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Wohnen am Anschlag

Wohnen am Anschlag
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Das hübscheste Werbegeschenk auf der Immobilien-Messe ist der Fruchtgummi in Häuschenform. Es gibt ihn in diversen Farben, der rote schmeckt fruchtig-süß und etwas säuerlich im Abgang. Für die Bitternote sorgen die Preise für Häuser und Wohnungen, die am vergangenen Wochenende im Haus der Wirtschaft zum Süßkram gereicht werden.

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Dass in Stuttgart mittlerweile schon Bruchbuden zu horrenden Preisen vermietet und verkauft werden, ist nichts Neues. Auch nicht, dass sich die Immobilienpreise in ganz Deutschland derzeit in völlig gesponnenen Sphären bewegen. Das ganze Elend aber geballt zu besichtigen, das hat schon Event-Charakter.

Da gibt es eine Dreizimmerwohnung in Fellbach mit Balkon und Garage, Baujahr 1962, Kostenpunkt 249 000 Euro. Oder ein Einfamilienhaus, Baujahr 1977, 200 Quadratmeter Wohnfläche, 600 Quadratmeter Grundstücksfläche, in Schönaich bei Böblingen für schlappe 925 000 Euro. Eine Million für ein stinknormales Haus mit Garten, in einem Ort, in dem man an Samstagnachmittagen schon lange suchen muss, wenn man einen Kaffee trinken will. Ein vergleichbares Objekt wird in Weil im Schönbuch zum ähnlichen Preis angeboten. Weil im Schönbuch liegt zwischen Holzgerlingen und Bebenhausen, immerhin mit Anschluss an die Schönbuchbahn und ganz hübsch zwischen Wiesen und Feldern, aber trotzdem noch in der ehemals günstigen Peripherie. Tempi passati.

Horrende Immobilienpreise auch in Gärtringen, schön ländlich gelegen Richtung Herrenberg zwischen Ehningen und Nufringen. Ja, der Landkreis Böblingen mit seinen Daimler-Zulieferern und vielen gut bezahlten Arbeitsplätzen sei halt teuer, sagt ein Makler am Stand von Bärbel Bahr. 

"Mondpreise", nennt es Nadine Fischer. Sie hat ihren Stand ganz hinten rechts und macht Homestaging, wertsteigernde Oberflächenbehandlung für mehr oder weniger runtergewohnte Immobilien. Hier eine neue Tapete, da ein neuer Boden, Möbel in leere Räume, Farbe, Blümchen auf den Tisch, schon sieht's nach Eigenheim aus. Einmal hatte sie eine Immobilie, die sei zwei Jahre nicht verkauft worden und dann – mit Homestaging – zack, war sie innerhalb von zehn Tagen weg. Fischer blättert in einem Hochglanzkatalog mit grandiosen Fotos von grandiosen Häusern. Kürzlich habe sie gehört, dass sich am Bodensee nicht mal mehr der Oberarzt ein Haus leisten könne, sagt sie. "Na, wer denn dann? Russische Oligarchen? Was machen dann die Oberärzte? Oder die, die keine Oberärzte sind?"

Ein Hoch auf den Pool im Garten

"Zuhause in der Region", heißt der "Ratgeber", den die Veranstalter ausgelegt haben. Oder "Standort, das Immobilienmagazin für Stuttgart und die Metropolregion". Titelgeschichte: "Kapitalanlage Garten", bebildert mit Hochglanz-High-Class Häusern, weiß, strahlend im Sonnenlicht, mit riesigen, hellgrünen, mindestens englisch geschnittenen Rasenflächen und mit in Form getrimmten Bäumchen. "Auch Wasser als Gestaltungselement oder zum Schwimmen ist wieder im Kommen" steht da unter einem Poolbild mit Villa. Auf einem anderen Foto schaukelt ein kleines Holzboot sanft auf den Wellen des hauseigenen Sees. Wär's nicht ernst gemeint, könnte man das Ganze für Satire halten.

Denn kaum ein innenpolitisches Thema wird derzeit so brennend heiß und dringlich diskutiert, wie das Wohnen, vor allem das für arme und normalverdienende Menschen erschwingliche Wohnen. Die Vereinten Nationen haben das Wohnen sogar als Menschenrecht definiert, Mieterverein und Initiativen kämpfen für günstigen Wohnraum, der immer knapper wird, selbst die SPD im Stuttgarter Stadtrat steht mit einem Fünf-Punkte-Plan auf der Matte und wünscht sich einen "Neustart in der städtischen Wohnungspolitik".

