbahnstrecken, Straßenbrücken für den Schwerlastverkehr und Schulessen mit gesunden Produkten aus der Region haben ihren Preis. Und es gibt Menschen in diesem Land, die leichter dazu beitragen können als andere. Im Bundestagswahlkampf wollten wir zu viel auf einmal. Ich kenne viel Kollegen in der CDU, die heute sagen, wegen euch Vollnasen kommen wir nicht mehr weg von unserer Ablehnung einer Steuererhöhung. Dabei sehen doch alle, dass diese angebliche schwarze Null, die da im Bundeshaushalt präsentiert wurde, eine Fake-Veranstaltung ist. Das müssen wir klar machen, da müssen wir ran.

Was für ein Spagat: einerseits um Verständnis werben, die Leute mitnehmen wollen  und zugleich den eigenen Zielen treu bleiben.

Wir sind zum dritten Mal hintereinander in der Opposition. Wie die große Koalition den Status quo konserviert, wie sie das Geld unserer Kinder und Kindeskinder mit der Rentenreform vervespert und den Klimaschutz zugunsten der Kohlelobby opfert, will ich nicht nur aus der Opposition heraus kritisieren. Ich will dort nicht nur kluge Anträge schreiben, sondern in Regierungsverantwortung die Zukunft gestalten.

Das wollen alle.

Aber wir haben die richtigen Antworten auf die großen Zukunftsfragen. Und zeigen in den Ländern und den Kommunen, dass wir es können. An zentralen Stellen sitzen Grüne. Nächstes Jahr mit Hamburg hoffentlich sogar nicht mehr in acht, sondern in neun Landesregierungen.

Wie die Asyldebatte gezeigt hat, ist das auch keine Erfolgsgarantie.

Garantie sowieso nicht, aber eine gute Basis. Der Bundesparteitag hat doch gezeigt, was, zugegeben, nicht immer oder vielleicht sogar noch zu selten funktioniert: Wir sind e i n e Partei. Da gibt es nicht 16 Landesverbände, da gibt es nicht in Konstanz andere Grüne als in Flensburg. Dieses Verständnis, dass wir zusammen stehen, ob in der Regierung oder in der Opposition, dass wir zusammen gewinnen oder verlieren, und vor allem, dass wir thematisch voneinander profitieren, das ist ein Erfolgsrezept.

Noch ein Spagat, weil Regierung und Opposition doch unterschiedlich agieren muss?

Aber nicht thematisch. Wenn sich der baden-württembergische Ministerpräsident die Wirtschaftspolitik auf die Fahnen schreibt, wenn der Landesverband dazu moderne grüne Positionen verabschiedet, dann ist das kein Solitär. Sondern das zeigt den anderen, die in anderen Landesverbänden unterwegs sind, wie dieses Thema erfolgreich angepackt werden kann. Es fällt niemandem ein Zacken aus der Krone, funktionierende Rezepte zu übernehmen.

Wenn Mitregieren der Maßstab sein soll, drängt sich die Frage auf, ob die Grünen von heute noch radikal genug sind.

It's a progressive party, center-left, würde ich sagen, wenn ich Freunden aus den USA die Grünen beschreiben müsste. Wir tragen viele emanzipatorische Elemente in uns, die man gemeinhin als links bezeichnet. Es gibt liberale und natürlich auch wertkonservative Wurzeln. Aber vor allem stehen wir für das Jahrhundertthema Ökologie. Wenn man an die Sozialpolitik denkt, fällt einem die SPD ein, die radikalisierte Form davon ist die Linke. Wenn es um die traditionelle Wirtschaft geht, denken viele an die Union, die radikalisierte Form war die FDP und ist für manche nun die AfD. Keine dieser Parteien müssen wir fürchten oder kopieren. Wir Grünen bewegen uns von unserem Zentrum aus: Das ist die Ökologie.

Noch ein Versuch: TTIP und CETA, Islamischer Staat, der Zerfall ganzer Staaten, der riesige Reichtum in den Händen weniger, die Flüchtlingsströme, der Hunger, die gewaltigen Probleme mit Klima und Energiegewinnung  solchen und anderen Gefahren stellen sich pragmatische Grüne in den Weg, die vor allem das Machbare in den Blick nehmen wollen?

Langsam. Radikale Sprüche zu klopfen, das hat mich noch nie zufrieden gestellt. Ich will, dass unsere Erkenntnisse zu all den großen Fragen zur Anwendung kommen. Unser Wahlergebnis ist doch der Gradmesser dafür, wie stark bestimmte Themen die Gesellschaft gerade bewegen. Ein schlechtes grünes Wahlergebnis heißt, der Klimawandel ist aus dem Blick geraten, ein schlechtes grünes Wahlergebnis heißt, das Thema Datensicherheit ist nicht mehr so wichtig, ein schlechtes grünes Ergebnis heißt, die Energiewende könnte in Gefahr geraten. Das bedeutet für mich, wir müssen aus eigener Kraft stark werden und unsere Stärke dann in Koalitionsverhandlungen hebeln, um davon so viel wie möglich durchzusetzen.

Das klingt nach Retter der Welt. 

Ich habe diesen Anspruch nie aufgegeben. Die Gründe, warum ich in der Früh aufstehe und zur Arbeit gehe, sind im Grund dieselben, die mich mit 15 Jahren zu den Grünen geführt haben. Wir reden über dramatische Veränderungen, von Dürren, Ernteausfällen, Klimakriegen. Was heißt das für unsere Kinder, wenn sie so alt sind, wie wir jetzt? Wenn ich an die denke, muss ich alles Erdenkliche dafür tun, dass meine Generation ihre verdammte Pflicht erfüllt.

Warme Worte, die auf den Machterhalt zielen  so könnte das ein Teil der Wählerschaft sehen. Was tun mit jenen, die sich abgewandt haben?

Ich kämpfe um jede und jeden. Mir tut es immer leid, wenn jemand enttäuscht ist. Gerade auch in Stuttgart, das ist doch klar. Wenn ich über die Königstraße laufe, dann dauert das immer ein bisschen länger, weil es auf dem Weg viele Gespräche über Stuttgart 21 gibt. Die Enttäuschung der Leute über den Bahnhof ist auch meine eigene Enttäuschung. Wir haben es nicht geschafft, das zu verhindern. Wir haben auf keiner Ebene die nötige Mehrheit dagegen bekommen. Das ist eine Niederlage. Ich betrachte es auch als Niederlage, wenn wir es nicht schaffen, einen Konflikt wie den im Irak diplomatisch zu lösen. Es ist doch keine tolle Sache, Waffen an die Peschmerga zu liefern, sondern der Tatsache geschuldet, dass alles noch schlimmer wäre, würden wir es nicht tun. In der Politik gibt es nur sehr selten die Wahl zwischen megarichtig und superfalsch. Es ist immer ein Ringen um die beste Antwort. Politiker würden mehr Verständnis wecken, wenn wir darüber offener und öfter reden. Viele Entscheidungen, viele Kompromisse sind immer auch ein Kampf, Dinge in die richtige Richtung zu bewegen. Und da gibt es Niederlagen genauso wie Erfolge. Das ist wie im normalen Leben.


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6 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Frank
    am 14.12.2014
    Antworten
    Herr Özdemir mag noch sehr, zum x-ten Male, seine eloquenten, mit modischen Schlagworten ausstaffierten Wortteppiche ausrollen: er ist und bleibt ein Verkäufer, ein Verkäufer von Politik und Bürgern. Auf dieser Basis sind er und seine Partei vollkommen unglaubwürdig.

    Die real existierende Grüne…
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