Nicht nur beschnuppert haben sich die beiden potenziellen Koalitionspartner nach den Worten von Ministerpräsident Winfried Kretschmann im ersten Gespräch. Nach mittlerweile drei Runden ist die Kennenlern-Phase insofern noch immer nicht abgeschlossen, als beide Seiten nicht bereit sind, sich die ungeschminkte Wahrheit ins Gesicht zu sagen: in der Schulpolitik, beim Umgang mit Asylbewerbern, dem Bau neuer Windräder, in Fragen des Bildungsplans, der Stellung der Familie oder der Akzeptanz sexueller Vielfalt. Stattdessen viel Lyrik über Atmosphäre, Vertrauen und Verantwortung. Aber was bringen Banalitäten wie die Erklärung, dass man gewillt sei, an international vereinbarten Klimazielen festzuhalten? Was auch sonst. Oder was sind Beteuerungen über das gemeinsame Festhalten an der Schuldenbremse wert, wenn die Schwarzen nicht einmal andeutungsweise erklären (müssen), wie ihre ganzen schönen Versprechen zu bezahlen sind?
Vor dem 13. März war alles anders. Keine Grünen-Wahlkampfrede ohne Klage über die fehlende Bereitschaft der CDU, zu verdeutlichen, wo die eine Milliarde für den Straßenbau, das Geld für 1500 zusätzliche Polizisten oder die 500 Millionen Euro für schnelleres Internet herkommen sollen. In Rage redete sich der Regierungschef, wenn er an ein eisernes Prinzip seiner Partei von Anfang an erinnerte: Für alle ihre kostenwirksamen Vorschläge kam die Gegenfinanzierung auf den Tisch. Die CDU hingegen, beschwerte sich Kretschmann, habe in den ganzen fünf Jahren seit dem Machtverlust nicht einen einzigen durchgerechneten Haushalt vorgelegt. Inzwischen hat er reichlich Kreide geschluckt, wie sich nach der zweiten Sondierungsrunde offenbarte. Er stellte die Konsolidierung des Landeshaushalts als Gemeinsamkeit heraus, die eine "sehr, sehr große Rolle" spiele. Was auch sonst, wo doch 2020 das Verbot der Nettokreditaufnahme für alle deutschen Länder, genannt Schuldenbremse, in Kraft tritt.
Kretschmann sagt nicht, wo die Widerhaken sind
Sondierungsgespräche sind keine Koalitionsverhandlungen. Vielmehr wurden sie Anfang der 1980er Jahre überhaupt nur deshalb eingeführt in den bundesrepublikanischen Politikbetrieb, um den Grünen die Sonderrolle einer Partei zuzuschreiben, die den Altvorderen in CDU und SPD erst einmal ihre Seriosität zeigen muss. Inzwischen gehört die Sondierung zum Ritual, zumal dann, wenn es um noch nie dagewesene Konstellationen geht. Ausgerechnet die Wahlgewinner selber deuten die Kontakte diesmal um in einen wenig fassbaren Austausch über Oberziele, über das große Ganze und die Zukunft als solche, statt klar an- und auszusprechen, wo die Widerhaken sind. Denn davon ist das schwarze "Regierungsprogramm 2016 bis 2021" mit dem klingenden Titel "Gemeinsam. Zukunft. Schaffen." übervoll.
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Blender
am 05.04.2016