Das Amtsgericht Stuttgart entscheidet in diesen vier Fällen, dass Ernest Petek ein Bußgeld zahlen muss. Dagegen legt er Widerspruch ein, allerdings ohne Erfolg. Am Ende handelt es sich um insgesamt 350 Euro für vier Fälle. Der Tübinger Rechtsanwalt Wolfram Leyrer, der ihn in der Angelegenheit vertreten hat, erklärt: "Vor dem Amtsgericht habe ich ausführlich die rechtliche Lage dargelegt und aufgezeigt, dass die Polizei damals rechtswidrig handelte." Das Gericht folgte allerdings der Staatsanwaltschaft und verhängte das Bußgeld. Damit hat es "die Augen vor dem Grundrecht verschlossen", sagt Leyrer. Eine Rechtsbeschwerde gegen das Urteil lässt das Oberlandesgericht nicht zu: Das verhängte Bußgeld sei zu gering.
Ernest Petek weigert sich allerdings weiter, die Bußgelder zu zahlen. Deshalb verhängt das Vollstreckungsgericht sieben Tage Erzwingungshaft. Pro 50 Euro ein Tag. Die Haft soll Petek im Januar 2015 antreten. Tut er aber nicht. Stattdessen legt er wiederum Widerspruch ein. Was er nicht weiß: Am 13. Mai 2015 stellt das Vollstreckungsgericht einen Vorführungsbefehl aus. Ernest Petek wird jetzt polizeilich gesucht, um ihn hinter Gitter zu bringen.
Unabhängig von den Prozessen gegen Ernest Petek reichen die damaligen Demonstranten um den bundesweit bekannten Aktivisten Holger Isabelle Jänicke in einem der Fälle beim Verwaltungsgericht Fortsetzungsfeststellungsklage gegen das Vorgehen der Polizei ein. Mit einer solchen Klage strebt der Kläger an, dass ein Gericht nachträglich die Rechtswidrigkeit eines bereits erledigten Verwaltungsakts feststellt. Am 20. Februar 2015 urteilt das Verwaltungsgericht: Das damalige Verhalten der Polizei war rechtswidrig. Sie hätte die Blockadefrühstücke als durch Paragraf 8 des Grundgesetzes geschützte Versammlung anerkennen und behandeln müssen und nicht nur als reine Verhinderungsblockade.
Dieses Verfahren bezieht sich auf einen der Fälle, in denen Ernest Petek ein Bußgeld zahlen soll. Die anderen drei Fälle sind identisch gelagert. "Ich habe gedacht, mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts haben sich die vier Bußgeldverfahren für mich erledigt. Und natürlich auch die Erzwingungshaft. Schließlich hat das Referat Recht und Datenschutz des Polizeipräsidiums (PP REDAS) selbst die Rechtswidrigkeit anerkannt." Allerdings bezieht sich das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht auf das Verfahren am Amtsgericht gegen Petek. Nur der Ausgangspunkt ist derselbe.
Plötzlich wird Petek in Gewahrsam genommen
Als Ernest Petek Ende Mai aus dem Urlaub zurückkommt, erfährt er von den Nachbarn, dass die Polizei ihn zu Hause gesucht habe. Er stellt keinen Zusammenhang zu der Erzwingungshaft her, sondern geht davon aus, dass die Beamten ihn in einer anderen Angelegenheit sprechen wollten. Denn besagte Bußgeldverfahren sind weder die ersten noch die einzigen Verfahren, die gegen den Aktivisten laufen. Unter anderem war er kurz zuvor in zwei anderen Fällen (Nötigung und Hausfriedensbruch) zusammengefasst zu 20 Tagessätzen à 10 Euro verurteilt worden.
Am Samstag den 30. Mai steht Petek auf der Polizeiwache, um nachzufragen, worum es denn gegangen ist bei diesem Hausbesuch. Bis dahin denkt er noch, der hänge mit Sicherheit mit Nötigung und Hausfriedensbruch zusammen. Die Beamten allerdings zeigen ihm den Vorführungsbefehl und nehmen ihn in Gewahrsam.
