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CSD im Taubertal

Neue Tradition

CSD im Taubertal: Neue Tradition
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Erst zum zweiten Mal feiert die queere Szene im Kurort Bad Mergentheim den CSD. Im vergangenen Jahr kamen ungebetene Gäste: junge Rechte. Auch dieses Jahr mobilisieren Rechtsextreme gegen Pride-Veranstaltungen in Baden-Württemberg.

Der Kurort Bad Mergentheim im fränkischen Nordosten Baden-Württembergs gilt mit fast 25.000 Einwohner:innen als die größte Stadt im Main-Tauber-Kreis. Mit Sehenswürdigkeiten wirbt die Kleinstadt, die sich seit 50 Jahren Große Kreisstadt nennen darf, um Touristen: Da gibt es das Rathaus aus der Renaissance-Zeit, Zwillingshäuser am Marktplatz im frühklassizistischen Stil, aus deren Dächern sich Fenstergauben erheben, und den sogenannten Milchlingsbrunnen, den eine Ritterstatue von Wolfgang Schutzbar (1483 bis 1566) ziert, im 15. Jahrhundert Hochmeister des Deutschen Ordens. Der aus den Kreuzzügen hervorgegangenen Deutsche Orden hatte zwischen 1525 und 1809 im Bad Mergentheimer Residenzschloss seinen Sitz.

Viel Geschichte und viel Tradition gibt's also im beschaulichen Städtchen. Und seit letztem Jahr versucht eine kleine Gruppe die historische Stadt um eine weitere Tradition zu bereichern: den Christopher Street Day (CSD). "Weil es bisher keine queeren Angebote gab", sagt Verena Reichenberger, habe sie sich mit ein Gleichgesinnten aus dem "Netzwerk gegen rechts" dazu entschieden, den CSD in Bad Mergentheim ins Leben zu rufen. "Einfach für die Sichtbarkeit." Die 33-jährige Sozialarbeiterin ist eine von nur einer Handvoll Leuten, die den CSD im Taubertal auf die Beine stellen. Der Auftakt letztes Jahr lief gut: Über 200 kamen zur Kundgebung, Regenbohnenfahnen und -fähnchen schmückten den Deutschordenplatz vor dem historischen Schloss. "Das hat unsere Erwartungen absolut übertroffen", sagt Reichenberger. Diesen Samstagabend, 14. Juni, geht der CSD in die zweite Runde, diesmal auch mit Pride-Parade durch die Stadt.

Dass der Einsatz für Sichtbarkeit und Gleichberechtigung von queeren Menschen nach wie vor von Relevanz ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen zu queerfeindlicher Gewalt: Die Beratungsstelle "Leuchtlinie" dokumentierte 2024 im Südwesten 19 Übergriffe – im Jahr zuvor waren es neun. Die Angriffe fänden vor allem im Wohnumfeld, aber auch bei CSD-Veranstaltungen und im Umfeld von Fußballspielen statt. Bereits in den Vorjahren häuften sich bundesweit die Gewalttaten gegen Queere.

Unwillkommene Gäste

Sich zur Wehr setzen, Diskriminierung und Gewalt nicht weiter hinnehmen – darin liegen die Wurzeln des CSD: In den 1960ern – die Weltgesundheitsorganisation listete Homosexualität noch als Krankheit – führte die Polizei in den USA regelmäßig Razzien in Schwulenbars durch, es kam zu Verhaftungen und Anklagen wegen "anstößigen Verhaltens", oft wurde die Identität von Schwulen öffentlich in der Presse verkündet – damals quasi Rufmord. Bis die queere Szene schließlich genug hatte. Als in einer Juninacht 1969 abermals Uniformierte in das Lokal "Stonewall Inn" in der New Yorker Christopher Street einliefen, setzten sich die Besucher:innen zur Wehr. Es flogen Flaschen und Steine, die Polizei musste sich zurückziehen.

Heutzutage ist die Situation eine andere: Homosexualität gilt nicht mehr als Krankheit, schwuler Sex und gleichgeschlechtliche Ehe sind in den USA sowie in den meisten europäischen Staaten erlaubt. Und so ist auch die Kultur rund um den CSD eine andere: Er ist nicht mehr nur Demonstrations-, sondern auch Festtag. Hedonismus statt Protest auf dem CSD, das Fehlen von kämpferischer Haltung und Wissen über die Ursprünge des CSD – das bedauert manch Kritiker innerhalb der queeren Szene. Den Veranstalter:innen in Bag Mergentheim sei "ganz wichtig, dass die Ursprünge nicht vergessen sind und wir uns daran erinnern", sagt Reichenberger. Feiern und kämpferische Haltung – "es braucht eine gute Mischung aus beidem". Niemand solle sich bei dem eher kleinen CSD in der ländlich geprägten Stadt ausgeschlossen fühlen.

