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Ein todsicheres Geschäft

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Freund und Feind, Hitlers Gestapo und Stalins Geheimdienstler; auf allen Kontinenten sind Mauser-Waffen im Einsatz. Sie kennen weder Monarchie noch Republik, weder Demokratie noch Diktatur, weder Kommunisten noch Faschisten – sie kennen nur zahlende Kunden. Teil VIII unserer Serie "Der Weltkrieg im Südwesten".

"Mit Gott und Mauser!" kämpfen schon die Buren in Südafrika am Ende des 19. Jahrhunderts gegen die verhassten Briten. In deren Reihen dient Winston Churchill als junger Offizier. Auch er trägt eine Waffe vom Neckar, die Mauser-Pistole C 96.

Der Erste Weltkrieg macht die Kleinstadt am Oberlauf des Neckars dann zur boomenden Industriesiedlung. Binnen weniger Jahre vervierfacht sich die Zahl der Arbeiter bei Mauser auf 8000 Köpfe. Weit mehr als das Städtchen Einwohner hat. Der Waffenproduzent beherrscht alle und alles in Oberndorf.

So fühlt sich die "Waffenstadt" bei Kriegsausbruch zu besonderem Patriotismus verpflichtet; ein Redakteur wird angestellt, um eine "Kriegschronik" zu verfassen. Der Neckar wird verlegt, neue Brücken gebaut. Nur damit die Mauser-Werke erweitert werden können.

Im Eiltempo wird 1914 eine evangelische Kirche errichtet; nicht dass der deutsche Sieg vor Fertigstellung des Gotteshauses gefeiert werden muss! Bezahlt von Mauser, entworfen vom berühmten Stuttgarter Architekten Martin Elsaesser, steht sie heute unter Denkmalschutz.

Auch die Kriegsgegner bekommen ihre Waffen aus Oberndorf

Bereits nach einem Monat Krieg sind 14 Oberndorfer Soldaten tot. Möglicherweise erschossen mit Waffen aus heimischer Produktion. Denn auch die Belgier und die Serben – Kriegsgegner der Mittelmächte – haben ihre Heere mit Gewehren aus Oberndorf bestückt.

Schon Ende 1914 gibt es Engpässe bei der Versorgung, selbst im ländlich geprägten Neckartal. Der Schwarzhandel blüht.

Im Frühjahr 1915 wird der erste französische Flieger über der Stadt gesichtet. Anstatt ihre Keller aufzusuchen, rennen manche auf die Straße, um den Flugapparat besser zu sehen. Die wenigen Bomben richten so verheerenden Schaden an: acht Tote, eine unbekannte Zahl an Verletzten.

Die feindlichen Flugzeuge werden immer wieder kommen: bitterer Preis, eine "Waffenstadt" zu sein – seit mehr als hundert Jahren.

Der König von Württemberg lässt 1811 in Oberndorf eine Gewehrfabrik errichten. Der Neckar bringt Wasserkraft, der Schwarzwald Holz und Erz. Hier lernen die Brüder Wilhelm und Paul Mauser den Beruf des Büchsenmachers. Sie entwickeln eine damals revolutionäre Waffe: einen Hinterlader mit Schlagbolzen und Messingpatrone. 1871 führt das preußische Kriegsministerium diese Waffe als Standardgewehr ein. Drei Jahre später übernimmt Mauser die königliche Waffenfabrik; von Amerika bis Asien wird Mauser zum Synonym für Gewehr. 

Dem M 71 (Mauser-Gewehr 1871) folgt das deutlich verbesserte M 88 und schließlich das legendäre M 98 – für Liebhaber "eine Waffe von zeitloser Schönheit". Kein Wunder, dass der so gelobte Oldtimer noch heute vom Wachbatallion der Bundeswehr verwendet wird. Mehr als 100 Millionen Mauser-Gewehre werden in alle Welt verkauft. Für die Abnahmekommissionen von ausländischen Großkunden errichtet die Firma in Oberndorf eigene Bauten; so gibt es den Türkenbau und den Schwedenbau – heute ist dort das Waffenmuseum untergebracht.

Der Export bleibt über viele Jahre das tragende Geschäft bei Mauser. Ein Großauftrag des späteren Kriegsgegners Serbien bewahrt das Unternehmen – und damit Oberndorf – vor dem Ruin.

Mit der Pulverfabrik in Rottweil, der Metallpatronenfabrik Lorenz in Karlsruhe und der Gewehrfabrik Mauser entsteht bereits im späten 19. Jahrhundert ein mächtiger südwestdeutscher Rüstungsverbund – das Sagen haben freilich nicht mehr die Gründer und Tüftler, sondern die Banken.

Auch personell ist die Kriegsindustrie eng verflochten. Ein Beispiel: Paul von Gontard, Generaldirektor der Waffen- und Munitionsfabrik in Berlin, amtiert zugleich als Aufsichtsratsvorsitzender bei Mauser und bei Daimler. Sein Bruder – welch glückliche Fügung – dient dem Kaiser als Generaladjutant.

Da man allgemein mit einem kurzen Krieg rechnet, reihen sich auch im Rüstungssektor anfangs Pleiten, Pech und Pannen:

Zunächst werden bei Mauser, wie in anderen kriegswichtigen Betrieben, auch Fachkräfte zum Dienst an der Front eingezogen. Schon bald sinkt die Produktion wegen des Mangels an Arbeitskräften. Also holt man die Facharbeiter wieder zurück und schickt dafür andere, aus nicht kriegswichtigen Branchen – etwa der Schramberger Uhrenindustrie – in den Krieg.

