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Gefährliches Missverständnis

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Grün-Schwarz will der Schuldenbremse Verfassungsrang einräumen. Zugleich fehlt der Mut, die notwendigen Einsparungen konkret zu benennen. Jetzt müssen sich die Koalitionspartner vorwerfen lassen, die Öffentlichkeit hintergangen zu haben. Rechten Populisten stellen derweil alle Kürzungen als Folge der Ausgaben für Flüchtlinge hin.

Mit fünf Worten hat SPD-Fraktionschef Andreas Stoch Anfang August versucht, zumindest eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Sparwahns anzustoßen: "Ein schuldenfreier Haushalt ist kein Selbstzweck." Zügig musste er zurückrudern. Die Grünen-Landesvorsitzende Thekla Walker hatte sogleich die Totschlagformel von den "Investitionen auf Pump" zur Hand. Und FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke ist sich ganz sicher: "Wer heute noch über Neuverschuldung nachdenkt, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden."

Andersherum würde eher ein Schuh draus. Wenn die Verunsicherung sogar die Mittelschicht erreicht, müssten gerade die Länder Geld in die Hand nehmen für ihre so sehr gehüteten Aufgaben in der Bildungspolitik und der inneren Sicherheit. Der Städtetag hat errechnet, dass in den kommenden zehn Jahren rund drei Milliarden Euro in die Sanierung älterer und alter Schulgebäude im Land fließen müssten. Was für ein Programm fürs örtliche Handwerk könnte das sein und für die Stimmung, wenn der Schuppen, den schon die Großeltern besucht haben, in neuem Glanz erstrahlt. Aber natürlich winkt die "bürgerliche Landesregierung" (Winfried Kretschmann) umgehend ab: Die Schuldenbremse lässt so etwas nicht zu, weil die Länder ab 2020 keine neuen Mittel mehr aufnehmen dürfen.

Noch absurder ist die Debatte um die Engpässe bei der Polizei. Seit Jahrzehnten werden die Grenzen des hoheitlich Notwendigen immer enger gezogen. Waren private Sicherheitsdienste ursprünglich im Objekt- und Personenschutz tätig oder auf Veranstaltungen, werden längst vielfältige Dienste zur Entlastung der Polizei übernommen, werden Flughäfen und Züge, Atomkraftwerke, Landtage, Ministerien oder Flüchtlingsheime bewacht. Etwa eine Viertelmillion Beschäftigte zählen die einschlägigen Unternehmen bundesweit, viele von ihnen arbeiten zu prekären Löhnen.

Keine Schulden – dafür ein marodes Land

Eine Ironie der Geschichte ist die Angleichung bei den Uniformen. Außer Bayern kleiden alle Länder ihre Polizisten inzwischen in Blau ein, eine Farbe, zu der viele Sicherheitsdienste gegriffen haben, um die geforderte Unterscheidbarkeit herzustellen. Rückwirkend hat der Bundesgesetzgeber aber Auflagen zur Abgrenzung nicht gemacht. Stattdessen wurde jüngst beschlossen, dass "fachlich geeignete Privatunternehmen" mit der Begleitung von Großraum- und Schwerlasttransporten betraut werden können, die in ähnlicher Weise wie Polizeibeamte verkehrsrechtliche Anordnungen treffen dürfen. Und ihr Einsatz muss auch nicht an Ländergrenzen enden, weil er sonst mehr Zeit und deshalb mehr Geld kosten würde. Das betrifft zum Beispiel die Zulieferer von Bauteilen für Windkraftanlagen oder Brücken.

In sinnvolle Bahnen wird die Diskussion über die öffentliche Sicherheit durch derartige Entscheidungen dennoch nicht gelenkt. Innenminister Thomas Strobl will von der Idee des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren, zur Unterstützung der Polizei im Kampf gegen den Terror, nicht lassen. Und – wie üblich in solchen Fällen – legen die Populisten noch eine Schippe drauf: Frauke Petry, die Bundessprecherin der Alternative für Deutschland, arbeitet sich am Thema Waffenrecht ab und löst – scharf kalkulierend – im Netz eine Suada von Kommentaren aus mit der Forderung, der Kauf von Waffen müsse jedermann erleichtert werden, weil die Polizei das deutsche Volk nicht mehr schützen könne.