An einem Stand in der Mitte wird hinter einem Haufen Kugelschreibern eine Einzimmerwohnung in Heimsheim angeboten, Nähe Porsche-Zentrale, 35 Quadratmeter, 750 Euro Warmmiete. Oder eine in Böblingen, derzeit Zuzugsort Number one, 111 Quadratmeter, Dachgeschoss, 1450 Kaltmiete, 240 Euro Nebenkosten. Solche Angebote würden sich ja auch nicht an die Leute richten, die von der Hand in den Mund leben, sondern an Durchschnittsverdiener", sagt einer der Makler. "3500 Euro nach Steuern im Monat ist Mittelstand."

Der Place-to-be scheint derzeit Renningen im Heckengäu zu sein, jwd aber dennoch sehr teures Pflaster. Seitdem Bosch da seinen Forschungscampus hingestellt hat, haben sich die Mieten und Verkaufspreise verdoppelt. Ungeachtet übrigens der verordneten Mietpreisbremse, die so gut wie überhaupt kein Gas rausnimmt, weil Vermieter dagegen verstoßen und Mieter nicht klagen. In Renningen! Wer sich da auskennt, muss zwangsläufig den Kopf schütteln.

Die Wohnung als Statusobjekt

Ein, man möchte bitte schreiben "erfahrener Marktteilnehmer", seit 2001 im Geschäft, sagt: "Die Preise sind am Anschlag, die gehen nicht mehr höher." Man merke in der Branche, sagt der Mann im dunklen Jackett, dass noch teurer vor Käufern und Mietern nicht mehr zu vertreten sei. Den Immobilienmarkt bestimmen Angebot und Nachfrage, sagt er. "200 000 Wohnungen fehlen in Stuttgart. Egal wer die baut, ob von privat oder der Stadt, dann gehen die Preise wieder runter." Bloß: "Wenn die Politik Energiesparverordnungen erlässt, Fahrradstellplätze fordert, oder Gentests an Eidechsen, die auf dem Baugrund rumlaufen, wird's halt teuer." Er verdreht die Augen. Gentests an Eidechsen, mannomann.

"790 000 Euro für 69 Quadratmeter", raunt eine junge Messebesucherin ihrem Mann zu und bohrt den Finger in die Stirn. Wer zum Teufel wohnt in so einer Bude? "Ein Manager, der sich ein High-End-Leben in Stuttgart leistet. Der reiche, alleinstehende Sohn", sagt Harald Wegmann von Bietigheimer Wohnbau. Hinter ihm am Stand hängt eine Visualisierung des Prestigeobjekts Haußmannstraße: viel grau, viel Glas von vorne, von hinten hat es etwas von einer netten Altersresidenz. Wegmann zählt die Ausstattung der vornehmen Bleibe auf: Videosprechanlage, Parkett, Echtholzdielen, elektronische Jalousien, guter Energiestandard, mit zugegeben grandiosem Blick über die Stadt und außerdem nur wenige Meter entfernt vom Eiscafé Pinguin, das hat's sogar ins Exposé geschafft. Die Hälfte der Luxusimmobilie, sagen die Experten am Stand, sei schon verkauft. "Die teuren Wohnungen gehen immer am schnellsten weg. Nicht weil es Wohnungen sind. So was ist ein Statusobjekt."

Hengstler-Immobilien haben sich auf den Umzug mit Pferd spezialisiert. Dort gibt es Gestüte, Höfe, Stallungen oder auch einen ganzen Reiterhof mit Clubhaus, Reithalle, Longierplatz und 80 Pferdeboxen. Kosten – nahezu eine Erholung fürs Gehirn – dreieinhalb Millionen. Da stimmt wenigstens das Preis-Leistungsverhältnis. Bloß: Was will man mit einem Reiterhof?


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1 Kommentar verfügbar

  • Schwabe
    am 28.03.2017
    Antworten
    Jeder wohnt (irgendwie), doch das Thema scheint niemanden zu interessieren. Jedenfalls nicht so sehr das es einen Leserkommentar wert ist.
    Vielleicht denken sich die meisten "Scheiße, ich will auch so wohnen" oder "Mittelstand 3.500 € Netto im Monat - scheiße, dann gehöre ich nicht dazu" und…
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