So gibt es im Frühjahr 1915 allein in Württemberg 15 000 "Zurückgestellte" neben Mauser vor allem bei Daimler und den Flugzeugbauern in Friedrichshafen.

Freilich wird das Instrument der "uk"-Stellung (unabkömmlich) von den Betrieben auch zur Disziplinierung politisch unbotmäßiger Arbeiter benutzt; Klappe halten oder ab an die Front!

Da ist es doch besser, sechs Tage in der Woche 12 bis 13 Stunden täglich zu arbeiten.

Rüstungsarbeiter bekommen höhere Löhne und mehr Lebensmittel

Die Gewerkschaften können für die wichtigen Rüstungsarbeiter häufig Löhne durchsetzen, die in den Jahrzehnten danach nicht mehr bezahlt werden. Auch die Lebensmittelversorgung der Metallarbeiter ist meist besser als die einfacher Angestellter und Beamter.

Diese Vorteile aufseiten der Arbeiter sind allerdings marginal gegen die gigantischen Möglichkeiten ihrer Chefs. Trotz nach außen getragener "patriotischer Gesinnung" bereichern sich die Industriellen geradezu schamlos. Die Gewinnausschüttungen explodieren im Krieg; bei Mauser von fünf auf satte 20 Prozent.

Eine kleine Schicht von Kriegsgewinnlern kann sich selbst in den Hungerjahren alles leisten.

Ab 1915 nimmt der Fremdenverkehr wieder zu. In der Oberndorfer Kriegschronik heißt es: "Mit Verbitterung registrierte man, dass zahlungskräftigen Urlaubern im Schwarzwald nahezu alle gewünschten Nahrungs- und Genussmittel zur Verfügung standen, während die nicht privilegierten Schichten sehen mussten, wie sie satt wurden, und die Kinder in die Dörfer gejagt wurden, um Lebensmittel zu ergattern."

Im Lauf des Jahres 1917 sinken die Lebensmittelzuteilungen im Reich auf 1000 Kalorien; 750 000 Menschen verhungern; aber: Ein Drittel der verfügbaren Lebensmittel findet sich auf dem Schwarzmarkt wieder.

Selbst im ländlichen Oberndorf ist der Konflikt zwischen Stadt- und Landbewohnern deutlich spürbar. Während die Bauern Speck und Schinken horten, müssen die Oberndorfer Luftangriffe ertragen, die eigentlich den Mauser-Werken gelten. Immerhin, nach weiteren Todesopfern wird Anfang 1917 die Verdunkelung eingeführt.

Es gilt nun das "Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst": Arbeitspflicht für alle Männer von 17 bis 60 Jahren. Dazu steigt der Frauenanteil bei Mauser innerhalb von zwei Jahren von 200 auf 1500. So wird die Rüstungsproduktion aufrechterhalten.

Fürs Grobe gibt es dann noch die Kriegsgefangenen. Bei der Neckarregulierung werden Russen, später auch Franzosen eingesetzt.

Im März 1918 erreicht die Rüstungsproduktion in Württemberg ihren Höhepunkt. Sieben Monate später ist der Krieg vorbei; 125 Oberndorfer Soldaten und ein Dutzend Zivilisten haben ihn nicht überlebt.

Sowjetische Spezialeinheiten verlangen Pistolen aus dem Neckartal

Nach dem Versailler Vertrag werden Teile des Maschinenparks abgebaut, die Mauser-Werke jedoch nicht völlig geschlossen. Man versucht ein paar Jahre mit allerlei Friedensgerät Geld zu verdienen, Nähmaschinen und Messwerkzeugen. Obwohl sich die gut verkaufen, kehrt die Firma bald zum angestammten Geschäft zurück. Mauser-Pistolen, die sich besonders bei den Spezialeinheiten der neuen Sowjetmacht großer Beliebtheit erfreuen. Bereits 1925 wird das Standardgewehr M 98 wieder produziert. Ab 1935 brummt das todsichere Geschäft wie nie zuvor: Aufrüstung und Weltkrieg Nummer zwei.

1944 arbeiten 11 000 Menschen bei Mauser, die Hälfte davon Zwangsarbeiter. Selbst nach der bedingungslosen Kapitulation fertigen mehr als 2000 Arbeiter Gewehre für die französische Armee. Erst 1946 wird Mauser demontiert.

Auf dem Firmengelände siedeln sich in der Folgezeit ganz und gar harmlose Betriebe an: Kosmetik und Gardinen.

Nach der Währungsreform gründen Ex-Mauser-Mitarbeiter die Firma Heckler & Koch. Man versucht sich mal wieder mit Nähmaschinen, Schnitt- und Stanzwerkzeugen. Als 1955 die Bundeswehr entsteht und die Wehrpflicht wieder eingeführt wird, gibt das Unternehmen den zivilen Krimskrams wieder auf und entwickelt – na was wohl? – das Standardgewehr G 3. Damit beginnt im Kalten Krieg der Aufstieg zur Weltfirma mit bis zu 2000 Mitarbeitern.

Oberndorf, wenn man es bösartig formulieren wollte, hängt an der Waffe wie ein Junkie an der Nadel.

Manche, vor allem protetantische Kirchenmenschen, haben sich dagegen gewehrt.

Das hat den Managern in den drei verbliebenen Waffenfabriken gar nicht gefallen.

Sie sollten nicht weiter verschreckt werden. Die Kirchenleitung in Stuttgart versetzte einen altgedienten Militärpfarrer nach Oberndorf.

Wie war das noch? "Mit Gott und Mauser." So war das, und so wird das wohl noch lange bleiben.


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13 Kommentare verfügbar

  • Emil
    am 23.06.2014
    Antworten
    - zu tun haben -

    vergessen.
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