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Lautes Schweigen

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Dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags sind neue Informationen zur Anwesenheit von Geheimdiensten auf der Heilbronner Theresienwiese am Tag der Ermordung von Michèle Kiesewetter angeboten worden. Von einer Rechtsanwältin, die allerdings wichtige Auskünfte verweigerte.

Die Aufklärungsarbeit der baden-württembergischen Parlamentarier in inzwischen zwei Ausschüssen ist um eine Episode reicher. 2009 wollte ein nicht näher beschriebener Informant der Strafverteidigerin Ricarda Lang mit zahlreichen Mandaten aus dem Spektrum des islamistischen Terrors auf einen zentralen Fehler in der Arbeit der Heilbronner Ermittler hinweisen. Und zwar, so Lang vor dem Ausschuss am Anfang der Woche, dass nicht die damals gesuchte geheimnisvolle Frau die Täterin gewesen sei, "sondern dass es dort um eine Waffenübergabe ging". Wenig später erwies sich die gesuchte Frau als Phantom: Die ihr zugeschriebenen Spuren von diversen Tatorten in mehreren europäischen Ländern waren von verunreinigten Wattestäbchen verursacht worden, die die Polizei verwendet hatte.

Obwohl zuvor Sonderkommissionen und Staatsanwälte in mehreren europäischen Ländern in dieser Sache unterwegs waren und es eine breite Presseberichterstattung über die vermeintliche Mörderin gab, will Lang bei ihrem Informanten nicht nachgefragt haben. "Ich bin immer unter Zeitdruck", sagt sie zur Begründung. Dass sie "nicht gern plaudere", und dass sie diese überraschende Mitteilung ihrer Quelle damals, "entschuldigen Sie bitte, nicht so sehr interessiert" hat.

Bekommen hat die gebürtige Oberhauserin die brisante Information im Februar 2009. Also kurze Zeit, bevor die DNA-Verunreinigung bekannt wurde. Weiter vertiefen mochte sie ihr Wissen nie, wiewohl sie ihre "Quelle", wie sie ihren Informanten nennt, regelmäßig zwei bis drei Mal im Jahr trifft, zum "Geben und Nehmen in unterschiedlichen Komplexen". Fast zwölf Jahre später, im Januar 2017, rät ihr Ulmer Anwaltskollege Manfred Gnjidic, sich an den Untersuchungsausschuss zu wenden, aus "Bürgerpflicht". Und sie zieht aus ihren so lange brachliegenden Kenntnissen eigene Schlüsse, bringt in einer Mail an den Ausschuss den Namen Mevlüt Kar ins Spiel, der am Tattag auf der Theresienwiese gewesen sein könnte. In ihrer Vernehmung rudert sie zurück, den Namen will sie nicht wiederholen. 

Langs vermeintliche Quelle arbeitete für mehrere Seiten 

Mevlüt Kar ist türkischer Staatsbürger mit Geburtsort Ludwigshafen und gelernter Schweißer. Vorübergehend lebte er in Freiburg, inzwischen ist er wieder in der Türkei, sein Vater soll ein hohes Tier bei der Istanbuler Polizei sein. Er arbeitete als Spitzel für mehrere Seiten, saß vorübergehend in Haft. Im Sommer 2004 kam er in Istanbul in Kontakt mit Fritz Martin Gelowicz, ein Jahr später mit <link http: www.kontextwochenzeitung.de politik geheimdienste-im-fokus-4010.html _blank external-link>Attila Selek – beide hat der Ausschuss schon als Zeugen gehört. Eine Terrorzelle wurde aus der Taufe gehoben, später bekannt als "Sauerland-Gruppe", ein Trio, das Anschläge in Deutschland plante, aber aufflog, bevor man zur Tat schreiten konnte. Vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf, das die Extremisten 2010 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilte, vertrat Lang, die kein Problem damit hat, wenn ihr Mandanten aus religiösen Gründen nicht die Hand geben, den selbsternannten Gotteskrieger Adem Yilmaz.

Die ominöse Quelle hatte von einem Türken gesprochen. Lang, die zwischen 2001 und 2004 als Verteidigerin in der Sat1-Serie "Richter Alexander Hold" auftrat, hat von sich aus und Dank ihres Sauerland-Wissens auf Kar geschlossen. Spitz gibt sie dem Ausschuss den Tipp, doch selber herauszufinden, wer ihre "Quelle" sei, sie selbst jedenfalls werde dessen Namen "nie und nimmer nennen, selbst wenn Sie mich zwingen wollen". Auch könne sie über nichts aussagen, was sie im Zuge des Sauerland-Verfahrens erfahren habe.

Kar war der Verbindungsmann des Trios zu Al-Qaida und hat den Ermittlungen zufolge die Sprengzünder besorgt. Als die Zelle 2007 im Sauerland aufflog, wurden 26 Zünder sichergestellt. 20 waren laut Bundeskriminalamt in Schuhsohlen eingeklebt aus der Türkei nach Deutschland geschmuggelt worden. Im Düsseldorfer Verfahren kam Kars Doppelrolle zur Sprache. "Gelegentlich" so zitierte der "Spiegel" Attila Selek, "sei er bei Zusammenkünften für eine Stunde verschwunden, offenbar, um Ermittler zu treffen. Einmal sei K. nach einer Unterbrechung zurückgekehrt und habe plötzlich gewusst, dass die deutschen Behörden gegen eine Gruppe von Islamisten ermittelten." 