Statt aber mit einer spürbaren Personalaufstockung bei der Polizei der Agitation von rechts den Wind aus den Segeln zu nehmen – im Kampf gegen den Terror sollen lediglich 30 Internetfachleute eingestellt und hundert Polizisten versetzt werden –, hat sich die Landesregierung vorgenommen, ab 2020 insgesamt mindestens 1,8 Milliarden Euro aus dem Haushalt herauszupressen. Jedenfalls hat sie diese Absicht in jetzt publik gewordenen weiteren Geheimabsprachen fixiert. Andreas Schwarz, der neue Grünen-Fraktionschef, hat seine liebe Mühe, die Details zum "Instrumentenkasten" zu erklären und die fehlende Transparenz mit der Notwendigkeit, dass die Landesregierung in den anstehenden Sparrunden ihre Verhandlungsposition nicht unterminieren wollte. "Ich will die Dramatik aus der Debatte nehmen", so Schwarz. Wirklich gelungen ist ihm das nicht.

3500 Stellen sollen im Laufe der Legislaturperiode wegfallen und weitere 1500 durch die Einführung von Lebensarbeitszeitkonten überflüssig werden. Die wiederum können nur funktionieren, wenn die Beschäftigten zur Mehrarbeit verpflichtet werden mit dem Versprechen des späteren Ausgleichs. Nicht nur Lehrkräfte mussten aber bereits erfahren, dass genau diese Versprechen gebrochen werden. So hat das Land Berlin vor zwei Jahren die "Teilkompensation" verfügt: Was nichts anderes heißt, als dass junge Lehrkräfte sich in Treu und Glauben zu Mehrarbeit verpflichten, sie aber später nicht oder nicht vollständig verrechnet bekommen – mit dem üblichen Verweis auf die Schuldenbremse.

Lieber klug investieren als sich zu Tode sparen

Selbst der frühere CDU-Finanzminister Gerhard Stratthaus hatte immer wieder vor überzogenen Streichkonzerten gewarnt. Und empfohlen, nicht nur nach Grundsätzen der schwäbischen Hausfrau zu agieren, sondern schwäbische Unternehmen zu kopieren. Die nehmen nämlich Kapital auf, in Niedrigzinsphasen besonders gerne, und werden immer Kapital aufnehmen. Stratthaus' Formel, die er nie als Freibrief, aber als in alle Überlegungen einzubeziehen verstanden wissen wollte: Wenn eine Volkswirtschaft stärker wächst als die Zinsen, sinken die Staatsschulden automatisch.

"Für unsere Kinder und Kindeskinder ist die Staatsverschuldung nur eine Größe unter anderen", wird der Würzburger Volkswirtschaftler Peter Bofinger, der Linke unter den "fünf Weisen" des Sachverständigenrats, noch deutlicher. Die Frage müsse doch sein: "In welchem Zustand übergeben wir ihnen das Land, denn unsere Kinder haben mehr davon, höhere Schulden zu haben und dafür gut ausgebildet zu sein und eine vernünftige Infrastruktur zu besitzen, als dass wir die Schulden zurückfahren und ihnen ein marodes Land hinterlassen." Die grün-schwarze Koalition in Stuttgart hat sich anders entschieden und kürzt lieber bei Schulsozialarbeit und Straßenbau.

Bofinger steht nicht allein. Seit Jahren raten Professoren, Ökonomen oder die Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, das Wirtschaftswachstum zu "klugen Investitionen" zu nutzen, anstatt eisern zu sparen. Gehör in der Politik können sie sich kaum verschaffen, außer bei der Linken und den linken Flügeln von SPD und Grünen. Der große Rest will nichts wissen von Ökonomen wie Joseph Stiglitz. Offenbar hören sie nicht einmal auf Oliver Blanchard, Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, der 2013 einräumte, die positiven Effekte nationaler Ausgabenkürzungsstrategien überbewertet zu haben.