Nicht willkommen dagegen waren vergangenes Jahr diese Zaungäste: etwa zwei Dutzend Jugendliche und junge Erwachsene, überwiegend männlich, die offensichtlich aus der rechten Szene stammten. Zwei von ihnen trugen T-Shirts mit der Aufschrift "Deutsche Jungs" – Merch der Bremer Rechtsrockband "Kategorie C". Parolen hätte der junge rechte Trupp nicht gerufen, erinnert sich Reichenberger. Zwei aber seien in die Pride-Veranstaltung gelangt und hätten dort eine Deutschlandfahne mit Schriftzug "Königreich Württemberg" ausgepackt, wurden aber von der Veranstaltung verwiesen.

Die Möglichkeit, dass Rechte den CSD stören könnten, hatte man bei der Planung vergessen, sagt Reichenberger. Dieses Jahr sei man gewappnet, habe mit der Polizei und dem Ordnungsamt ein Konzept abgesprochen, sollte es wieder Störungen geben. Die Behörde selbst werde aber nur mit vier Beamt:innen vor Ort sein, sei den Veranstalter:innen mitgeteilt worden – ähnlich wenige wie letztes Jahr.

"Störtrupp" mobilisiert nach Pforzheim

Deutschlandweit traten rechtsextreme Jugendgruppen bei CSD-Gegenveranstaltungen vergangenes Jahr verstärkt auf den Straßen in Erscheinung. Mobilisiert und vernetzt haben sich die jungen Rechten aber im Netz. Die gemeinnützige Organisation "Center für Monitoring, Analyse und Strategie" zählte in 27 Städten Anti-CSD-Proteste im Sommer 2024, die Amadeu-Antonio-Stiftung spricht von 55 Fällen im vergangenen Jahr, "in denen rechtsextreme Gruppen gezielt CSD-Demos, deren Teilnehmende sowie die Infrastruktur rund um die Veranstaltung gestört, bedroht und angegriffen haben".

Auch dieses Jahr mobilisieren rechtsextreme Gruppen im Netz ihre Follower:innen gegen CSD- und Pride-Veranstaltungen. "Wir feiern im Juni nicht den Christopher Street Day – wir feiern Deutschland", schreibt beispielsweise die "Zollernjugend" und greift damit den von Rechten ins Leben gerufene Gegenentwurf zum Pride Month auf, den "Stolzmonat". Und der "Störtrupp", welcher Ende März bei der Stuttgarter Demo "Gemeinsam für Deutschland" mit schwarzer Einheitskleidung und rechten Parolen auf sich aufmerksam machte (Kontext berichtete), mobilisiert zu einer Kundgebung gegen den Pforzheimer CSD, der ebenfalls am 14. Juni stattfindet. Für Reichenberger ist der rechte Demoaufruf nach Pforzheim allerdings auch ein Lichtblick: Da groß nach Pforzheim mobilisiert werde, habe sie Hoffnung, dass dieses Jahr keine Rechten in Bad Mergentheim auftauchen. Eine Gegenveranstaltung sei nicht angemeldet, bestätigt ein Sprecher der Stadt.

Immerhin: Oberbürgermeister Udo Glatthaar sowie Landrat Christoph Schauder, beide CDU, unterstützen die Pride-Veranstaltung in Bad Mergentheim. Bürgermeisterstellvertreter Rainer Moritz vertritt Glatthaar beim diesjährigen CSD, vergangenes Jahr war die Stellvertreterin Manuela Zahn vor Ort und nannte die Veranstaltung "ein Zeichen der Vielfalt unserer Stadt". Weil Landrat Schauder terminlich verhindert ist, vertritt ihn dieses Jahr sein Sprecher Markus Moll. "Weltweit und auch hierzulande gibt es politische Strömungen, die bereits Erreichtes rückgängig machen wollen. Deshalb ist es der Landkreisverwaltung wichtig, die Veranstaltung erneut zu unterstützen und für Akzeptanz und Vielfalt einzutreten", schreibt er auf Kontext-Anfrage. Die Zeichen stehen gut, dass in dieser historischen Kleinstadt der CSD zur Tradition wird. Dazu wollen die Organisator:innen einen Verein gründen, auch um ganzjährig ein Angebot zu schaffen, sagt Reichenberger. "Dafür brauchen wir aber einfach mehr Menschen, die sich beteiligen."

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