Dokumentiert ist auch die Übergabe dieser Zünder. Sechs davon, die Kar aus dem Kosovo besorgt hatte, sollen am 3. August 2007 in Mannheim an Fritz Gelowicz übergeben worden sein, die restlichen am 26. August 2007 in Braunschweig. Gelowicz und Selek haben dies dem Ausschuss im Zeugenstand bestätigt. Dass Ricarda Lang jetzt trotzdem wieder die Theresienwiese und den Kiesewetter-Mord ins Spiel brachte, hängt unter anderem mit "Stern"-Veröffentlichungen aus dem Jahr 2011 zusammen. Dem Magazin waren bis heute umstrittene Unterlagen zugespielt worden, nach denen sich Mevlüt Kar am Tattag in Heilbronn aufhielt, und die seine Überwachung durch nur zwei US-Beamte und zwei Verfassungsschützer aus Bayern oder Baden-Württemberg belegen lässt. Während die vier Männer Mevlüt K. beobachteten, seien sie Zeugen der Bluttat geworden, heißt es auch in dem von Andreas Förster herausgegebenen, 2014 erschienenen Buch <link http: www.kontextwochenzeitung.de debatte aufklaerungsdesaster-nsu-2235.html _blank external-link>"Geheimsache NSU".

Ignorieren Behörden und U-Ausschuss die Agenten-Spur?

Wie Gnjidic schrieb auch Rainer Nübel, der "Stern"-Autor, an dem Buch mit. Unter anderem wirft er in einem Kapitel dem Südwestrundfunk (SWR) vor, sich zum Handlager der Bundesanwaltschaft gemacht zu haben. "Fassungslos starre ich auf den Bildschirm", so Nübel, "vier Jahre lang hatte ich Spuren verfolgt, Hinweise gesammelt. Und nun stand da plötzlich das Wort 'Fälschung'. Es sollte nicht die einzige seltsame Episode in einem Stück bleiben, das sich um den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter dreht, und das gleichzeitig eine merkwürdige Strategie von Ermittlungsbehörden offenbart, die einzelne Medien transportieren." Bis heute lastet Nübel den Behörden, dem Ausschuss und speziell dessen Vorsitzenden Wolfgang Drexler (SPD) an, der Agenten-Spur nicht ernsthaft nachzugehen. Die Parlamentarier weisen diese Kritik zurück unter Berufung auf die bisher dazu gehörten vier Zeugen: Von ihnen habe es keinerlei Hinweise auf die Anwesenheit von Agenten am Tatort gegeben. 

"Geheimschutz ist Täterschutz" ist eines jener Schlagworte, das der Aufklärungsarbeit – nicht nur in Baden-Württemberg – regelmäßig entgegengehalten wird, wenn es um unter Verschluss stehende Berichte des Bundesnachrichtendienstes geht oder um Zeugen, die nur anonym in einem Nebenraum vernommen werden, wenn es darum geht, dass nicht auf den Tisch kommt, was Beamte alles wissen. Im Falle von Ricarda Lang drehte sich die Argumentation allerdings schlagartig: Die Anwältin, die mit den Begriffen "engagiert, spezialisiert, vertrauenswürdig, kämpferisch" für ihre Münchener Kanzlei wirbt, soll auf einmal schweigen dürfen. Unter anderem, weil sie sich selbst gemeldet hat und weil sie – was allerdings seit Mitte Januar nicht zustande gekommen ist – "gerne Kontakt mit dem Hinweisgeber aufnehmen will, um zu klären, ob dieser zu einer Aussage bereit ist."

Der Ausschuss reagierte unmissverständlich und beschloss mit den Stimmen aller Fraktionen – außer denen der AfD –, beim Amtsgericht Stuttgart ein Ordnungsgeld zu beantragen, weil der Anwältin kein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt wird. Bis darüber entschieden ist, soll die Causa ruhen. Die Parlamentarier haben ohnehin jede Menge andere Baustellen, zum Beispiel in der JVA Ravensburg, in der, wie am Montag bekannt wurde, Justizvollzugbeamte CDs mit rechtsradikaler Musik kostenlos unter Gefangenen verteilen sollen.

Lektüre zu diesem Thema: Andreas Förster (Hg.): Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur, Tübingen 2014, Klöpfer & Mayer, 315 S., 22 Euro


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3 Kommentare verfügbar

  • Barolo
    am 26.03.2017
    Antworten
    @Schwabe, warum "Klaus-Dieter Fritsche 2013 aufgrund seiner Verdienste bei der Pannenserie im NSU-Skandal"?
    NSU war doch keine Pannenserie, hat doch bis heute perfekt funktioniert ;-)
    Das den Bürgern präsentierte Bild von massenhaften versehentlichen Löschungen hält doch immer noch.
    Mir ist kein…
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