Am 12. April 1968 wurde der Esslinger Bechtle-Verlag berühmt. Demonstrant:innen waren vor seine Tore gefahren, viele mit einem 2 CV, und skandierten: "Bechtle, Bechtle, Springerknechtle!" Unter ihnen der Kulturchef der "Stuttgarter Zeitung", Hellmuth Karasek, und Peter Palitzsch, der Direktor des Stuttgarter Schauspiels. Alle waren aufgebracht und entsetzt ob des Mordanschlags auf Rudi Dutschke, den sie in einer direkten Verbindung mit den Presseerzeugnissen des Axel-Springer-Verlags sahen. "Bild schoss mit", riefen sie, und diese Bildzeitung wurde hier an der Zeppelinstraße in Oberesslingen gedruckt.
Das waren sehr aufgeregte Zeiten damals, insbesondere für Axel Cäsar Springer, den Eigentümer des Konzerns, der sich seines Lebens nicht mehr sicher wähnte und aus Berlin flüchtete. Und hier kommt der legendäre Verleger Otto W. Bechtle ins Spiel, mit dem Beweis einer echten Männerfreundschaft: Er räumte sein Schlafzimmer für Axel. Für den Bechtle-Verlag, der die "Eßlinger Zeitung" (EZ) herausgibt, sollte die Männerfreundschaft Gold wert sein. Der Druck der Bildzeitung spülte dem Unternehmen über Jahrzehnte Millionen in die Kasse, das Boulevardblatt schien unkaputtbar zu sein, aber irgendwann war das "Organ der Niedertracht" (Max Goldt) auch keinen Kampfeinsatz mehr wert. Der Absturz der Auflage tat ein Übriges dazu. Und dann war Schluss: Nach 58 Jahren, im Juni 2021, teilte Springer mit, man werde den Druckauftrag für "Bild" und "Bild am Sonntag" zum Jahresende auslaufen lassen.
Die Bechtle-Tochter hat unter Tränen verkauft
Der Verleger-Tochter Christine Bechtle-Kobarg hat das nicht mehr weh getan. Sie hatte den Familienbetrieb 2016 an die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) verkauft, unter Tränen, wie damals berichtet wurde, weil sie zum einen stets das "Wohl der Belegschaft" im Auge hatte, und zweitens keinen geeigneten Nachwuchs in der Verwandtschaft gefunden habe. Noch ein Jahr zuvor hatte sie zwecks Arbeitsplatzsicherung erfolgreich um den Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld geworben – damit eine neue Druckmaschine angeschafft werden konnte.
Für die neuen Eigentümer ist das alles Geschichte. Ohne Bedeutung. Sie kennen nur ihre Zahlen, und die sind schlecht. Die SWMH-Tochtergesellschaft Medienholding Süd (MHS) weist ein negatives Gesamtergebnis (EBITDA) aus, Umsätze und Werbeerlöse sinken, Papierpreise steigen, und dazu noch den Verlust des "Bild"-Auftrags. Ebenfalls dramatisch zurückgegangen sind die Auflagen der zur MHS gehörenden Zeitungen (StZ, StN, EZ, Böblinger Bote), deren Gesamtzahl in den vergangenen zehn Jahren von 222.000 auf 134.000 geschrumpft ist. Das erhöht den Spardruck und die Lust am Heben von Synergieeffekten.
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