Rechtsanwalt Leyrer legt gegen die Vollstreckung Widerspruch ein – vergeblich. "Man kann sagen, der Staat hat in Kenntnis dessen, dass das Verfahren rechtswidrig war, das Urteil vollstreckt." Ganz anders sieht das Claudia Krauth von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft: "Manchmal bewerten verschiedene Gerichte denselben Sachverhalt unterschiedlich. Wenn ein Urteil des Amtsgerichts rechtskräftig ist, kann das Verwaltungsgericht da nicht mit einem eigenen Urteil in die Entscheidung reingrätschen. Solch einen Automatismus gibt es nicht."
"Innerlich war ich bereit, mein Leben dagegenzustellen"
Mit seiner Unterbringung in der Polizeizelle beginnt Ernest Peteks Hungerstreik. Das Abendessen lässt er stehen. So hat er es sich vorgenommen, als die Wahrscheinlichkeit eines Gefängnisaufenthalts immer realer wurde. Als die Anti-Bahnhofs-Proteste im Jahr 2010 hochkochten und die Polizei hart gegen die Demonstrierenden vorging, war Petek klar: "Die wollen uns einschüchtern. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Wenn die mich irgendwann ins Gefängnis bringen, werde ich mit einem Hungerstreik antworten. Innerlich war ich bereit, mein Leben dagegenzustellen."
Am Sonntag wird Petek mit zwei anderen Männern nach Stammheim gebracht. Einem jungen Kerl legen die Polizisten Fußfesseln an, Petek und den Dritten im Bunde fesseln sie aneinander. Damit sie nicht fliehen. Der S-21-Gegner war noch nie im Gefängnis, die Situation ist fremd und unangenehm. "Klar versteh ich, dass die uns fesseln. Das ist wahrscheinlich das normale Vorgehen. Aber trotzdem fühlt man sich da gedemütigt." Im Kastenwagen geht's dann zum Knast. Dort beginnt das Erfassungsprozedere. "Ich musste mich nackt ausziehen, alle meine Sachen kamen in einen großen Sack." Als Häftling trägt man Einheitslook. Petek ist ein schmächtiger Mann, der graubraune Overall schlabbert an allen Enden.
Als ihm zur Anstaltskleidung auch Geschirr ausgehändigt wird, sagt er: "Das brauch ich nicht, ich bin im Hungerstreik." Das Geschirr muss er trotzdem mitnehmen. Eine Anstaltsärztin rät ihm, unbedingt viel zu trinken, um seinem Körper nicht zu schaden. Petek ist in einer Viererzelle untergebracht. Seine Zellengenossen überlassen ihm ihren Kaffee, damit er wenigstens eine kleine Energiezufuhr hat. "Die haben mich gut unterstützt." Petek liegt viel, spart Energie. Aber er ist auch froh über die tägliche Stunde Hofgang. Denn viel zu tun gibt es nicht im Gefängnis. Zweimal die Woche dürfen die Häftlinge duschen, ein weiteres Highlight.
Am Dienstag besucht ihn seine Tochter. "Warum können deine Enkel nicht einen normalen Opa haben?", fragt sie ihn. Dabei macht er das alles – die S-21-Proteste, die Weigerung zu zahlen, den Hungerstreik – doch nur für die, sagt er. "Für die Zukunft." Denn mit dem Tiefbahnhof werde etwas gut Funktionierendes zerstört. "Die Milliarden zahlen am Ende meine Enkel und müssen mit den Folgen leben. Wenn weniger Züge fahren können, fahren noch mehr Menschen auf der Straße."
20 Tage länger in Haft – oder zahlen
Die Tochter sorgt sich allerdings weniger um eine abstrakte Gefährdung in der Zukunft, sondern vielmehr um den sehr konkreten Gesundheitszustand ihres Vaters. "Ich musste meiner Tochter versprechen, dass ich meinen Hungerstreik nicht nach der Haft fortsetze." Das hatte Petek ja auch nicht vor, und bei Haftantritt ging er davon aus, dass er nach sieben Tagen wieder entlassen würde. Doch dann kommt alles ganz anders: Am Freitagvormittag ruft eine Sozialarbeiterin der JVA ihn zu sich ins Büro: Die Staatsanwaltschaft hat per Fax eine Haftverlängerung um 20 Tage verfügt. Hierbei handelt es sich um eine Ersatzfreiheitsstrafe, jetzt wiederum für die Verfahren zu Nötigung und Hausfriedensbruch.
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Ernest Petek
am 11.03.2022Ganz anders sieht das Claudia Krauth von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft: "Manchmal bewerten verschiedene Gerichte denselben…