Der IWF hat sich mal kurz verrechnet

Von einem "Rechenfehler" war damals die Rede. Dabei wusste der IWF seit 2003 dank des hauseigenen Evaluierungsbüros, wie negativ die Auswirkung strenger Sparkonzepte auf das Wirtschaftswachstum ist. "Dass die Fiskalpolitik des IWF nicht nur kontraproduktiv für den Schuldenabbau ist, sondern die Wirtschaften in tiefe Krisen stürzt und damit die Existenz von Millionen Menschen zunichte macht, müsste dem IWF also mindestens seit zehn Jahren bekannt gewesen sein", bloggt Fabian Lindner in der "Zeit" unter dem passenden Stichwort "Herdentrieb".

Erfolgreiche Gegenkonzepte sind im Großversuch längst getestet, werden aber gern kleingeredet. Beispielsweise hatte Österreich Anfang der Neunzigerjahre mit dem Ausbruch der Balkankriege rund 120 000 Flüchtlinge aufgenommen, war noch nicht in der EU, die Maastricht-Kriterien waren noch nicht erdacht. Die selbst ernannte "Insel der Seligen" lebte noch in der Tradition einer volkswirtschaftlichen Philosophie, die bei steigender Arbeitslosigkeit die Arbeitslosenunterstützung erhöhen will, um Betroffene nicht abzuhängen. Eine der gern gescholtenen Großen Koalitionen unter SPÖ-Führung nahm viel Geld für Integrationsmaßnahmen in die Hand – die damals noch nicht so hießen –, für den Bau neuer Wohnungen und die Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte. Das seien eben Nachbarn gewesen, vor allem katholische Kroaten mit Frauen und Kindern, behaupten FPÖ und Teile der ÖVP heute geschichtsklitternd, und deshalb einfacher zu verkraften für angestammte Österreicher.

Tatsächlich aber gelang es, mit solchen Investitionen die durchaus vorhandene Fremdenangst zumindest zu zügeln. Eine aktuelle Untersuchung ergab, dass anno 2016 ausgerechnet in Gemeinden, in denen gar keine Flüchtlinge leben, die Empfänglichkeit für Verhetzung überdurchschnittlich ausgeprägt ist. Ein wahllos herausgegriffenes, typisches Zitat: "Die bekommen alles und unsere Kinder nicht einmal ein neues Klettergerüst auf dem Spielplatz."

Lehrreich ist der Blick auf die Entstehungsgeschichte der Schuldenbremse. Ex-Landwirtschaftsminister Alexander Bonde, davor Haushaltsexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, erinnerte sich einmal, dass 2009, am Ende der aufreibenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, niemand so genau wusste, wieso das Sparen um jeden Preis und der in Aussicht genommene Verfassungsrang eigentlich beschlossen worden waren. Stattdessen waren die Beteiligten froh, eine Einigung zustande gebracht zu haben, die prompt bei der sparfreudigen Bürgerschaft und medial gefeiert wurde als überfällige Abkehr von der Verschuldungspolitik der vergangenen Jahrzehnte.

In der entscheidenden Sitzung des Bundestags argumentierte die grüne Fraktion vehement dennoch gegen das Instrument in seiner heutigen Form. Die Rede ihres Vorsitzenden Fritz Kuhn, heute OB in Stuttgart, kann ohne Weiteres als ein Stück Zeitgeschichte gelten. Die Argumente haben verdient, wieder auf die Tagesordnung zu kommen. Ohne sofort verbal niedergeknüppelt zu werden.

 

Info:

Die grünen Bedenken gegen eine Schuldenbremse hat Fritz Kuhn 2009 dargelegt, damals Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion. Zur Dokumentation haben wir seine Rede <link file:27047 external-link-new-window>hier gekürzt als PDF angehängt.


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4 Kommentare verfügbar

  • Pierre C.
    am 25.08.2016
    Antworten
    Man kann es nicht oft genug wiederholen. Die offiziell angegebenen Schulden des Landes Baden-Württemberg erfassen bei weitem nicht die tatsächlichen Schulden des Landes, da diese zu einem Gutteil in sog. "Schattenhaushalten" versteckt oder gar nicht erfasst sind.

    "Das Land Baden-Württemberg nimmt…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 9 Stunden
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